Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Ex-Doppelagent
Giftanschlag in Großbritannien?

Sergej Skripal war 2006 in Russland wegen Spionage für die Briten zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. 2010 kam er vorzeitig frei. Am 4. März wurde er nun zusammen mit einer noch unbekannten Frau bewusstlos in England aufgefunden. Der Fall weckt bei Regierungskritikern Assoziationen zum Fall Alexander Litwinenko.

Von Friedbert Meurer | 06.03.2018
    A poice officer stands guard outside a branch of the Italian chain restaurant Zizzi close to The Maltings shopping centre in Salisbury, southern England, on March 6, 2018 which was closed in connection to the ongoing major incident sparked after a man and a woman were found critically ill on a bench at the shopping centre on March 4. British police raced Tuesday to identify an unknown substance that left a former Russian double agent fighting for his life, in what a senior lawmaker said bore the hallmarks of a Russian attack. Moscow said it had no information about the "tragic" collapse of the man, identified by the media as Sergei Skripal, in the quiet southern English city of Salisbury on Sunday, but said it would be happy to cooperate if requested by British authorities. Specialist officers from the counter-terrorism squad are helping investigate the incident, which also left a 33-year-old woman -- reported to be Skripal's daughter Yulia -- in a critical condition in what is feared to be a poison plot. / AFP PHOTO / Chris J Ratcliffe
    Auf einer Bank vor diesem Einkaufszentrum südwestlich von London wurden der Ex-Agent Sergej Skripal und seine Tochter bewusstlos aufgefunden. Die Ermittlungen laufen. (AFP)
    Vor einem Einkaufzentrum in der Kleinstadt Salisbury südwestlich von London saßen am späten Sonntag zwei Personen auf einer Parkbank. Ein älterer Mann und eine jüngere Frau. Eine Augenzeugin beobachtete die Szene: "Sie saßen rechts auf der Bank. Sie lehnte sich an ihn, als sei sie bewusstlos. Er bewegte seine Hände so merkwürdig und deutete zum Himmel. Ich wusste nicht, wie ich Ihnen helfen könnte."
    Die beiden auf der Parkbank wurden ins Krankenhaus eingeliefert und befinden sich in einem kritischen Zustand. Die Polizei hat den Tatort abgesperrt. Experten in Strahlenanzügen suchen nach Spuren, auch nach radioaktiven. Anwohner oder Personen, die sich in der Nähe aufhielten und sich unwohl fühlen, sollen die Notrufnummer wählen.
    Ob und womit die beiden vergiftet wurden, ist aber noch nicht sicher. Polizeisprecher Craig Holden gestern Abend: "Die beiden kannten sich wohl. Sie hatten keine sichtbaren Verletzungen. Es wird vermutet, dass sie eine unbekannte Substanz zu sich nahmen. Wir bitten zum jetzigen Zeitpunkt darum, nicht über die Ursachen zu spekulieren."
    Russland hätte Motiv und Gelegenheit
    Inzwischen haben sich aber auch britische Anti-Terror-Spezialisten in die Untersuchung eingeschaltet. Denn der ältere Mann heißt Sergej Skripal, 66 Jahre alt, ein früherer Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes. Die Identität der jungen Frau ist auch geklärt: Sie ist seine Tochter. Skripal war ein Doppelagent, denn er arbeitete auch für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6. 2006 flog er auf, wurde zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. 2010 kam er im Rahmen eines spektakulären Austauschs von Spionen nach Großbritannien.
    Der Fall erinnert an den früheren abtrünnigen KGB-Mann Alexander Litwinenko, der 2006 nach Überzeugung einer britischen Untersuchungskommission vom russischen Geheimdienst mit radioaktivem Polonium ermordet wurde. Der Richter sah es als erwiesen an, dass die russische Regierung den Mord in Auftrag gab – vermutlich, aber nicht sicher, mit Wissen Wladimir Putins.
    "Der russische Geheimdienst und Putins Regime hatten auch jetzt das Motiv und die Gelegenheit, diese Tat zu begehen", vermutete Litwinenkos russischer Freund und Regimekritiker Alexander Goldfarb heute Morgen. "Sie haben es schon einmal getan. Die Mehrheit der Russen hält Sergej Skripal für einen Verräter, der seine Strafe verdient."
    Schrank mit möglichen Sanktionen ist leer, sagt Ex-Botschafter
    Skripal hatte dem MI6 seit den 90er-Jahren die Klarnamen russischer Spione in Großbritannien geliefert. Die Polizei fand jeweils keine Spuren. Die Witwe Alexander Litwinenkos, Marina, hielt sich heute Morgen mit einer Verurteilung noch zurück, forderte aber mehr Polizeischutz für Exilrussen in Großbritannien: "Wer hier politisches Asyl findet, sollte auch in Sicherheit sein. Der britische Staat muss die Gefahr ernster nehmen und diejenigen beschützen, die hier in Großbritannien Schutz suchen."
    Sollte sich bestätigen, dass auf den Doppelagenten Sergej Skripal ein Giftanschlag auf britischem Boden verübt wurde, würde das nach dem Fall Litwinenko die Beziehungen Londons zu Moskau erheblich belasten. Ein ehemaliger britischer Botschafter in Moskau aber warf ein, "der Schrank mit möglichen Sanktionen" sei längst leer. Russland habe nichts mehr zu verlieren und könne tun und lassen, was es wolle.