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Ex-Balkan-Beauftragter: EU muss auf Abschluss der Kosovo-Verhandlungen dringen

Wolfgang Petritsch, ehemaliger Balkan-Beauftragter der EU, befürchtet infolge des Wahlergebnisses in Serbien Verzögerungen bei den Verhandlungen über den künftigen Status des Kosovo. Die Zerstrittenheit des demokratischen Blocks lasse eine langwierige Regierungsbildung erwarten. "Da könnte durchaus noch ein Verzögerungsfaktor auch für die Kosovo-Verhandlungen drinstecken", sagte Petritsch.

Moderation: Elke Durak | 22.01.2007
    Elke Durak: Serbien hat also gewählt. Sie haben es in den Nachrichten vielleicht gehört. Das so genannte demokratische Lager geht als Sieger hervor. Die nationalistischen Radikalen von der SAS sind zwar stärkste Partei geworden, aber haben eben nicht die absolute Mehrheit gewonnen. Aber die Spitzenpolitiker der demokratischen Parteien sind tief zerstritten, der bisher amtierende Regierungschef Kostunica und Staatspräsident Boris Tadic. Beide wollen Ministerpräsident werden und Streitpunkte gibt es noch mehr.

    Am Telefon ist jetzt also Wolfgang Petritsch, ehemals EU-Balkan-Beauftragter, jetzt Botschafter Österreichs bei der UNO in Genf. Schönen guten Morgen, Herr Petritsch!

    Wolfgang Petritsch: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Was erwarten Sie denn nun nach diesen Wahlergebnissen, was in Serbien geschieht?

    Petritsch: Das Ergebnis war eher enttäuschend, aber es war wohl so zu erwarten. Vielleicht der einzig positive Aspekt daran ist, dass es einen gewissen Trend Richtung demokratische Parteien gibt. Allerdings ist der nicht sehr stark.

    Ich erwarte mir jetzt schwierige Verhandlungen in der Endphase der Kosovo-Statusverhandlungen. Das wird natürlich insgesamt auch sich auf die serbische Innenpolitik auswirken. Das heißt, ich erwarte mir dort sehr lange Verhandlungen, weil eben, wie Sie bereits gesagt haben, der demokratische Block eigentlich kein Block ist, sondern in sich tief gespalten ist. Dazu kommt auch noch das Problem, dass laut serbischer Verfassung innerhalb von 90 Tagen es zu einer Regierung kommen muss. Da könnte durchaus noch ein Verzögerungsfaktor auch für die Kosovo-Verhandlungen drinstecken.

    Durak: Und doch, Herr Petritsch, soll ja, was den künftigen Status des Kosovo betrifft, in wenigen Tagen schon der Vorschlag des finnischen Vermittlers Ahtisaari vorliegen und auch diskutiert werden. Die EU könnte auch demnächst bald die Verantwortung für das Kosovo von der UNO übernehmen, auch die militärische Verantwortung für die KFOR-Truppen, also das Kosovo-Hauptthema. Worauf besteht die EU, worauf muss sie bestehen?

    Petritsch: Die EU muss natürlich darauf bestehen, dass die so genannten Statusverhandlungen zu einem positiven Ende gebracht werden innerhalb einer bestimmten Zeit. Es gibt jetzt bereits Verzögerungen. Also man kann jetzt nicht mehr sehr, sehr lange damit warten.

    Andererseits muss man natürlich auf die innenpolitischen Verhältnisse in Serbien Rücksicht nehmen, damit man die pro-demokratischen und pro-europäischen Kräfte nicht noch weiter schwächt. Das ist natürlich ein riesengroßes Problem für die Bürger dieses Staates, die seit eineinhalb Jahrzehnten nicht wissen, in welchem Staat sie eigentlich leben, vom alten Jugoslawien ins kleine so genannte Rest-Jugoslawien, dann weiter nach Serbien und Montenegro, nun Serbien und jetzt die letzte Etappe des Zerfalls mit der wohl sehr wahrscheinlichen Abtrennung des Kosovo. Also da kommt sehr, sehr viel jetzt auf die internationalen Verhandler und vor allem auch auf die Europäische Union zu. Letzten Endes aber muss das eine Entscheidung sein, die im UNO-Sicherheitsrat abgesichert und entschieden wird. Erst dann kann die Europäische Union sinnvoll tätig werden.

    Durak: Also entscheiden können die Serben die Kosovo-Frage selbst eigentlich nicht, weil die UNO entscheidet?

    Petritsch: Genau. Das Kosovo ist ja eigentlich schon seit 1999 nicht mehr bei Serbien. Insofern ist es in gewisser Weise eine virtuelle Frage, die jetzt beantwortet wird, aber sie ist umso realer in den Köpfen und Gefühlen der Menschen in Serbien. Insbesondere ist es natürlich auch ein politisches Thema, das von den Radikalen jetzt doch wiederum sehr erfolgreich im Wahlkampf, wenngleich es nicht das Hauptthema gewesen ist, aber doch eingesetzt werden konnte.

    Durak: Es ist ja nicht auszuschließen, Herr Petritsch, dass die Radikalen die Debatten um das Kosovo nutzen, vor allem wenn den Serben richtig bewusst wird, dass sie eigentlich keine Entscheidung treffen können über das Kosovo, über den zukünftigen Status, dass es Unruhen gibt. Dann gilt es, die Gretchen-Frage für die internationale Gemeinschaft zu beantworten. Greifen wir ein und wenn ja wie? Militärisch?

    Petritsch: Ich bin der Meinung, dass es auch die Radikalen - und das haben sie bereits auch im Wahlkampf angekündigt - nicht auf eine militärische oder gewaltsame Auseinandersetzung ankommen lassen wollen. Dennoch ist größte Aufmerksamkeit notwendig. Man muss jetzt wirklich mit Belgrad im konstanten Kontakt und Gespräch bleiben und versuchen, einfach durch Überzeugungsarbeit die politische Klasse dort dazu zu bringen, eben auch beruhigend auf ihre eigene Bevölkerung zu wirken. Auch ein Appell an die Kosovo-Albaner wird notwendig sein. Jetzt, glaube ich, ist wirklich eine umfassende Auseinandersetzung und Befassung mit der Kosovo-Frage notwendig. Die nächsten Monate werden entscheidend sein.

    Durak: Zweiter schwieriger Punkt zwischen der EU und Serbien, Herr Petritsch, ist die Auslieferung des ehemaligen Armeechefs der bosnischen Serben, Mladic. Worauf muss die EU bestehen?

    Petritsch: Auf dem Prinzip, dass angeklagte Kriegsverbrecher vor das Gericht in Den Haag kommen müssen früher oder später. Es ist ohnehin schon sehr spät. Ich glaube nur, in den nächsten Monaten kann das von Brüssel aus gesehen jedenfalls nicht die Priorität sein. Das darf jedoch nicht von der Agenda verschwinden.

    Durak: Nicht Priorität?

    Petritsch: Kann es nicht sein.

    Durak: Weshalb?

    Petritsch: Man muss sich jetzt voll wirklich auf das Management dieses Konfliktes in der Endphase konzentrieren können.

    Durak: Ein kleiner Unterschied fällt ja auf, wenn man sich die Sache betrachtet. Die NATO ist Serbien deutlich mehr entgegengekommen als die EU. Die NATO hatte die Mitgliedschaft im Programm "Partnerschaft für Frieden" angeboten. Die EU besteht auf voller Kooperation in den beiden genannten Fragen. Vorrang hat natürlich das Kosovo. Sind die EU-Erwartungen da realistisch?

    Petritsch: Deshalb meine ich ja, dass man in der Frage Mladic zwar nicht vom Prinzip abweichen soll, aber andererseits flexibel sich verhalten soll. Ich glaube, dass jetzt die Perspektive eines EU-Beitrittes beziehungsweise der konkreten Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen und weitere Hilfsmaßnahmen für Serbien auf der Tagesordnung stehen müssen. Damit sollte man sich jetzt auseinandersetzen und nicht so sehr den Fall Mladic in den Vordergrund schieben. Das hätte im Augenblick wenig Sinn und würde politisch eher kontraproduktiv sein.

    Durak: Herr Petritsch, noch einmal zum Kosovo. Sie haben ja nun wirklich vielfältige, reichhaltige Erfahrungen. Ihre persönliche Auffassung: Der zukünftige Status des Kosovo, wie sollte er beschaffen sein, wenn es dem Balkan, der Region Nutzen bringen soll?

    Petritsch: Auf jeden Fall wird sich die Europäische Union noch über viele Jahre hinaus sehr intensiv im Kosovo engagieren müssen. Ohne Europa wird Kosovo nicht nach Europa kommen können. Es gibt vielfältige Fragen: natürlich die, die verhandelt werden, eine entsprechende Absicherung der Minderheiten, insbesondere der serbischen Minderheit, eine Dezentralisierung und dann vor allem natürlich ökonomischer Wiederaufbau. Ohne ökonomische Wirtschaftsreformen wird es nicht gehen. Es ist ja auch ein riesengroßes Problem mit dem De-facto-Stopp der traditionellen kosovarischen Auswanderung Richtung Europa. Es sammelt sich im Augenblick im Kosovo selbst eine durchaus brisante Mischung an sozialen und politischen Herausforderungen an, und da muss die Europäische Union sehr, sehr nahe dran bleiben. Hier wird es auf Jahre hinaus notwendig sein, sich intensiv damit zu beschäftigen.

    Durak: Unabhängig von Serbien?

    Petritsch: Ich glaube, man sollte hier vor allem die Region sehen. Es ist ja nicht so, dass man dort jetzt Kosovo isoliert betrachten kann. Das hat natürlich Auswirkungen auf Serbien, sehr starke sogar, aber auch auf die Nachbarn Mazedonien, Bosnien-Herzegowina. Das heißt, hier wird es notwendig sein, sich mit der gesamten Region über die nächsten Jahre hinweg intensiv auseinanderzusetzen. Das ist der eigentliche Test für die Europäische Union, für ihre gemeinsame Sicherheitspolitik insbesondere, und wird wohl auch der nächste Schritt Richtung Integration dieses Raumes in die Europäische Union sein. Das allerdings liegt noch ziemlich weit in der Zukunft.

    Durak: Wolfgang Petritsch, ehemaliger EU-Balkan-Beauftragter, jetzt Botschafter Österreichs bei der UNO in Genf. Herzlichen Dank, Herr Petritsch, für das Gespräch.

    Petritsch: Dankesehr.