Elke Durak: Mitgehört hat Hans Klein, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht. Herr Klein, würden Sie gerne diese Frage noch mitentscheiden, wenn Sie Richter sein könnten noch?
Hans Klein: Es ist immer reizvoll, an wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts teilzunehmen. Aber ich bin nun seit über neun Jahren ausgeschieden und ich beneide die Kollegen, die jetzt zu entscheiden haben, darum nicht.
Durak: Weshalb eigentlich nicht? Ist die Lage nicht klar für die Richter?
Klein: Die Lage ist natürlich mit einigen Unklarheiten behaftet.
Durak: Welchen?
Klein: Die entscheidende Frage ist die, ob der Bundeskanzler zu Recht annehmen konnte, dass ihm eine tragfähige Mehrheit im Bundestag auf Dauer nicht zur Verfügung steht.
Durak: Manche sagen ja auch, die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers habe der SPD nur als Vehikel gedient, sich selbst aus einer Vertrauens- und Schaffenskrise zu bringen. Mit anderen Worten: Ist der Bundespräsident missbraucht worden politisch?
Klein: Nein das, glaube ich, kann man so nicht sagen - wenn es so wäre, dann hätte der Bundespräsident ja auf einer verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Grundlage entschieden und dann müsste in der Tat auch das Bundesverfassungsgericht auch die Durchführung dieser Wahl verhindern. Aber die Maßstäbe, die der Senat im Jahre 1983 gesetzt hat, sprechen gegen diese Deutung.
Durak: Diese Maßstäbe von 1983 beziehen sich auf das Kohl'sche Neuwahlbegehren und die Schlussfolgerungen des Gerichtes. Herr Klein, aber haben diese Schlussfolgerungen letztlich nicht den heutigen Bundespräsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit derart eingeengt, dass er gar nicht anders entscheiden konnte?
Klein: Nein, das sehe ich nicht so. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja mit der verfassungsrechtlichen Vorfrage beschäftigt, die natürlich auch für den Bundespräsidenten jetzt entscheidend war, nämlich: Durfte der Bundeskanzler in der geschehenen Weise die Vertrauensfrage stellen? Etwas anderes ist nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes - wohl aber des Bundespräsidenten. Der Bundespräsident hat, wenn er die Voraussetzung, die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Auflösung des Bundestages für gegeben erachtet, ja in eine zweite Stufe seiner Überlegungen einzutreten, und da ist er völlig ungebunden. Er hat nämlich zu entscheiden, ob es politisch richtig ist, den Bundestag in dieser Situation aufzulösen oder nicht. Und das sind politische Erwägungen, über die das Bundesverfassungsgericht nicht entscheidet.
Durak: Worüber entscheidet dann eigentlich das Bundesverfassungsgericht, wenn wir immer wieder hören, es geht um die Einhaltung des Grundgesetzes?
Klein: Das Bundesverfassungsgericht - wie schon gesagt - entscheidet darüber, ob der Bundeskanzler zu Recht von der Annahme ausgehen konnte, dass er eine tragfähige Mehrheit auf Dauer nicht besitzt, und ob der Bundespräsident zu Recht sich diesen Standpunkt des Bundeskanzlers zu eigen gemacht hat. Allerdings muss man sagen, dass das Bundesverfassungsgericht diese Frage nur in einem sehr weiten Rahmen - man kann sagen, nur auf Missbrauch hin - überprüft. Es räumt beiden Verfassungsorganen - Bundeskanzler und Bundespräsident - dabei einen je eigenen, verfassungsgerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum ein.
Durak: Herr Klein, die Entscheidung des Bundespräsidenten ist eine politische Entscheidung. Zu einer politischen Entscheidung ist auch das Volk in der Lage - das will mehrheitlich Neuwahlen. Dagegen steht unter Umständen das Grundgesetz, vertreten und verteidigt durch das Bundesverfassungsgericht. Inwieweit darf denn der Wille des Volkes vom Grundgesetz gebeugt werden?
Klein: Also, der Wille des Volkes wird nicht vom Grundgesetz gebeugt, weil das Grundgesetz der fundamentale Ausdruck des Willens des Volkes ist. Und das Bundesverfassungsgericht sorgt dafür, dass die Entscheidungen des Grundgesetzes auch in der Verfassungswirklichkeit Geltung haben.
Durak: Dann müsste das Grundgesetz ergänzt werden unter Umständen durch ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages?
Klein: Darüber wird seit 30 Jahren diskutiert. Bisher hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber zu dieser Entscheidung nicht durchgerungen. Aber das ist eine durchaus diskutable Alternative, die allerdings nicht realisiert werden kann - nach meinem Dafürhalten -, wenn nicht der Bundestag beziehungsweise der verfassungsändernde Gesetzgeber zugleich Vorsorge dafür trifft, dass der Artikel 68, um den es jetzt geht, im Falle der Einführung eines solchen Selbstauflösungsrechtes jedenfalls nicht mehr in der bisherigen Weise zur Anwendung gelangen kann.
Durak: Das kann man doch aber sozusagen praktikabel machen, um sozusagen das Grundgesetz der demokratischen Reife des Volkes anzupassen oder umgekehrt?
Klein: Das kann man machen - wenn man es will.
Hans Klein: Es ist immer reizvoll, an wichtigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts teilzunehmen. Aber ich bin nun seit über neun Jahren ausgeschieden und ich beneide die Kollegen, die jetzt zu entscheiden haben, darum nicht.
Durak: Weshalb eigentlich nicht? Ist die Lage nicht klar für die Richter?
Klein: Die Lage ist natürlich mit einigen Unklarheiten behaftet.
Durak: Welchen?
Klein: Die entscheidende Frage ist die, ob der Bundeskanzler zu Recht annehmen konnte, dass ihm eine tragfähige Mehrheit im Bundestag auf Dauer nicht zur Verfügung steht.
Durak: Manche sagen ja auch, die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers habe der SPD nur als Vehikel gedient, sich selbst aus einer Vertrauens- und Schaffenskrise zu bringen. Mit anderen Worten: Ist der Bundespräsident missbraucht worden politisch?
Klein: Nein das, glaube ich, kann man so nicht sagen - wenn es so wäre, dann hätte der Bundespräsident ja auf einer verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Grundlage entschieden und dann müsste in der Tat auch das Bundesverfassungsgericht auch die Durchführung dieser Wahl verhindern. Aber die Maßstäbe, die der Senat im Jahre 1983 gesetzt hat, sprechen gegen diese Deutung.
Durak: Diese Maßstäbe von 1983 beziehen sich auf das Kohl'sche Neuwahlbegehren und die Schlussfolgerungen des Gerichtes. Herr Klein, aber haben diese Schlussfolgerungen letztlich nicht den heutigen Bundespräsidenten in seiner Entscheidungsfreiheit derart eingeengt, dass er gar nicht anders entscheiden konnte?
Klein: Nein, das sehe ich nicht so. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ja mit der verfassungsrechtlichen Vorfrage beschäftigt, die natürlich auch für den Bundespräsidenten jetzt entscheidend war, nämlich: Durfte der Bundeskanzler in der geschehenen Weise die Vertrauensfrage stellen? Etwas anderes ist nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes - wohl aber des Bundespräsidenten. Der Bundespräsident hat, wenn er die Voraussetzung, die verfassungsrechtliche Voraussetzung für die Auflösung des Bundestages für gegeben erachtet, ja in eine zweite Stufe seiner Überlegungen einzutreten, und da ist er völlig ungebunden. Er hat nämlich zu entscheiden, ob es politisch richtig ist, den Bundestag in dieser Situation aufzulösen oder nicht. Und das sind politische Erwägungen, über die das Bundesverfassungsgericht nicht entscheidet.
Durak: Worüber entscheidet dann eigentlich das Bundesverfassungsgericht, wenn wir immer wieder hören, es geht um die Einhaltung des Grundgesetzes?
Klein: Das Bundesverfassungsgericht - wie schon gesagt - entscheidet darüber, ob der Bundeskanzler zu Recht von der Annahme ausgehen konnte, dass er eine tragfähige Mehrheit auf Dauer nicht besitzt, und ob der Bundespräsident zu Recht sich diesen Standpunkt des Bundeskanzlers zu eigen gemacht hat. Allerdings muss man sagen, dass das Bundesverfassungsgericht diese Frage nur in einem sehr weiten Rahmen - man kann sagen, nur auf Missbrauch hin - überprüft. Es räumt beiden Verfassungsorganen - Bundeskanzler und Bundespräsident - dabei einen je eigenen, verfassungsgerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum ein.
Durak: Herr Klein, die Entscheidung des Bundespräsidenten ist eine politische Entscheidung. Zu einer politischen Entscheidung ist auch das Volk in der Lage - das will mehrheitlich Neuwahlen. Dagegen steht unter Umständen das Grundgesetz, vertreten und verteidigt durch das Bundesverfassungsgericht. Inwieweit darf denn der Wille des Volkes vom Grundgesetz gebeugt werden?
Klein: Also, der Wille des Volkes wird nicht vom Grundgesetz gebeugt, weil das Grundgesetz der fundamentale Ausdruck des Willens des Volkes ist. Und das Bundesverfassungsgericht sorgt dafür, dass die Entscheidungen des Grundgesetzes auch in der Verfassungswirklichkeit Geltung haben.
Durak: Dann müsste das Grundgesetz ergänzt werden unter Umständen durch ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages?
Klein: Darüber wird seit 30 Jahren diskutiert. Bisher hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber zu dieser Entscheidung nicht durchgerungen. Aber das ist eine durchaus diskutable Alternative, die allerdings nicht realisiert werden kann - nach meinem Dafürhalten -, wenn nicht der Bundestag beziehungsweise der verfassungsändernde Gesetzgeber zugleich Vorsorge dafür trifft, dass der Artikel 68, um den es jetzt geht, im Falle der Einführung eines solchen Selbstauflösungsrechtes jedenfalls nicht mehr in der bisherigen Weise zur Anwendung gelangen kann.
Durak: Das kann man doch aber sozusagen praktikabel machen, um sozusagen das Grundgesetz der demokratischen Reife des Volkes anzupassen oder umgekehrt?
Klein: Das kann man machen - wenn man es will.