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Ewald Ochel
„Was die nächste Zeit bringen wird, sind Kämpfe“

Der Historiker Joachim Schröder hat die Autobiographie des kommunistischen Aktivisten Ewald Ochel herausgegeben und bietet damit einen ungewöhnlichen und höchst parteiischen Einblick in die blutige Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik.

Von Melanie Longerich | 25.02.2019
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Buchcover Ewald Ochel „Was die nächste Zeit bringen wird, sind Kämpfe“. Erinnerungen eines Revolutionärs (1914–1921) (Buchcover Metropol Verlag/ Hintergrund: Flugblätter der Spartakisten, World History Archive)
Das Ende des Kaiserreiches, ein bisschen Novemberrevolution und schließlich die Weimarer Republik, die erste Demokratie auf deutschem Boden: Oft wird diese Zeit vor einhundert Jahren wie ein zielgerader Weg gezeichnet. Dabei können Blicke nach links und rechts sehr gewinnbringend sein. Die rechten Seitenblicke wurden oft schon abgedruckt – etwa die Erinnerungen von Freikorps-Mitgliedern wie Ernst von Salomon.
Den eher selten gehörten Gegenpart bieten die Erinnerungen des Aktivisten Ewald Ochel, die der Historiker Joachim Schröder herausgegeben hat. Ewald Ochel, ein radikaler Linker und Lebemann, kein Theoretiker – eher der Typ handfester Praktiker, kämpfte in Düsseldorf und München für eine sozialistische Republik nach rätedemokratischem Muster.
"Die Perspektive Ewald Ochels ist höchst parteiisch. Sie ist aber zugleich die eines politischen Aktivisten, dessen Ansichten von einem beachtlichen Teil der damaligen Bevölkerung geteilt wurden." Schreibt Joachim Schröder in seinem Vorwort. Der auf die NS-Zeit spezialisierte Historiker leitet mittlerweile den Erinnerungsort "Alter Schlachthof" an der Hochschule Düsseldorf. Bei den Recherchen für seine Dissertation stieß Schröder auf Ochels Manuskript. Und das liefert amüsante und sehr selbstbewusste Einblicke in ein Berufsbild, das mit der Novemberrevolution entstanden ist: Den Revolutionsbummler. Also der örtlich ungebundene Ausständler, den es dorthin zieht, wo es gerade brodelt.
"Zumeist, aber nicht immer sozialdemokratisch und/ oder gewerkschaftlich sozialisiert, durch das schockierende Erlebnis des Weltkriegs extrem radikalisiert und bereit, auch mit Gewalt für ihr Ziel, die Revolution, einzutreten. Aus allen Teilen Deutschlands strömten sie in die unruhigen, revolutionären Zentren, nach Berlin, ins Ruhrgebiet, nach Bremen, Hamburg oder München."
Enttäuschter Genosse
Ewald Ochel wird 1875 in eine Dortmunder Arbeiterfamilie geboren. Der gelernte Steinmetz engagiert sich früh in der Arbeiterbewegung in Düsseldorf. Den ausgerufenen Krieg lehnt er ab, den am 4. August 1914 geschlossenen sogenannten "Burgfrieden" zwischen den Regierenden und der bis dahin oppositionellen Sozialdemokratie empfindet er – wie so viele linke Parteigenossen in dieser Zeit - als Verrat:
"Wie viele gingen, getäuscht durch Lügen, als Kanonenfutter für imperialistische Eroberungsziele in den Tod! Welch schwere Aufgaben standen uns bevor, die Gehirne betörter Genossen zum klaren Denken zu bringen."
Ewald Ochel beteiligt sich an Antikriegsaktionen, gerät in Konflikte mit der Staatsmacht – und flüchtet vor dem Fronteinsatz in die Niederlande. Dort engagiert er sich in einer sozialistischen Gruppe, ständig drangsaliert von der "Abwehrkanone", wie Ewald Ochel sie abfällig nennt:
"Die deutsche Abwehr, die in den Niederlanden aktiv ist, die genau wissen, es gibt da Hunderte, tausende, die genaue Zahl kennen wir gar nicht, deutscher Deserteure, die sich entzogen haben dem Dienst fürs Vaterland sozusagen, die lieber ihr Leben retten wollten, als irgendwo in Frankreich im Schützengraben zu vermodern. Und die deutsche Abwehr versucht diese Leute halt dingfest zu machen."
Mann der Tat und der großen Worte
Als im deutschen Reich die Novemberrevolution ausbricht, kehrt Ewald Ochel enthusiastisch nach Düsseldorf zurück. Er tritt der frisch gegründeten KPD bei und wird einer der Verhandlungsführer der Spartakisten bei ihrer kurzen Herrschaft am Rhein – bevor sie Ende Februar 1919 von Regierungs- und Freikorpstruppen niedergeschlagen werden. Ewald Ochel flieht nach München "und knüpft dort direkt an das an, was er in Düsseldorf gemacht hat. Das macht nicht nur Ochel, es gibt auch aus Berlin viele Leute, die fliehen nach München, weil im März in München sozusagen die Lage gärt. Eisner wurde gerade ermordet, und es findet eine erhebliche Radikalisierung statt. Und so kommt es eben am 7. April zur Ausrufung der Räterepublik in München, wo Ochel dann mit dabei ist."
Wie schon in Düsseldorf: Ewald Ochel mischt ganz vorne mit, verhandelt für die Räteregierung in Landsberg.
"Stellenweise dachte ich wirklich, der trägt etwas dick auf, das kann eigentlich so nicht sein. Aber das gehörte zu den großen Überraschungen, als ich mich länger mit dem Stück beschäftigt habe und in Archiven gewesen bin, Dokumente gesehen habe, dass man immer so kleine Geschichten wiederfand in Quellen, Dokumenten, dass sie sich als richtig erwiesen."
Wie etwa die kleine Episode, als Ewald Ochel aus Landsberg abends wieder nach München kommt und sein Hotel schon geschlossen hat.
"Irgendwann nimmt er seinen Revolver und schlägt eine Scheibe ein. Und ich habe dann später wirklich im Archiv, beim Durchblättern seiner Polizeiakte, die dort angelegt ist, eine Anzeige gefunden vom Besitzer des Hotels Bayerischer Hof, der sich beschwert, wie Ochel sich dort einquartiert hat, sich ungehörig benommen hat. Alle hatten Angst vor ihm, keiner hat sich getraut, irgendetwas zu sagen wegen seines Verhaltens."
Mit großem Tamtam zurück zur SPD
Doch bekanntlich war auch die Münchner Räterepublik nur von kurzer Dauer. Bis 1921 sitzt Ewald Ochel in Festungshaft und wird dann in Schutzhaft genommen – also auf unbestimmte Zeit inhaftiert. Doch ihm gelingt die Flucht. Er kehrt nach Düsseldorf zurück und bleibt dank einer Amnestie unbehelligt. Bis 1928 ist er Chef der KPD-Fraktion im Stadtrat – und kehrt dann 1929, ausgerechnet am 1. Mai, mit großem Tamtam zur SPD zurück. Die schleichende Stalinisierung der KPD will er nicht mittragen.
"Deswegen war er eigentlich ab 1929 außer Gefecht. Politisch gesehen, was ihm vermutlich das Leben gerettet hat, weil er dann 1933 nicht mehr auf der Liste der Nazis stand, die sofort verhaftet wurden und ins KZ geschickt wurden."
Natürlich ist eine Autobiographie immer eine Konstruktion von Erinnerung. Und doch ist Ochels ein höchst lesenswertes und dazu lebendiges Zeitzeugendokument. Dank des einordnenden Fußnotenapparates fühlt sich der Leser stets gut begleitet beim rechts und links Schauen des Wegs hin zur ersten deutschen Demokratie. Die eben durchaus blutig und mit vielen Toten begann.
Ewald Ochel: "Was die nächste Zeit bringen wird, sind Kämpfe." Erinnerungen eines Revolutionärs (1914–1921),
Herausgegeben und mit einer biografischen Notiz versehen von Joachim Schröder, Metropol Verlag, 311 Seiten, 19,00 Euro.