Sonntag, 28. April 2024

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Eva Menasse: Der Holocaust vor Gericht - Der Prozess um David Irving

Neben den hierzulande recht wirkungsvollen Verharmlosern und Verdrängern der nationalsozialistischen Verbrechen, wie Ernst Nolte zum Beispiel, gibt es eine international operierende Sekte, die gar nicht erst wahrhaben will, dass in deutschen Vernichtungslagern Millionen von Menschen organisiert und planvoll ermordet wurden. Ihre Ideologie des weißen Herrenmenschentums und der autoritären Gesellschaft ist durch den Massenmord derart diskreditiert, dass nur dessen Leugnung eine politische Zukunft verspricht. Zu den Gurus dieser Rechtsextremen zählt der britische Historiker David Irving, dem sich in Großbritannien zu Beginn dieses Jahres ein besonderes Forum bot. Das britische Recht macht es nämlich möglich, dass bei einer Verleumdungsklage die Beweislast beim Beklagten und nicht beim Kläger liegt. Irving war von der us-amerikanischen Historikerin Deborah Lipstadt als einer 'der gefährlichsten Holocaust-Leugner' bezeichnet worden. Er wertete das als Verleumdung und klagte. Deborah Lipstadt musste nun vor einem Londoner Gericht 'beweisen', dass es tatsächlich diesen Massenmord gegeben hatte. Sie bekam zwar am Ende recht, doch Irving selbst und mit ihm seine mitunter recht stumpfsinnigen Kumpane ficht das nicht an. Sie sehen sich als Opfer einer Verschwörung, und die zunehmende Deklassierung vieler vom wirtschaftlichen Erfolg Ausgeschlossener verschafft ihnen immer weiteren Zulauf. Die Wiener Publizistin Eva Menasse hat für die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Prozess in London vom Januar bis zum April dieses Jahres verfolgt. Nun ist ihr Buch darüber erschienen: Katharina Rutschky hat für uns den 'Holocaust vor Gericht' rezensiert.

Katharina Rutschky | 30.10.2000
    Nach dreijähriger Vorbereitung begann am 11. Januar dieses Jahres in London ein sonderbarer Prozess. 32 Verhandlungstage waren angesetzt, die wohl alle Beteiligten, mit Ausnahme eines einzigen, nämlich des Klägers David Irving, wie eine Tortur empfunden haben müssen. Mit peinlicher Genauigkeit wurden Fragen erörtert, die in die Tiefen eines Alptraums hinabführten, aus dem es kein Erwachen geben kann; denn unter dem Namen Holocaust war er Realität.

    Ich gebe ein Beispiel: War ein bestimmter Lastenaufzug in Auschwitz-Birkenau technisch gesehen darauf eingerichtet, Hunderttausende ermordeter Menschen in einem gegebenen Zeitraum nach oben in die eigens errichteten Krematorien zu transportieren? Ein gut gelaunter David Irving bezweifelte das entschieden und zwang so den Richter, die Verteidigung und zahlreich geladene Experten, auch Publikum war erschienen, die teuflische Dreisatzaufgabe noch einmal zu lösen.

    Ein zweites Beispiel für den diabolischen Zweifel, den David Irving an die Stelle der historischen Forschung und der Suche nach der Wahrheit über den Massenmord setzen möchte: Die Verbrennung so vieler Menschen erfordert einen enormen Energieaufwand, in diesem Fall Kohle, und für diese riesigen Kohlevorräte gibt es keine Beweise und Belege. Die von der Verteidigung geladenen Experten waren gezwungen, Irvings Einwände mit präzisen Ausführungen über die Technik der Öfen zu entkräften. Wenn Öfen ununterbrochen in Gang gehalten werden, reduziert sich der Energieverbrauch, zum einen; zum anderen hat Irving nicht bedacht, dass der menschliche Körper selbst bei seiner Vernichtung Energie in Form von Fett zum Beispiel beisteuert.

    Die junge Wiener Journalistin Eva Menasse hat den sonderbaren Prozess in London verfolgt und darüber ein Buch geschrieben, das, soweit ich weiß, deutschen Lesern zum ersten Mal Einblick in die bizarre Welt der Holocaustleugner gewährt, die sich methodisch als besonders akribische und vorurteilslose Forscher gerieren, tatsächlich aber nur da paranoiden Zweifel verbreiten, wo auch jeder vernünftige Mensch bis heute mit der Einsicht zu kämpfen hat, dass das Unglaubliche Realität gewesen ist. Die systematische Entrechtung, Verschleppung und Vernichtung der europäischen Juden in der Nazizeit bleibt unvorstellbar, der Wahrheit zum Trotz. Warum dieser besondere Unglauben bei uns zur fassungslosen Erschütterung führt und zu Versuchen, dennoch zu verstehen und den Opfern heute Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, bei den Revisionisten aber zur fühllosen Pedanterie in ihren sogenannten Forschungen und letztlich zur Verleugnung mutiert, das scheint mir die eigentlich interessante Frage zu sein.

    Ohne Psychologie kommt man hier nicht weiter. Besonders interessant sind deshalb die Beobachtungen, die Eva Menasse an den beiden Hauptfiguren des Prozesses gemacht hat. Hier der Kläger David Irving, der sich von der Behauptung, er sei ein notorischer Geschichtsfälscher, in seiner Ehre gekränkt sah. Dort die US-amerikanische Professorin Deborah Lipstadt, die in einem bereits 1994 erschienenen Buch über die Holocaustleugner eben diese Behauptung aufgestellt hatte. Sie hatte in der Sache schon damals Recht, und sie bekam vor Gericht schließlich auch Recht, unterstützt von angesehenen Wissenschaftlern, die die Verteidigung aufgeboten hatte.

    Hat die Wahrheit über die Lüge triumphiert in diesem Prozess und können wir das Treiben eines unbelehrbaren David Irving, der gerade wieder eine Konferenz in Cincinatti veranstaltet hat, nun gelassener hinnehmen? Sehr vorsichtig deutet Menasse ihre Vorbehalte an. Die kämpferische Kreuzzugsmentalität von Deborah Lipstadt stimmt sie bedenklich. Wer Recht hat und sich dann mit Tunnelblick auf den Feind fixiert, verliert das politische Feld aus den Augen, das kein Gerichtsurteil so säubern kann, wie man es sich vielleicht wünscht.

    Mag sein, das David Irving die Verleumdungsklage gegen Deborah Lipstadt mit der Hoffnung auf das komplizierte englische Recht eingereicht hat, das bei Verleumdung dem Beklagten die volle Beweislast aufbürdet. Hätte Irving Recht bekommen, mit welchen Einschränkungen auch immer, dann wäre das seiner endlichen Anerkennung als unerschrockener, vorurteilsloser Historiker des Faschismus gleich gekommen. Seine Niederlage konnte er riskieren, weil sie das Bild, das er von sich und den Gegnern, die ihn diskriminieren und mundtot machen wollen, nur ein weiteres Mal bestätigt hat. Und vor dieser Niederlage hatte er 32 Tage lang im Gerichtssaal ein Publikum, wie er es in seinem ganzen Leben noch nicht versammelt gesehen hatte. Die gute Gesellschaft, angesehene Historiker, eine Internationale von Journalisten, jüdische Schulkinder nebst einem ausgezeichneten Richter, sie alle waren gezwungen, sich mit einem bösen Buben zu beschäftigen, der über den exhibitionistischen Charme und die Wendigkeit verfügt wie nur je ein Verwahrloster, der vor Gericht stand und Farbe bekennen soll. Menasse gibt zu, dass man Irvings Auftritte, die er ohne jeden Rechtsbeistand vielleicht eher improvisierte als plante, logisch nicht nachvollziehen konnte.

    Ein Verwahrloster ist ein Mensch nicht nur, wenn er sich nicht wäscht. Es ist ein Mensch, dessen gieriges Ego jederzeit die Moral liefert, nach der er sich richtet. Standen am Anfang von Irvings Laufbahn bloß sensationsträchtige Recherchen nach mehr oder weniger bedeutenden Nazidokumenten, so war im Lauf der Jahre die Verlockung doch zu stark: Wem der Ruhm verschlossen ist, dem bleibt immer noch der Skandal.

    Katharina Rutschky besprach: "Der Holocaust vor Gericht - Der Prozess um David Irving" von Eva Menasse. Das Buch ist im Siedler Verlag erschienen, hat 191 Seiten und kostet DM 29,90.