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Experte für schwierige Kompromisse

Der Franzose Joseph Daul ist nach der Wahl des Deutschen Hans-Gert Pöttering zum Parlamentspräsidenten dessen Nachfolger als Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament. Der 60-Jährige wird in Straßburg und Brüssel als geduldiger und kompromissbereiter Gesprächspartner geschätzt. Das will er nutzen, um Gräben zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern zu überwinden. Ruth Reichstein berichtet.

23.01.2007
    Es ist alles noch ein bisschen durcheinander im neuen Büro von Joseph Daul. Der elsässische Abgeordnete ist gerade erst umgezogen in die etwas größeren Räume, die für die Vorsitzenden der Fraktionen im Europäischen Parlament bereitstehen. Seine Sekretärin jongliert mit Besuchern und Anrufern in verschiedenen Sprachen.

    Joseph Daul hat seinen Job als neuer EVP-Vorsitzender noch gar nicht richtig angetreten und ist eigentlich schon wieder erschöpft. Elf Mal habe er sich geschminkt und wieder abgeschminkt in der vergangenen Woche für Fernsehinterviews. Das sei ganz schön anstrengend, erzählt der sympathische Elsässer.

    Viele interessieren sich für den neuen Vorsitzenden der Konservativen im EU-Parlament, viele und vor allem die europäischen Bauern. Denn die hoffen in dem Landwirt Daul einen neuen Fürsprecher im Parlament gefunden zu haben. Doch Vorsicht, mahnt Daul:

    "Es stimmt schon, ich bin selber Landwirt, ich habe mit 9 Hektar angefangen und meinem Sohn nun 65 Hektar weitergegeben. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich den Bauern hier in Brüssel jeden Wunsch erfüllen kann. Wahrscheinlich sind sie schon jetzt von mir enttäuscht, weil ich sie nicht zufrieden gestellt habe bei den Verhandlungen über die letzte Reform der Landwirtschaftspolitik."

    Trotz allem: Daul will schon dafür sorgen, dass die Interessen der Bauern nicht ganz untergehen. Die Landwirtschaftssubventionen, die noch immer den größten Teil des EU-Budgets auffressen, hält er durchaus für sinnvoll. Aber, sagt er, man müsse eben einen gesunden Mittelweg finden: die Existenz der Bauern sichern und sich gleichzeitig an Markt und Globalisierung anpassen.

    Die goldene Mitte zu finden, dafür hat der Elsässer durchaus Talent. Er ist ein überzeugter Europäer, spricht Französisch, Englisch und ein bisschen Deutsch und ist ein Experte für schwierige Kompromisse. Das weiß auch der Präsident des Europäischen Bauernverbands, Rudolph Schwarzböck, der Daul aus zahlreichen Verhandlungen kennt:

    "Am meisten prädestiniert ihn, dass er ein sehr kommunikativer Mensch ist, der Freude am Gespräch mit Menschen hat. Da springt eher der Funke über, als wenn man als sehr reservierter Politiker auf Menschen zu geht. Er hat Freude an Menschen und an der Politik und damit auch an unterschiedlichen Standpunkten. Und nur so kann man Brücken bilden, zu einem Kompromiss kommen."

    Und genau das wird Daul auch als Vorsitzender der Konservativen im Parlament brauchen. Denn die sind mindestens so schwer unter einen Hut zu bekommen wie die europäischen Bauern. Da sitzen die Abgeordneten der deutschen CDU genauso wie die europaskeptischen Briten und die sehr liberal angehauchten Polen.

    Die konservative Fraktion im Europäischen Parlament ist ein Sammelbecken. Gemeinsame Standpunkte sind oft schwierig zu finden. Das weiß auch der neue Vorsitzende. Er gewann nur ganz knapp gegen einen schwedischen Gegenkandidaten:

    "Ich ziehe aus dieser Wahl vor allem eine Lehre: Die alten und die neuen Mitgliedsstaaten verstehen einander noch nicht. Ich will vor allem versuchen, dass sich die Abgeordneten der zwölf neuen Länder nicht abspalten, dass sie sich wohl fühlen. Das ist meine absolute Priorität. Wir müssen mit ihnen diskutieren und einander besser verstehen. Der Begriff Sozialismus oder sozial ist für viele der ehemaligen kommunistischen Staaten schon eine Provokation. Das muss man sich erst einmal bewusst machen."

    Und die Abgeordneten bringen ihm dafür durchaus Vertrauen entgegen.
    Der deutsche CDU-Abgeordnete Michael Gahler:

    "Der Joseph Daul, der wird das schaffen. Ich habe schon jetzt positiv mitbekommen, wie energisch er Dinge angeht, die noch zu klärenden Personalfragen, aber auch die Art und Weise wie er die Fraktionssitzung leitet. Das hat mir gut gefallen, und ich bin zuversichtlich, dass er die Atmosphäre innerhalb der Fraktion gut aufgreifen wird und ich bin sicher, dass er ein guter Gesprächspartner für all diejenigen sein wird, die das Gespräch mit ihm suchen."

    Noch habe er keine Zeit gehabt, die Glückwunschschreiben seiner Kollegen zu lesen, erzählt der zurückhaltende Elsässer. Aber langsam werde es ruhiger. Und das sei auch gut so, meint Daul:

    "Die vergangenen zwei Wochen, das war unglaublich. Ich bin froh, dass ich jetzt endlich meine Ruhe in meinem Büro habe. Ich bin Bauer. Ich will endlich wieder richtig arbeiten - Tag für Tag. Und damit fange ich heute richtig an."