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Evolution statt Schöpfung
Im Anfang war der Affe

Die Erde ist nicht in sieben Tagen entstanden und der Mensch nicht die Krone der Schöpfung: Was Charles Darwin im 19. Jahrhundert erkannt hatte, wollte die katholische Kirche lange nicht wahrhaben. Erst vor 25 Jahren erklärte der Vatikan, die Evolutionstheorie sei „mehr als eine Hypothese“.

Von Monika Dittrich |
Die Evolution des Menschen
Die Evolutionstheorie wurde von der katholischen Kirche lange als Angriff auf die Schöpfungslehre abgelehnt (picture alliance / dpa / De_Agostini/Photoshot)
"Ich kann nicht glauben, dass die in diesem Bande aufgestellten Ansichten gegen irgend wessen religiöse Gefühle verstoßen sollten." (Charles Darwin "Die Entstehung der Arten")
Charles Darwin ahnte aber wohl, dass genau das passieren würde. Denn was der britische Naturforscher 1859 in seinem Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten" darlegt, erschüttert das christliche Weltbild. Darwins Evolutionstheorie besagt: Alle Lebewesen, auch die Menschen, haben sich über lange Zeiträume entwickelt, und sie sind das Ergebnis natürlicher Auslese. Die Schöpfungsgeschichten der Bibel enttarnte der Theologe Darwin damit als das, was sie sind: Geschichten.
"Das Ketzerische war, dass er Gott sozusagen als Schöpfer entmachtet hat. Er hat gesagt, es braucht keinen Schöpfer. Es braucht nur Naturgesetze." - "Und jetzt kommt eine Theorie, die von einem Entwicklungsgedanken ausgeht, und in der Gott zunächst mal keine Rolle spielt, sondern aus der Gott eigentlich rausgedrängt wird." - "Darwin hat gesagt, dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, wie es bis dahin eigentlich jeder geglaubt hat und wie es immer noch heißt."
Die katholische Kirche wollte Darwins Erkenntnisse lange Zeit nicht wahrhaben. Erst 1996 erklärte Papst Johannes Paul der Zweite, die Evolutionstheorie sei "mehr als eine Hypothese."
Eine Fotografie des britischen Naturforschers und Geologen Charles Darwin, ein alter Mann mit langem weißem Bart
Der britische Naturforscher und Geologe Charles Darwin (imago stock&people / John Parrot)

Neandertaler, Australopithecus, Homo erectus

Wer wissen will, was Evolution bedeutet, der findet Antworten im Neandertal-Museum, im nordrhein-westfälischen Mettmann. Hier, im Tal der Düssel, wurden 1856 in einem Steinbruch 16 Knochen gefunden. Ein Realschullehrer, der die Knochen damals begutachtete, mutmaßte: Das müssen die Überreste eines Urmenschen sein. Er hatte recht. Der Neandertaler gehört zur Menschenfamilie, ein vor rund 40.000 Jahren ausgestorbener Verwandter des heutigen Homo sapiens.
"Und diese ganze Menschenart, egal, wo sie nun gefunden wird, ob in Frankreich, in Israel, in Usbekistan, in Sibirien, überall heißen Sie eben Homo Sapiens Neanderthalensis, nach diesem ersten Fundort", sagt Beate Schneider. Sie leitet am Neandertal-Museum die Abteilung Bildung und Vermittlung. "Das hat eine große Bedeutung in der Wissenschaft und das war der Start für die Wissenschaft der Paläoanthropologie, also unserer fossilen Geschichte."
Schulklassen drängen sich an diesem Vormittag durch das ovale Gebäude, Teenager begegnen ihren prähistorischen Verwandten auf Augenhöhe: Wie lebensgroße Puppen stehen hier Rekonstruktionen von Früh- und Vormenschen, nicht nur Neandertaler. Ein besonders berühmtes Exemplar: "Lucy". So haben Archäologen das Skelett genannt, das sie 1974 in Nordostafrika gefunden haben. Hier im Museum steht "Lucy" als vollbehaartes Weibchen, wie es vermutlich vor rund 3,2 Millionen Jahren gelebt hat. "Und spätestens an dieser Stelle kommt das Affenthema. Weil das erste Lebewesen, was uns hier als Figur auf diesem Menschenstrom begegnet, ist eben ein Australopithecus, und der sieht sehr affenähnlich aus. Und als einziges Merkmal haben wir auch nur den dauerhaft aufrechten Gang", sagt Schneider.
Vom Australopithecus über den Homo erectus und den Neandertaler bis hin zum Homo sapiens: Hier lässt sich nachvollziehen, wie sich die Gattung Mensch über hunderttausende von Jahren entwickelt, verändert und an ihre jeweilige Umwelt angepasst hat. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Menschen und Schimpansen gemeinsame Vorfahren haben und sich genetisch ähnlich sind.

Entwicklungsdenken als Angriff auf die Kirche

Die Stammesgeschichte des Menschen, wie sie in diesem Museum anhand wissenschaftlicher Forschung dargestellt wird, steht in krassem Gegensatz zu dem, was die Bibel über die Entstehung der Welt und des Menschen berichtet.
"Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde."
So steht es im ersten Buch Mose.
"Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild: als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie."
"Wir glauben an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, das ist einer der ersten und zentralen Sätze des Glaubensbekenntnisses", sagt Hubert Wolf. Er ist katholischer Theologe, Priester und Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. In den Reaktionen der Kirche auf die Evolutionslehre im 19. Jahrhundert erkennt er einen Grundkonflikt, wie er sich auch im Verhältnis zum geschichtswissenschaftlichen Historismus jener Zeit gezeigt habe: "Sowohl Geschichte in dieser modernen Form als auch Naturwissenschaft gehen grundlegend von einem Entwicklungsgedanken aus. Also: Es gibt kein statisches System, sondern die Wirklichkeit entwickelt sich weiter. Gegen diesen Entwicklungsgedanken, der der ewigen Wahrheit widerspricht, geht die Kirche mit allem Nachdruck vor."
Das Entwicklungsdenken sowohl in der Naturwissenschaft als auch im Historismus: ein Angriff auf das Wahrheitsdenken der katholischen Lehre. Wolf: "Und deshalb wehrt sich die katholische Kirche massiv gegen das Evolutionsdenken und sagt: Hier kannst Du entweder an Gott glauben, der die Welt geschaffen hat, oder Du musst Dich dieser Irrlehre, dieser Häresie anschließen, dass sich alles durch eine Selektion evolutionär entwickelt hat."
Hat es aber. Darin sind sich Naturwissenschaftler einig: Die Evolutionslehre ist vielfach bewiesen worden – eine wissenschaftliche Theorie kann kaum besser abgesichert und belegt sein. Ständig kommen neue Fossilienfunde, Erbgutanalysen und Entdeckungen hinzu, die immer wieder aufs Neue bestätigen, was Charles Darwin im 19. Jahrhundert beobachtet und erkannt hatte.

Darwin wollte Priester werden

Dabei war Darwin, als er 1831 das Vermessungsschiff "Beagle" betritt und eine Forschungsreise rund um den Globus startet, selbst noch ein bibeltreuer Christ und angehender anglikanischer Priester. "Er glaubt an die Schöpfungslehre und an den lieben Gott.", sagt Jürgen Neffe.
Neffe ist promovierter Biochemiker, Journalist und Autor. 2008 hat er eine vielbeachtete Biografie über Charles Darwin vorgelegt. Darin beschreibt er den jungen Darwin: wie er mehr aus Verlegenheit als aus Leidenschaft Theologie studiert und wie er als Sohn einer wohlhabenden Familie auf eine angesehene Pfarrstelle hofft, die ihm genug Zeit lassen würde für sein wahres Interesse: das Sammeln von Käfern und das Studieren der Natur. Dann aber ergibt sich die Gelegenheit zur Weltumsegelung auf der "Beagle"; der Kapitän nimmt ihn als unbezahlten Naturforscher mit. Was Darwin fortan in Flora und Fauna beobachtet, lässt ihn schon bald an seinem Gottesbild zweifeln.
Vor 185 Jahren gestartet: Charles Darwins Expedition
Es war eine der folgenreichsten Forschungsexpeditionen aller Zeiten: Auf seiner Weltumsegelung mit der "H.M.S. Beagle", einem Vermessungsschiff der britischen Marine, machte Charles Darwin die entscheidenden Beobachtungen, die ihn später auf seine Evolutionstheorie brachten. Heute vor 185 Jahren stach das Schiff in See.
Neffe: "Darwin sagt ziemlich am Anfang der Reise, dass er das vermessen findet, dem Schöpfer die Herstellung jeder einzelnen Art zuzumuten. Also er hat gleich am Anfang schon eine Idee entwickelt, die dann am Ende tragend sein wird, dass die Vielfalt der Arten, der Lebewesen, inklusive des Menschen, durch einen Prozess vonstattengegangen ist, den kein Schöpfer gesteuert hat, sondern der sich selbst steuert."
Die HMS Beagle im Hafen von Sydney im Jahr 1841: das Schiff, auf dem Charles Darwin als Naturforscher von 1831-1836 die südamerikanische Küste erkundete. Aquarell von Owen Stanley 1841.
Die HMS Beagle im Hafen von Sydney im Jahr 1841. Charles Darwins Forschungsreise auf der Beagle fand in den Jahren 1831-1836 statt (imago stock&people)
Fast fünf Jahre lang dauert die Reise auf der "Beagle", rund um die Welt. Jürgen Neffe ist Darwins Reiseroute gefolgt: geografisch und gedanklich. Neffe: "Die Zweifel kamen immer häufiger während der Reise, am prominentesten, dem bin ich ja auch nachgewandert, in den Anden. Da hat er sich gewundert, dass auf beiden Seiten der Berge ganz ähnliche, aber unterschiedliche Arten zu finden waren und dann hat er aufgeschrieben in seinem Notizbuch, das kann doch nicht sein, dass Gott für den Osten der Anden andere Arten geschaffen hat als für den Westen, obwohl die gleichen klimatischen Bedingungen bestehen. Also da formuliert er das ganz explizit. Dann die berühmte Reise nach Galapagos, da ist ihm das ganz klargeworden, dass die verschiedenen, wahrscheinlich aus einer eingewanderten Art hervorgehenden Echsen und Vögel und so weiter nicht von irgendeiner Schöpfungshand auf die Inseln gesetzt worden sind, sondern aus einem Prozess entstanden sind."
Blick in Charles Darwins Notibuch "B notebook" mit der legendären Zeile "I Think"
Blick in Charles Darwins Notizbuch (AP Archiv)

"Kränkungen der Menschheit"

Charles Darwin muss gewusst haben, dass seine Entdeckung ein Weltbild ins Wanken bringen würde, so wie Nikolaus Kopernikus, als der erkannt hatte, dass die Erde um die Sonne kreist und nicht umgekehrt. Sigmund Freud bezeichnete die Entdeckungen von Kopernikus und Darwin später als narzisstische Kränkungen der Menschheit: nicht im Mittelpunkt der Welt zu stehen und nicht die Krone der Schöpfung zu sein. Charles Darwin jedenfalls kannte das Konfliktpotenzial seiner Evolutionstheorie – und teilte sie zunächst nur mit Vertrauten. 1844 schrieb er an einen Freund:
"Inzwischen bin ich (…) überzeugt davon, dass die Arten nicht (es ist, als gestehe man einen Mord) unveränderlich sind."
Erst 1859, also mehr als zwanzig Jahre nach der Rückkehr von seiner Forschungsreise auf der "Beagle", veröffentlicht Darwin sein Hauptwerk "Über die Entstehung der Arten", auch weil er zu diesem Zeitpunkt fürchten muss, dass ein anderer Wissenschaftler ihm mit der gleichen Erkenntnis zuvorkommen könnte. In der Zwischenzeit hatte er weitere Beweise für seine Theorie gesammelt, die allesamt zeigen: Pflanzen und Tiere haben sich entwickelt, und es haben sich diejenigen Arten durchgesetzt, die wegen ihrer Merkmale besonders gut an ihre Umwelt angepasst waren. Es ist der gleiche Mechanismus, den sich Züchter zunutze machen – nur dauert die natürliche Auslese eben viel länger. Darwin selbst bezeichnet sein Buch einmal als "Evangelium des Teufels". Wie erwartet gibt es heftige Reaktionen, zunächst vor allem seitens der anglikanischen Kirche in Darwins Heimat. Auch im Vatikan ist man alarmiert – und dennoch landet das Buch nicht auf dem römischen Index.

Warum war Darwins Buch nicht auf dem Index?

"Also, wenn ich darauf die Antwort hätte, hätte ich darüber schon ein Buch geschrieben!", sagt Kirchenhistoriker Hubert Wolf. Wolf hat sich viele Jahrzehnte mit dem Archiv der Glaubenskongregation beschäftigt und untersucht, welche Werke warum indiziert wurden. Warum also nicht Darwin?
"Die erste Hypothese ist: In Rom wurden grundsätzlich nur Bücher untersucht und Bücher verboten, die angezeigt worden sind. Überraschenderweise ist Darwins Buch nicht in Rom angezeigt worden. Der zweite Punkt ist, die Lehre Darwins ist natürlich verurteilt worden, aber immer nur dann, wenn irgendjemand die Lehre Darwins in einen direkten Zusammenhang oder Widerspruch zur Schöpfungslehre gebracht hat."
Naturwissenschaftler seien deshalb fast immer ungeschoren davongekommen: "Man hat ja eigentlich nur Galileo als großen Naturwissenschaftler auf dem Index. Man hat keinen Darwin, keinen Newton, keine Quantenphysik. Aber man hat alle Theologen, die diese naturwissenschaftlichen Modelle aufgreifen, um sie in eine Verbindung zur Bibel zu bringen", sagt Wolf.
Zusammenstellung von Original-Zeichnungen aus Darwins "Variation in Animals and Plants under Domestication" von 1868: die Felsentaube (oben links) und einige Arten, die durch künstliche Selektion (selektive Züchtung nach Merkmalen) aus der Felsentaube hervorgegangen sind.
Original-Zeichnungen aus Darwins "Variation in Animals and Plants under Domestication" von 1868: die Felsentaube (oben links) und verwandte Arten, die durch künstliche Selektion aus der Felsentaube hervorgegangen sind (IMAGO / Nature Picture Library)
Einer, der das tat, war beispielsweise der französische Jesuit und Paläontologe Pierre Teilhard de Chardin. Er versuchte, Evolution und christliches Weltbild miteinander zu versöhnen, etwa in seinem Hauptwerk "Der Mensch im Kosmos", das er rund um das Jahr 1940 schrieb. Er konnte es allerdings nicht veröffentlichen, weshalb das Buch erst in seinem Todesjahr 1955 erschienen ist. Darin heißt es:
"Der Mensch ist nicht, wie er so lange geglaubt hat, fester Weltmittelpunkt, sondern Achse und Spitze der Entwicklung – und das ist viel schöner." (Pierre Teilhard de Chardin: "Der Mensch im Kosmos")

Papst: "Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese"

Der Vatikan hat sich mit der Evolutionstheorie lange schwergetan. Erst am 22. Oktober 1996, also vor 25 Jahren, schrieb Johannes Paul II. an die Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften:
"Heute geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen."
Viele Beobachter kommentierten das als längst überfällige Entscheidung. Das Nachrichtenmagazin "Focus" schrieb im Dezember desselben Jahres:
"Nachdem Johannes Paul II. in den vergangenen Jahren Kopernikus und Galilei rehabilitiert hatte, schloß er nun seinen Frieden mit Charles Darwin."
Zuvor hatte bereits Papst Pius der XII. die Tür für Darwin einen winzigen Spalt breit geöffnet: In seiner 1950 erschienenen Enzyklika "Humani Generis" hatte er die Evolutionstheorie immerhin als "ernsthafte Hypothese" bezeichnet, sie aber dennoch als Gefahr für den katholischen Glauben eingestuft. Johannes Paul blieb mit "mehr als eine Hypothese" ebenfalls bei einer vorsichtigen Formulierung. Kirchenhistoriker Hubert Wolf: "Also es bleibt bei aller gefeierten offiziellen Anerkennung der Evolutionstheorie doch ein bisschen schwammig. Er betont aber die prinzipielle Vereinbarkeit einer Evolutionslehre mit dem katholischen Glauben."
Allerdings hatte Johannes Paul hinzugefügt, eine rein materialistische Lesart der Evolutionstheorie sei mit der Wahrheit nicht vereinbar:
"Die Geistseele ist unmittelbar von Gott geschaffen."
Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf: "Jede materialistische Auslegung, die Gott überhaupt keinen Platz mehr einräumt, und die Würde und besondere Stellung des Menschen in der Schöpfung negiert, lehnt Johannes Paul II. genau in dieser Stellungnahme weiter ab."
Die Erschaffung Adams: ein Ausschnitt aus dem Deckenfresko des Malers Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle.
Folgen der Evolutionstheorie: Wurde der Mensch nicht als Krone der Schöpung und Ebenbild Gottes geschaffen? (imago/StockTrek Images/John Parrot)

"Gott mischt sich nicht ein in die Entstehung von Rüsselkäfern"

Viele Naturwissenschaftler sehen zwischen Schöpfungsglaube und Evolution heute keinen Konflikt mehr. Der Biologe und Darwin-Biograf Jürgen Neffe: "In meiner Gottesvorstellung ist Gott sehr viel größer als nur sich einzumischen in die Entstehung von Rüsselkäfern. Damit kann man seinen Frieden machen. Gott hat einen Prozess geschaffen, der dann mit allen negativen und positiven Folgen freigelaufen ist."
Die katholische Kirche zeige sich inzwischen weitgehend wissenschaftsfreundlich, beobachtet Hubert Wolf. Als Beispiel nennt er die Umweltenzyklika "Laudato Si", mit der Papst Franziskus dazu aufruft, wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel ernst zu nehmen. Bei einem anderen Thema hingegen gebe es im Vatikan überhaupt keine Rezeption naturwissenschaftlicher Modelle:
Wolf: "Der relativ harsche Umgang der Glaubenskongregation in diesem Jahr mit dem Thema homosexueller Partnerschaft und der Segnung homosexuell orientierter Menschen: Da wird in keinem einzigen Satz auf die Naturwissenschaften, auf die Erkenntnisse der Biologie, der Medizin, der Psychologie und der Sozialwissenschaften eingegangen. Da wird einfach gesagt: Das geht nicht, Punkt, Ende."

Keine Krone der Schöpfung

Mit Darwin hat der Vatikan seinen Frieden gemacht. Doch gibt es in vielen Religionsgemeinschaften und Kirchen scharfe Leugner der Evolutionstheorie: bibeltreue Kreationisten etwa, vor allem im amerikanischen evangelikalen Milieu. Sie glauben, dass die Erde etwa 6.000 Jahre alt ist, dass Gott den Menschen Eins zu Eins nach seinem Bild geschaffen hat, dass Tiere und Pflanzen unveränderlich sind. Weil der Schöpfergott sie so gemacht habe, wie wir sie heute kennen. Neo-Kreationisten sprechen auch vom "Intelligent Design", einem göttlichen Plan für das Universum. Das sei eine Herausforderung für die Naturwissenschaften, sagt Darwin-Biograf Jürgen Neffe: "Wenn ich sehe, dass mein Darwin-Buch in der Türkei nicht erlaubt ist, und in manchen Ländern verboten wird, und diese Lehre auch angezweifelt wird, dann ist das natürlich eine Bedrohung, weil wir Wissenschaftler verstehen uns ja als globale Gemeinde."
Anselm Oelze: "Wallace" - Im Schatten Darwins
Zwei Männer, zwei Entdeckungsreisen – und eine bahnbrechende Theorie: Der Roman "Wallace" erzählt von einem Wissenschaftsskandal im 19. Jahrhundert. Charles Darwin entwickelt seine Evolutionstheorie nicht allein, sondern mithilfe des Autodidakten Alfred R. Wallace – der aber in Vergessenheit gerät.

Evolutionsleugner: "Es gibt das mitten in Deutschland"

Dem Zweifel an der Evolution begegnet auch Beate Schneider im Neandertal-Museum. Häufig kämen Gruppen, Schüler etwa oder sogar Biologie-Lehrer in die Ausstellung, die nicht akzeptierten, dass Menschen und Affen miteinander verwandt sind, dass die Entstehung des Lebens auf der Erde keinem intelligenten Plan folgte. Diese Beobachtung deckt sich mit Untersuchungen des Gießener Biologiedidaktikers Dittmar Graf, der zeigen konnte, dass zahlreiche Lehramtsstudenten die Evolution anzweifeln oder nicht richtig verstanden haben.
Schneider: "Sie ist nicht nur in Amerika, wo wir das so gerne verorten, oder in Afrika, wo es in den Pentecostal-Bewegungen die Evolutionsleugner gibt. Es gibt das mitten in Deutschland, wir haben die Zeugen Jehovas, wir haben im Islam fundamentalistische Strömungen, wir haben die Evangelikalen und selbst bei den Anthroposophen haben wir Evolutionsleugner. Das ist sehr weit in unserer Gesellschaft verbreitet."
Türkei: Darwin muss draußen bleiben
Die Evolutionstheorie wird aus dem Lehrplan türkischer Schüler gestrichen. Ein gläubiger Muslim könne nicht ernsthaft behaupten, der Mensch stamme vom Affen ab, lautet die Begründung. Theologen widersprechen: Darwins Lehre sei mit dem Koran vereinbar.
Genau deshalb hat Beate Schneider zu diesem Thema eine eigene Führung konzipiert – mit dem Titel: "Evolution und Schöpfungsglaube". An verschiedenen Stationen diskutiert sie mit den Museumsbesuchern über Mythos und Religion, über Wissenschaft und Erkenntnis. In einer Vitrine zeigt sie eine Bibel aus den 1850er-Jahren und daneben das Buch von Charles Darwin "Über die Entstehung der Arten".

"Schon in der Bibel mehrere Schöpfungsgeschichten"

Schneider: "Und ich rede dann auch davon, dass wir schon in der Bibel mehrere Schöpfungsgeschichten haben, dass man vielleicht auch daran schon sieht, dass man das nicht als alleinige Wahrheit nehmen muss, sondern eher als Idee, wie so etwas entstanden sein könnte."
Die anglikanische Kirche, in deren Einflusssphäre Charles Darwin lebte, hat sich mit dem großen Denker übrigens sehr schnell arrangiert. Die anglikanisch geprägten Universitäten Oxford und Cambridge beispielsweise nahmen die Evolutionslehre schon wenige Jahre nach Darwins Veröffentlichung auf den Lehrplan. Und als der Naturforscher 1882 im Alter von 73 Jahren starb, gewährte ihm die Kirche ein großes Begräbnis samt Beisetzung in der ehrwürdigen Westminster Abbey. Biograf Jürgen Neffe schreibt:
"Die anglikanische Kirche sieht in dem Gottesdienst in der Abbey eine Chance, Wissenschaft und Glauben wieder ein Stück weit zu versöhnen. So geschieht es, dass der geschmähte Antichrist, der die Erlösung der Menschheit durch den Gekreuzigten für ein Hirngespinst hielt, (…) unter Glockengeläut und dem Chorgesang ‚Ich bin die Auferstehung‘ wie in einem Staatsakt in das Haus Gottes getragen wird."