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Experte: Griechenland soll nicht Staatsvermögen "verschleudern"

Der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Max Otte warnt davor, dass Griechenland sein "Tafelsilber" verkauft. Davon würden wieder nur die Investmentbanken profitieren. Durch den harten Sparkurs in der Krise werde zudem die Wirtschaft abgewürgt, so Otte.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 09.06.2011
    Dirk Müller: Die Kanzlerin und auch der Finanzminister machen Druck, wieder auf die eigenen Regierungsfraktionen, die doch mit der Atomwende schon allerlei Sondersitzungen hinter sich haben. Jetzt geht es im Eiltempo um Griechenland, mal wieder. Athen will weitere Hilfen, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Daran gibt es jedoch erhebliche Zweifel, ob das funktioniert, denn es geht um zusätzliche Hilfen. Einmal existiert ja bereits das erste Rettungspaket von 110 Milliarden Euro, nun sollen noch einmal rund 90 Milliarden Euro dazukommen, Rettungspaket Nummer zwei. Neue Milliardenhilfen also für Griechenland, darüber wollen wir jetzt sprechen mit dem Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte, Autor des Buches "Der Crash kommt", und das hat er geschrieben, bevor der Crash gekommen ist. Guten Tag!

    Max Otte: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Otte, gibt es für alles eine Lobby, nur nicht mehr für den Steuerzahler?

    Otte: Das kann man so sagen. Es gibt auch für die Griechen und für die Deutschen keine Lobby mehr, auch nicht in den Parlamenten, denn letztlich ist dieses Spiel um die Rettung Griechenlands, das ist ja ein falscher Begriff. Wir retten ja nicht Griechenland, sondern die Banken, und da können sich letztlich drei Parteien beteiligen. Es kann sich Griechenland beteiligen, also die griechischen Bürger, der griechische Staat, es können sich die Länder der Europäischen Union beteiligen in solidarischen Maßnahmen, was wir tun, und drittens können und müssten sich - und das steht dann hinter diesem ominösen Wort private Gläubiger - die Banken beteiligen, denn die haben griechische Anleihen gekauft, sie haben nicht sorgfältig geprüft, sie haben dieses Risiko in Kauf genommen und sie müssten jetzt auch mit Verlusten leben.

    Müller: Das will der Finanzminister auch, das will auch die Bundeskanzlerin. Aber die Banken signalisieren, da machen wir möglicherweise nicht mit.

    Otte: Ja. Es ist absurd, da von einer privaten oder von einer freiwilligen Beteiligung privater Gläubiger zu sprechen. Wenn ein Schuldenschnitt her muss, oder auch nur eine weiche Umschuldung, also eine Verlängerung der Laufzeiten der Anleihen, dann muss man das beschließen. Dann muss ein Plan her und dann muss ein systemischer Plan her und dann müssen alle Gläubiger in die Pflicht genommen werden. Das Problem ist, was wir in dem Beitrag vorhin gehört haben, dass natürlich jetzt schon ein Drittel dieser Anleihen abgestoßen wurde, und man kann vermuten oder weiß es zum Teil auch, dass sie mittlerweile eben von der EZB aufgekauft wurden.

    Müller: Nun haben wir auch gelesen, dass die EZB dagegen ist, also die Europäische Zentralbank. Was hat die dagegen?

    Otte: Ja. Herr Trichet sagt, dass dann die Unabhängigkeit der EZB in Gefahr sei. Aber das eine ist, dass wenn man diese Rettungspakete gemacht hat, also im Mai 2010, da kaufte man kräftig, da war keine Rede von Unabhängigkeit, jetzt ist Rede von Unabhängigkeit. Fakt ist, dass die Unabhängigkeit der EZB sowieso schon massiv durchlöchert ist. Es geht da simpel um die Frage, setzt sich eher eine französisch-südländische Position, oder eine deutsche Position durch.

    Müller: Sie sagen, das ist ohnehin schon durchlöchert, kommt dann auch nicht mehr darauf an?

    Otte: Richtig! Ich meine, dann sollte man wenigstens einen fairen Deal machen, dass nicht nur alles einseitig bei den solidarisch gebenden und bei der griechischen Bevölkerung ist. Ich meine, wir haben es ja eben im Beitrag vorher auch gehört: Griechenland hat extreme Sparanstrengungen gemacht. Deswegen ist Griechenland vom Wirtschaftssystem her nicht in Ordnung. Aber wenn die fünf Prozent Defizit reduzieren, mitten in einer Wirtschaftskrise, dann treten sie im Sinkflug noch auf die Vollbremse und stürzen fast ab. Das ist die falscheste Politik, das ist schon fast eine Deflationspolitik, wie wir sie im Kabinett Brüning in den 30ern hatten, und das war nicht sehr gesund.

    Müller: Also Griechenland, wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat so viel gespart, dass sie jetzt keine Wirtschaft mehr haben?

    Otte: Ja, richtig. Wenn sie in der Wirtschaftskrise voll sparen, würgen sie die Wirtschaft zusätzlich ab. Dass das Steuersystem, die Verwaltung nicht funktioniert, dass da einiges oder vieles in Ordnung zu bringen ist, ist ein ganz anderer Schuh und das muss natürlich angegangen werden. Aber auch wenn sie jetzt das Tafelsilber verkaufen, was ja von vielen gefordert wird, dann profitieren wieder die Investmentbanken, denn dann muss Griechenland in großer Eile Staatsvermögen verschleudern und es profitieren wieder die Finanzjongleure, die das dann billig aufkaufen. Das ist auch nicht der richtige Weg.

    Müller: ... , weil auch jetzt schon klar ist, Herr Otte, um das noch mal zu vertiefen, dass alles, was verkauft wird, natürlich jetzt unter Preis verkauft wird?

    Otte: Ja natürlich. Wenn sie gezwungen sind, in einer Notsituation zu verkaufen, dann freut sich der Käufer. Außerdem fehlt dann dem griechischen Staat letztlich Masse, denn diese Beteiligungen, die haben ja auch Erträge gebracht. Die Erträge sind in Zukunft weg. So können sie also Griechenland nicht zur Gesundung bringen und dann ist es auch völlig verständlich, dass die Griechen auf die Straße gehen und gegen diese, als Diktat empfundene Regelung dann demonstrieren.

    Müller: Wenn wir nun einmal egoistisch sind und reden über diejenigen, denen es verhältnismäßig gut geht, also beispielsweise auch Deutschland, nehmen die deutsche Perspektive vielleicht in aller Konsequenz ein und würden dann sagen, tschüss Griechenland, aus dem Euro raus, würde es uns dann besser gehen?

    Otte: Ja natürlich, aber mit aller Konsequenz heißt, dass wir trotzdem in der Europäischen Union sind und dass Deutschland dennoch solidarisch sein müsste. Wenn man also sagen würde, erst den Schuldenschnitt, der ist wirklich Schritt eins, der ist unumgänglich, und dann gegebenenfalls sogar raus aus dem Euro, zurück zur Drachme, müsste man dennoch Griechenland Kapitalhilfen geben, denn es wäre tatsächlich zunächst einmal von den Finanzmärkten vielleicht abgeschnitten. Aber ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende.

    Müller: Verstößt der Vorrang der Politik - Sie haben das ja gerade auch erwähnt -, also Europäische Union, Solidarität, Gemeinschaft und so weiter, gegen die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten?

    Otte: Nein! Die Politik muss in einem solchen Fall ordnen, sie muss ordnend eingreifen, sie muss Rahmenbedingungen schaffen, sie muss dem Recht Geltung verschaffen, dem Recht zum Beispiel, dass Banken und Finanzdienstleister, die sich verzocken mit Anleihen, dafür auch haften müssen. Das sind elementare Rechtsgrundsätze. Es ist eher anders herum, dass die Politik von der Finanzbranche und den Finanzdienstleistern gekapert worden ist und jetzt Spezialinteressen bedient.

    Müller: Glauben Sie dem Finanzminister, glauben Sie Wolfgang Schäuble, wenn er sagt, wir wollen die Gläubiger mit ins Boot holen, oder ist das politische Kosmetik, weil er weiß, dass die Banken sowieso nicht mitspielen?

    Otte: Frau Merkel hat das ja schon vor einem Jahr gesagt, ist dann aber relativ schnell umgeknickt. Ich glaube, das Bewusstsein wächst schon in der Bundesregierung, aber ich glaube, es ist im Moment natürlich auch politische Kosmetik, denn er braucht eine Mehrheit, um das nächste Rettungspaket durchzubringen, und von daher weiß ich nicht, wie ernst er es wirklich meint.

    Müller: Und europäisch ohnehin nicht durchzusetzen?

    Otte: Na ja, Deutschland könnte europäisch viel mehr durchsetzen, wie wir gemeinhin annehmen, wenn wir das mal ernsthaft angingen. Wir machen uns da etwas zu klein. Wir haben bis jetzt eine Sache nach der anderen da auf dem Altar der Solidarität verschleudert, also es sind hier ganz harte Verhandlungen, letztlich geht es darum, Europa nach vorne zu bringen, aber da darf man dann auch eigene Positionen vertreten.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Otte: Auf Wiederhören.