Meurer: Bleibt es dabei, dass die evangelische Kirche und Sie persönlich keine Legitimation für einen neuen Krieg am Golf sehen?
Käßmann: Das bleibt dabei. Der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland hat klar gesagt, dass er aus ethischen und auch völkerrechtlichen Gründen dagegen ist und dass er aufrufen will, alles für den Frieden zu tun. Ich will noch einmal ganz klar sagen: Die Motivation dabei ist bei den Kirchen das biblische Gebot, energisch für den Frieden einzutreten und nicht eine politische Option. Gleichzeitig muss ich sagen, dass wir ebenso darauf drängen, dass Saddam Hussein abrüstet, und wir ganz klar die Situation vor Augen haben, dass da ein brutaler Diktator an der Macht ist. Das Bedrückende ist allerdings, dass das an vielen Orten der Welt so ist.
Meurer: Auch der amerikanische Präsident George Bush beruft sich auf die Religion und auf Gott und auf den Auftrag, sein Land, die Amerikaner und die Welt vor Massenvernichtungswaffen zu schützen. Was sagen Sie zur Haltung des US-Präsidenten und zu seiner Legitimation und Motivation?
Käßmann: Das Unbehaben, das bei vielen vorherrscht, ist, dass auf so vielen Seiten religiös argumentiert wird, und dieses Unbehaben ist durchaus auch in den Kirchen da. Ich kann aber sagen, dass der Generalsekretär der methodistischen Kirche in Amerika und auch der Generalsekretär des US-Kirchenrates kürzlich zu einem Treffen in Berlin waren und ganz klar die Haltung, die unsere Kirche hat, unterstützt haben. Den Präsidenten kann ich in seiner persönlichen Religiosität nicht einschätzen und beurteilen. Dazu müsste ich ihn tatsächlich kennen.
Meurer: Stößt Sie diese Rhetorik des Präsidenten ab?
Käßmann: Ich sage, ich habe Mühe, wenn religiös argumentiert wird, also wenn Worte wie Kreuzzüge und ähnliches fallen. Hier geht es nicht um eine religiöse Frage, sondern um eine politische, und das ist ganz klar zu trennen.
Meurer: Die Deutschen sind mehrheitlich gegen den Krieg. Wie ist die Stimmung in den evangelischen Gemeinden, insoweit Sie das, Frau Käßmann, überblicken können.
Käßmann: Also, ich kann sagen, was ich aus meinen Gemeinden weiß. Hier oben in Niedersachsen herrscht eine ganz eindeutige Stimmung gegen den Krieg und große Angst vor dem Krieg. Das ist ja auch ein Lernerfolg der deutschen Geschichte - tragisch genug -, dass vor 60 Jahren der Winter von Stalingrad stattfand. Also, was Krieg bedeutet und wie viel Schuld man sich auch als Nation mit Krieg auf sich laden kann, wissen die Deutschen vielleicht eher als andere. Insofern ist in den Gemeinden die Stimmung ganz klar. Ich habe gestern noch viele Fragen gehabt, ob jetzt parallel zur Demonstration in Berlin irgendetwas geschehen kann. Ich habe dann gesagt, was passieren kann, ist dass im Berliner Dom am Samstag um 12:00 Uhr ein ökumenisches Gebet stattfinden wird, und zu einem Gebet dieser Art können natürlich alle Gemeinden parallel dazu um 12:00 Uhr einladen.
Meurer: Es gibt scharfe Kritik an der Haltung der Kirche. Gerade aus der Union heraus wirft der außenpolitische Sprecher Friedbert Pflüger beispielsweise den Kirchen Naivität vor und sagt: Auschwitz sei durch Soldaten befreit worden und nicht durch laute, gesinnungsethische Friedensbekenntnisse. Was antworten Sie ihm?
Käßmann: Also, zum einen würde ich Herrn Pflüger gerne in aller Ruhe antworten: Wir argumentieren von der Bibel her, und ich sehe im Evangelium keine Legitimation von Krieg und muss deshalb als Bischöfin und als Christin ganz klar sagen, dass unser Thema der gerechte Friede und nicht der gerechte Krieg ist. Das heißt, wir haben alle Mittel einzusetzen, um zum Frieden zu gelangen, und zwar möglichst ohne Waffen. Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass wir die UNO ganz anders mit Mandaten ausstatten. Wir leben in Deutschland in einem Land, in dem wir gute Erfahrungen damit haben, dass das eigene Gewaltpotenzial delegiert wird, und zwar an die Polizei, die nach Menschenrechtsgesichtspunkten ebenfalls zu handeln hat. So was kann ich mir auf Weltebene vorstellen, aber nicht, dass einfach so getan wird, als sei tatsächlich wieder der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Meurer: Dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, dass er sich schon jetzt festgelegt hat, im UNO-Sicherheitsrat nein zur einer kriegslegitimierenden Resolution zu sagen. Wie stehen Sie zu dem, was der Kanzler beim Irak-Thema macht?
Käßmann: Wissen Sie, ich bin nun auch nicht dazu da, persönlich die Politik des Kanzlers im Detail zu beurteilen. Ich kann aber sagen, dass er damit ganz offensichtlich einen Nerv unserer Bevölkerung getroffen hat, die ganz deutlich sagt, dass wir den Krieg nicht legitimieren können. Allerdings hätte ich mir auch gewünscht, dass in der Diplomatie stärker versucht wird, einen gemeinsamen europäischen Weg zu finden, damit Europa auch gegenüber den USA klare Standpunkte vertritt und auch die Weltpolitik noch stärker beeinflussen kann. Ich meine, wir sehen beispielsweise in Afghanistan, dass solch ein Krieg nicht gleich Frieden bringt, sondern die Frage ist doch eigentlich: Was passiert denn eigentlich nach dem, was uns dauernd beschäftigt, nach diesem Krieg? Wie soll das in dieser instabilen Region im nahen und mittleren Osten denn weitergehen? Wird sie denn nicht noch viel instabiler? Im Moment habe ich den Eindruck, dass so getan wird: Da kommen wir und werfen ein paar Bomben und das Problem gelöst ist. Dem ist doch nicht so.
Meurer: Stehen die evangelischen Christen hinter der Politik von Bundeskanzler Schröder?
Käßmann: Das wäre zu einfach gesagt. Wir haben evangelische Christinnen und Christen in allen Parteien, und ich kann nicht sagen, dass das eine politische Option ist. Ich möchte noch einmal ganz klar sagen: Die religiöse, christliche Option ist meines Erachtens eindeutig.
Meurer: Was wäre wenn hundertprozentig sicher ist, Saddam Hussein hat Massenvernichtungs-, Bio und Chemiewaffen? Was würden Sie dann sagen?
Käßmann: Dann würde ich sagen, dass im Irak radikal abgerüstet werden muss. Dann müssen Hunderte oder vielleicht Tausende oder Zehntausende von Inspektoren hin. Es gibt einen großen amerikanischen Artikel kürzlich in einer großen, deutschen Zeitung, in dem gesagt wurde: Man kann abrüsten. Abrüstung ist möglich - auch im Lande eines Diktators -, wenn die UN das wirklich will.
Meurer: Die Bischöfin Margot Käßmann von der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Frau Käßmann, herzlichen Dank und auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio