Donnerstag, 28. März 2024

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Ex-Gesundheitsminister Gröhe (CDU)
„Widerspruchslösung gleich mehr Organe stimmt nicht“

Der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bezweifelt, dass durch eine Widerspruchslösung mehr Organe gespendet würden. Wichtiger sei, das Meldewesen und die Identifizierung potentieller Spender zu verbessern, sagte er im Dlf.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Philipp May | 16.01.2020
Hermann Gröhe (CDU) spricht im Bundestag
Der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) spricht sich gegen die Widerspruchslösung bei Organspenden aus (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
Philipp May: Es ist eine Gewissensentscheidung der Bundestagsabgeordneten heute. Einen Fraktionszwang gibt es wie gesagt nicht. Die Lager sind quer durch die Parteien verteilt. Es geht um die Neuregelung des Organspendegesetzes, um die Zahl der Organspenden insgesamt in Deutschland zu erhöhen. Zwei aussichtsreiche Vorschläge gibt es.
Schon am Montag haben wir über dieses Thema den Ex-Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, befragt. Er hat seiner Frau vor sieben Jahren selbst eine Niere gespendet und ist für die Widerspruchslösung von Jens Spahn. Jetzt ist der CDU-Politiker Hermann Gröhe am Telefon, Parteikollege und Amtsvorgänger von Spahn als Gesundheitsminister. Er ist Gegner der Widerspruchslösung und unterstützt den Alternativantrag. Herr Gröhe, schönen guten Morgen!
Hermann Gröhe: Guten Morgen, Herr May.
May: Die Bundesärztekammer, die Deutsche Transplantationsgesellschaft, die Fachgesellschaften der Lungenärzte, Nierenärzte, Urologen, Intensivmediziner, Notfallmediziner, außerdem die Deutsche Stiftung Organtransplantation, die Stiftung Eurotransplant, alle sprechen sich für die Widerspruchslösung aus. Warum widersprechen Sie den Experten?
Entscheidung vs. Widerspruch / Worum es bei der Neuregelung der Organspende geht
Die Politik in Deutschland will mehr Organspenden möglich machen. Zwei Modelle stehen dazu im Bundestag zur Abstimmung: Organspende nur nach willentlicher Entscheidung
Gröhe: Es gibt auch den Verband der Leitenden Klinikärzte in Deutschland, die sich ausdrücklich gegen die Widerspruchsregelung aussprechen, übrigens auch deren Transplantationsbeauftragter, ein Transplantationsmediziner. Aber natürlich nehmen wir die Diskussion, angesichts des wirklich dramatischen Umstands zu weniger Organspenden in diesem Land, sehr ernst und keiner macht sich heute die Entscheidung leicht. Alle eint das Ziel, die Organspende zu stärken.
Aber ich glaube, dass die Widerspruchslösung das Problem nicht löst, aber gleichzeitig ein schwerer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen ist. Das ist Anker all unserer Patientenrechte, all unserer medizinethischen Grundsatzüberzeugungen, und dies unter die Bedingung zu stellen, sich mit einem Thema befasst und eine Entscheidung getroffen zu haben, ist eine Infragestellung, die wir nicht akzeptieren können.
Ich wünsche mir, dass sich Menschen mit dem Thema auseinandersetzen, dass sie eine Entscheidung treffen. Aber auch wer diese Entscheidung aus welchen Gründen auch immer nicht trifft, verliert nicht sein Selbstbestimmungsrecht. Da geht es um eine fundamentale Frage unseres Menschenbilds. Ich muss das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht gleichsam aktivieren, indem ich widerspreche. Nein, es steht mir bedingungslos zu.
Das andere ist: Die Lage im Ausland, die oft herangezogen wird, ist keineswegs so eindeutig. Wenn wir uns die Lage in Spanien (sehr gut bei der Organspende) ansehen, dann war es nicht die Widerspruchslösung, danach passierte eine Reihe von Jahren nichts, sondern tiefgreifende Veränderungen in den Krankenhäusern, im Meldewesen, in der Identifikation von Menschen, die für eine Organspende in Frage kommen, die zu einer Verbesserung geführt haben. Solche Dinge haben wir auch im Koalitionsvertrag verabredet, im letzten Jahr beschlossen. Das ist der richtige Weg, aber nicht eine Infragestellung des Selbstbestimmungsrechts.
"80 Prozent stehen positiv zur Organspende"
May: Ich verstehe es absolut, dass sich keiner der Bundestagsabgeordneten diese Frage leicht macht. Aber im Umkehrschluss: Ist es denn zu viel verlangt, mündigen Bürgern eine verbindliche Entscheidung abzuverlangen bei dieser wichtigen, mitunter lebensrettenden Frage?
Gröhe: Nein, das ist nicht zu viel verlangt, und dafür werben wir, und über 80 Prozent der Deutschen stehen positiv zur Organspende. Bei den Menschen, bei denen in Krankenhäusern ein Hirntod und die grundsätzliche Eignung für die Organspende festgestellt wird, liegt in 75 Prozent der Fälle durch Angehörigenauskunft oder Organspendeausweis eine Zustimmung vor. Das heißt, wir haben kein Zustimmungsproblem, sondern wir müssen mehr Menschen in den Kliniken überhaupt identifizieren, deren Sterbeverlauf durch den Hirntod gekennzeichnet ist. Wir müssen diese melden. Darum geht es. An der geringen Zahl der festgestellten Menschen, die für eine Organspende im Krankenhaus in Frage kommen, ändert ja die Widerspruchslösung überhaupt nichts. Wir haben kein Zustimmungsproblem. Die ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Die Zahl der Organspendeausweise hat sich in den letzten Jahren um über 60 Prozent erhöht, und das zeigt, es gibt eine wachsende Zustimmung, eine hohe Zustimmung, aber es wird zu wenig umgesetzt von dem, was es an Bereitschaft gibt.
Organspende - Wie tot ist ein Hirntoter?
Verbunden mit der Organspende-Diskussion ist die Frage: Wann ist ein Mensch hirntot? Denn in Deutschland dürfen nur einem Toten Organe entnommen werden. Ist das Hirntodkonzept noch haltbar?
May: Sie haben, nehme ich an, auch einen Organspendeausweis?
Gröhe: Selbstverständlich seit vielen Jahren.
May: 84 Prozent Zustimmung, Sie haben es gesagt. Aber wenn wir gerade mal auf die Zahl der Organspendeausweise kommen: Es sind nur 39 Prozent der Menschen. Da ist noch viel Luft nach oben. Es scheint ja offensichtlich dann doch an der fehlenden Verbindlichkeit zu liegen, die man mit der Widerspruchslösung auf jeden Fall dann schafft.
Gröhe: Die Widerspruchslösung unterstellt eine Zustimmung, und ich finde, zum Thema Spende passt ein Automatismus nicht. Aber wir hatten 2012 22 Prozent der Bevölkerung mit Organspendeausweisen. Das ist gewaltig angestiegen. Und in ganz, ganz vielen Fällen ist ja die Angehörigenauskunft auch heute Grundlage für eine Transplantation. Noch einmal: In 75 Prozent der möglichen Fälle kommt es zu einer Zustimmung. Insofern wirkt sich die Zustimmungsbereitschaft selbst dort aus, wo kein Organspendeausweis vorliegt. Trotzdem werbe ich für den Organspendeausweis, denn der erleichtert auch Angehörigen, natürlich diese Auskunft zu geben. Deswegen setzt auch unser Antrag auf ein Register, damit schneller festgestellt werden kann, diese Person wäre zu einer Organspende bereit.
Abläufe in den Krankenhäusern entscheidend
May: Register – das gibt es auch bei dem Antrag von Jens Spahn. Sie haben gerade Spanien ins Feld geführt, was ja immer als Spitzenreiter genannt wird, wenn es um die Zahl der Organspenden geht, und haben gesagt, dass es richtigerweise ein Bündel von Maßnahmen ist, das zur höheren Zahl von Organspenden führt. Dennoch, wenn wir auf Deutschland gucken: Deutschland ist ja nicht nur mit Spanien, sondern mit sechs weiteren Ländern bei Eurotransplant in einer gemeinsamen Spenderdatenbank. In jedem einzelnen dieser Länder gilt genau diese, von Ihrem Nachfolger Spahn angestrebte Regel. Nur in Deutschland nicht. Alle Länder haben deutlich bessere Organspendequoten als Deutschland. Kann das Zufall sein?
Gröhe: Die Schweiz hat auch deutlich bessere Organspendequoten und hat die Zustimmungsregelung. Die Frage ist doch letztes Jahr noch einmal untersucht worden: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Widerspruchslösung, ihrer Einführung und steigenden Spenderzahlen? Da stellt man fest, es sind die Abläufe in den Krankenhäusern. Sechs Jahre lang passierte in Spanien nach der Einführung der Widerspruchslösung nichts, sondern als man dort deutlich verändert hat das Meldesystem, das Identifikationssystem. Durch all dieses ist es zu Verbesserungen gekommen. Das heißt, die einfache Gleichung, Widerspruchslösung gleich mehr Organe, stimmt nicht. Dann hätte der drastische Anstieg der Spenderausweise in Deutschland ja auch zu einem Anstieg der Spenden führen müssen. Zustimmung ist das eine; die Umsetzung dann, wenn es medizinisch möglich ist, ist das andere. Da müssen wir besser werden.
Hausärzte stärken
May: Was soll denn im Gegensatz dazu der Vorschlag von Ihnen bringen, wo es tatsächlich nur um die Zustimmung geht? Wird der irgendwie zu einer Erhöhung führen?
Gröhe: Ich bin davon überzeugt, dass ein ganz wichtiger Schritt im letzten Jahr bereits unternommen wurde, die Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern zu stärken. Wir bauen jetzt eine Rufbereitschaft auf, um gerade in den kleineren Krankenhäusern die Feststellung von Hirntod zu erleichtern, zu verbessern, zu unterstützen. All dies ist wichtig.
Und jetzt geht es in unserem Gesetz zur Stärkung der Entscheidung der Entscheidungsbereitschaft darum, bei den vielen, die grundsätzlich positiv eingestellt sind, beispielsweise bei Ausweisstellen daran zu erinnern, hier gibt es die Möglichkeit, Informationsmaterial zu bekommen, hier gibt es die Möglichkeit, sich online einzutragen. Und ganz wichtig: Wir wollen eine regelhafte Beratung durch den Hausarzt, die Hausärztin. Das sind die wichtigsten Vertrauenspersonen für Menschen rund um ihre Gesundheit und die Rolle des Hausarztes, der Hausärztin zu stärken, wenn es um die Organspendebereitschaft geht, ist ein wesentliches Element unseres Gesetzentwurfs.
DBG-Chef Michael Sommer gibt am 01.04.2014 vor der DGB Zentrale in Berlin bei einer Fotoaktion ein Interview. Florian Schuh 
Ex-DGB-Chef Sommer zu Organspende - "Letzter Akt von Solidarität, den ein Mensch leisten kann"
Vor sieben Jahren spendete der frühere DGB-Chef Michael Sommer seiner Frau eine Niere. "Ich habe es in keiner Minute bereut", sagte Sommer im Dlf.
May: Jetzt ist es ja häufig so: Unangenehme Sachen schiebt man meistens beiseite. Das kennen wir zum Beispiel von der Steuererklärung. Ist es nicht so, wenn man keine verbindliche Entscheidung einfordert, dann wird es auch am Ende keine Entscheidung geben? Wer beschäftigt sich schon gerne mit dem Tod.
Gröhe: Aber umgekehrt würde Ihr Argument bedeuten, man setzt auf die Trägheit der Menschen, und dazu ist das Thema Organspende zu ernst. Wenn Sie den Vergleich mit der Steuererklärung machen, ich schiebe das mal auf die nächste, übernächste, übernächste Woche – wir können doch bei der Frage, ob nach dem Tod Organe entnommen werden dürfen, nicht darauf setzen, dass Menschen träge sind, und wenn sie nichts gesagt haben, gehören sie gleichsam dem Gemeinwesen, sondern das hieße doch, gerade davor zu kapitulieren, dass Menschen sich nicht damit auseinandersetzen wollen. Wir müssen doch den Wunsch haben, dass dieses nicht nur ein Thema heute im Bundestag ist, sondern an vielen Orten, ja auch am Abendbrottisch in der Familie, auch wenn es ein schwieriges Thema ist erörtert wird. Bei einer Spende muss es um eine persönliche Entscheidung gehen. Das ist ein Akt höchster menschlicher Solidarität und das setzt Freiwilligkeit und Zustimmung voraus.
May: Eine letzte Frage habe ich noch, Herr Gröhe. Jetzt vermuten alle, dass es heute äußerst knapp wird. Was ist, wenn beide Anträge am Ende keine Mehrheit finden?
Gröhe: Dann bliebe es bei der heutigen Rechtslage. Ich verhehle nicht, dass ich hoffe, dass diejenigen, die für die Widerspruchslösung sind, wenn sie keine Mehrheit finden, was ich nicht weiß, dann doch auch in unserem Gesetzesvorschlag eine Verbesserung gegenüber der heutigen Rechtslage beispielsweise im Hinblick auf die Stärkung der Hausärzte und das zu schaffende Register - und das zu schaffende Register ist ja eine gemeinsame Position – sehen und dem dann zustimmen. Aber das steht natürlich jedem Abgeordneten frei. Ich glaube, wenn es heute für keinen Antrag die Mehrheit gäbe, gäbe es sicher auch eine fortgesetzte Diskussion zum Thema. Aber jetzt werben sicher erst einmal beide Seiten dafür, das Parlament mehrheitlich zu überzeugen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.