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Evangelische Kirche
Wer kann Kanzel?

Junge Pfarrerinnen und Pfarrer fehlen. Die evangelische Kirche denkt sich deshalb Alternativen zum klassischen Ausbildungsweg aus. Vor allem der Quereinstieg ins Theologiestudium soll attraktiv gemacht werden. Manche Landeskirchen locken mit Stipendien und kostenlosen Wohnungen.

Von Thomas Klatt | 04.06.2019
Die Kanzel im Wetzlarer Dom
Damit die Kanzeln nicht leerstehen, betreiben die evangelischen Kirchen eifrig Nachwuchsförderung (dpa / picture alliance / Friedel Gierth)
Amtseinführungsgottesdienst in Golzow im Kirchenkreis Potsdam-Mittelmark. Nach 26 Monaten Vakanz wird hier allerdings nicht ein neuer Pfarrer gesegnet, sondern ein "Famulus der Theologie". Und der trägt nicht einmal einen richtigen Talar und auch kein weißes Beffchen.
"Das ist ein Prädikanten-Talar, dass er den auch tragen kann, und er wird quasi so nach und nach einzelne Dienste übernehmen. Es ist wie ein langes Vikariat, ist aber nicht dem gleichgestellt."
Erklärt Superintendent Thomas Wisch. "Famulus" heißt Schüler. Und der soll berufsbegleitend Theologie studieren. Gleichzeitig wird der Famulus schon in der Dorf-Gemeinde mitarbeiten.
"Ich ziehe da echt den Hut"
"Das ist eine 100-Prozent-Stelle und während des Studiums, zwei Tage muss er da nach Heidelberg von Montag bis Mittwoch und für die Studienzeiten stellen wir ihn quasi frei. Fünf Jahre dauert das in Heidelberg. Das ist sehr konzentriert. Als ich mir das Programm angesehen habe, ich ziehe da echt den Hut."
Die Famulatur Theologie, eine neue Idee, die sich der Superintendent mit ausgedacht hat. Eine Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg gab es allerdings schon einmal im Osten.
Thomas Wisch: "Der ursprüngliche Gedanke ist ja gewesen, Kollegen zu gewinnen für das Pfarramt auf dem Lande. Es gab früher, zu DDR-Zeiten, das Paulinum mit einem zweiten Zugang zum Pfarramt. Ich finde das schade, dass die Kirche sich davon getrennt hat, von diesem Ausbildungsweg. Und für mich war das immer ein Anliegen, seitdem ich Superintendent bin, nach einer Möglichkeit zu suchen."
Ein schwerfälliger Verein
Oliver Notzke ist der erste Famulus der Theologie in der Evangelischen Kirche Deutschlands überhaupt. Er sagt: "Das war im Grunde nach dem Abitur mein Wunsch, Theologie zu studieren. Dann bin ich in der Wirtschaft gelandet. Und die Hemmschwellen waren ja viel zu hoch, Theologie zu studieren und eine Absicherung zu haben. Und als dieses Modell kam, war ich sehr dankbar dafür. Das ist mir egal, ob ich der erste oder der xte."
Notzke ist 38 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Zuvor war er 16 Jahre in der freien Wirtschaft als internationaler Vertriebsleiter bei einer großen Firma tätig. Vom Management mit gutem Gehalt wechselt er nun freiwillig ins Landpfarrhaus mit wesentlich kleinerem Kirchensalär.
Der ehemalige Manager hat sich einiges vorgenommen. Den Umbau des Pfarrhauses etwa. Ein neuer Begegnungsort soll im Seitengebäude des Pfarrgartens entstehen. Aber alles ganz behutsam. Dass Kirche keine Firma ist und mit ihren Entscheidungsstrukturen vom Gemeindekirchenrat über Kreissynode bis zur Landeskirche ein eher schwerfälliger Verein ist, ist dem Famulus Oliver Notzke durchaus bewusst.
"Das ist ja so ein bisschen ambivalent. Bis dato war ich ja als Ehrenamtler und als Vizepräses des Kirchenkreises gewohnt, kritisch auch die ganzen Sachen zu beäugen, die Entscheidungen zu beäugen. Jetzt gilt es, dass ich im Anstellungsverhältnis bin. Nichtsdestotrotz bleibe ich ein kritischer Zeitgeist und werde das, was ich als Erfahrung gesammelt habe, nicht einfach über Bord werfen - das wäre ja naiv."
In der Nachwuchsgewinnung ist der landeskirchliche Ausbildungsdezernent Christoph Vogel beweglich. Denn künftig fehlt es schlicht am theologischen Personal. Das Famulatur-Pilotprojekt soll Entlastung bringen.
"Dass es auch ein Modell ist, was den ländlichen Raum in den Blick nimmt. Weil wir dieses Modell zunächst einmal nicht mit dem Blick auf die Stadt konzipiert haben, sondern mit Blick auf die ländlichen Räume."
"Es ist kein Theologiestudium light"
Neu ist eben die Festanstellung vorab. Das berufsbegleitende Studium gibt es allerdings schon seit gut 10 Jahren nicht nur in Heidelberg, sondern derzeit auch in Marburg. Beide Ausbildungen seien so gut wie ein reguläres Vollstudium der Theologie, verspricht Christoph Vogel.
"Es ist jetzt kein Theologiestudium light und auch kein Low-Budget-Theologiestudium. Der Pfarrberuf ist akademisch, soll akademisch bleiben. Es gibt kein Senken von Schwellen."
Evangelische Pfarrer in typischem Gewand
Der Weg zum Talar führt in der Regel über ein Hochschulstudium (picture-alliance / Martin Schutt)
Und das soll in der ganzen EKD so bleiben. Aber es müssten die Pfarrerinnen und Pfarrer ja nun nicht alles alleine machen. Da gebe es noch Prädikanten, die von der Kirche berufenen Laienprediger.
Christoph Vogel: "In unserer Landeskirche wie auch in der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands gibt es seit den 70er-Jahren einen weiteren Weg, der auch in die freie Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung führt, in den ordinierten Dienst, das sind die Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen, die an der Evangelischen Hochschule Berlin studiert haben müssen."
Gemeindepädagogen sind vor allem für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig. Zur Zeit gibt es davon 60 in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Sächsische Oberlausitz kurz EKBO, gegenüber 950 Pfarrern. Der Königsweg ist weiterhin das Theologiestudium an einer staatlichen oder kirchlichen Universität nach dem Abitur.
Keine Hubschrauber und Kampfschiffe
Pfarrer Johannes Meier ist in der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck für die theologische Nachwuchsgewinnung zuständig. Da steht er in Konkurrenz mit den vielen anderen Unternehmen, die auch in Zeiten des demografischen Wandels händeringend junge Berufseinsteiger suchen.
"Also wir machen jetzt keine Roadshow auf Schulhöfen oder Webserie. Wie heißt es bei der Bundeswehr, Mali. Wir haben ja auch keine Hubschrauber oder Kampfschiffe zu bieten, da ist Kirche so ein bisschen nicht ganz so abenteuerlich auf dem ersten Blick."
Für den Dienst im Kirchenschiff wirbt Meier auf Berufs-Info-Tagen, zum Beispiel mit dem Angebot von Schnupperwochen.
"Das kann auch ein Schülerpraktikum sein. In Hessen gibt es Schülerpraktika auch noch in der Oberstufe, wenn vielleicht Oberstufenschüler, die vielleicht noch Reli haben, sagen, ach ich mach jetzt mal mein Berufspraktikum beim Pfarrer, bei der Pfarrerin."
Theologie als freies und vielfältiges Studienfach
Längst vorbei die Zeiten, als der Talar in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Pfarrerdynastien, in denen das Amt in die Wiege gelegt wird, gelten nicht mehr als Ideal.
Johannes Meier: "Weil mir die Quereinsteiger, die bunten Vögel das Liebste sind. Ich finde, unser Hauptwerbeeffekt sollte nicht irgend so ein geprägtes Pfarrerbild sein, sondern zunächst einmal die Freiheit dieses wunderbaren geisteswissenschaftlichen Studiums, das nach wie vor eines der freiesten und vielfältigsten ist, gerade jetzt in der Zeit, wo das Studium verschult durchgetaktet ist mit Bachelor und Master, bildet das Theologiestudium immer noch so eine Sonderstellung."
Unterstützung von der Wohnung bis zum E-Bike
Der Erwerb der drei alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein ist eine gewisse Einstiegshürde. Wer sie überspringt,kann von der evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck 500 Euro als monatliches Stipendium bekommen - bis zum 14. Semester. Auch die anderen Landeskirchen lassen sich einiges einfallen.
Dozentin Julia-Maria von Schenck zu Schweinsberg (re.) von der Fakultät für Evangelische Theologie der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz gibt am 21.07.2016 Griechischunterricht für Theologiestudenten.
Wer Theologie studiert, wird von den Kirchen vielfältig unterstützt (imago stock&people / Kristina Schäfer)
Fast alle gewähren einen Büchergeld-Zuschuss oder finanzielle Unterstützung für theologische Tagungen und Exkursionen. Die Nordkirche gibt für ein Studienjahr in Israel 9000 Euro. Die Bayern versprechen ein Darlehen im sozialen Härtefall. Zudem stehen oft günstige Zimmer in kircheneigenen Häusern zur Verfügung. Die Württemberger bieten sogar ein sogenanntes Naturalstipendium im Evangelischen Stift Tübingen an, also neun Semester freies Wohnen und Essen. Außerdem gibt es die Evangelische Studienhilfe, eine Unterstützung für Studierende, die von ihren Eltern nicht ausreichend finanziert werden oder die kein BAföG bekommen, weil sie etwa vorher schon ein anderes Studium gemacht haben. Für die ganz Klugen gibt es Promotionsstipendien.
Beihilfen gibt es nach dem Studium für den maßgeschneiderten und daher nicht ganz billigen Talar. Die Westfalen sponsern auf Antrag sogar ein eigenes Dienst-E-Bike.
"Theologen braucht es heute mehr denn je"
Mit einem Spitzengehalt können die Werbeaktionen jedoch nicht locken. Und mit geregelten Arbeitszeiten und einer klaren Abgrenzung zwischen Job und Privatleben auch nicht. Der hessische Pfarrer Johannes Meier:
"Pfarrer sind auch öffentliche Personen, sitzen mal mit dem Bürgermeister in der ersten Reihe bei einer Veranstaltung, stehen auch mal in der Zeitung drin. Also die Arbeit, die da so anfällt, lässt sich im Grunde genommen schlecht genau eingrenzen. Das muss man wissen, das muss man wollen."
Zumindest in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck hätten sich die Bemühungen um Nachwuchs gelohnt. Ziel sei es, auf der sogenannten Landesliste, auf der sich Theologiestudierende mit Berufswunsch Pfarrer eintragen lassen, die Zahl 100+x zu erreichen. Vor 4-5 Jahren war man da noch bei 50, mittlerweile bei 93, Tendenz steigend.