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Experte: Pakistanischer Geheimdienst völlig überrascht

Die Taliban haben in der Nacht etwa 50 NATO-Fahrzeuge mit Nachschublieferungen für die Streitkräfte in Afghanistan in Brand gesetzt. Der Pakistanexperte Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik zeigte sich überrascht von dieser Aktion in der Nähe von Peschawar in Pakistan. Seiner Meinung nach hatte auch der pakistanische Geheimdienst keinerlei Kenntnis von dem Anschlag. Die Kontrolle über die Stammesgebiete habe der Nachrichtendienst wohl schon verloren, vermutete Wagner.

Christian Wagner im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Schon in der Nacht zum Sonntag hatten rund 200 bewaffnete Taliban am Rande von Peschawar etwa 200 Fahrzeuge für die NATO-Truppen in Afghanistan angesteckt und dabei auch einen Wächter getötet. Das Erstarken der Taliban in Pakistan. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Christian Wagner, Südostasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Guten Tag, Herr Wagner.

    Christian Wagner: Guten Tag.

    Breker: Da finden sich rund 200 Taliban zusammen, überfallen ein NATO-Lager und verschwinden einfach so wieder. Da muss man sich wundern. Wundert sich der Pakistan-Experte da auch, dass das geschehen kann?

    Wagner: Ja. Er wundert sich doch ein wenig, weil wir haben doch in den letzten Monaten eine Reihe von militärischen Aktionen der Armee und der Sicherheitskräfte in den Stammesgebieten gesehen, vor allem gegen verschiedene Einheiten der militanten islamistischen Gruppen, und von daher verwundert natürlich ein solcher Anschlag vor allem in der Nähe von Peschawar sehr.

    Breker: Kann es sein, dass der pakistanische Geheimdienst von diesen Aktionen überhaupt keine Ahnung hatte?

    Wagner: Es ist deutlich geworden, dass der pakistanische Geheimdienst auch seine frühere Kontrolle über die Stammesgebiete oder über die militanten Gruppen dort in den letzten Monaten verloren hat. Es ist ja in dem Bericht auch deutlich geworden, dass die Angreifer vermutlich aus Afghanistan kamen, und dort hat der pakistanische Geheimdienst natürlich schon seit langer Zeit keine Kontrolle mehr. Also leider haben wir es hier mit einer Situation zu tun, die vermutlich auch den pakistanischen Geheimdienst völlig überrascht hat.

    Breker: Wenn es denn möglich ist, dass afghanische Taliban-Kämpfer so tief nach Pakistan eindringen können, da fragt man sich, wie ist dieses Land staatlich eigentlich organisiert?

    Wagner: Die Stammesgebiete waren ja traditionell nie unter der Kontrolle des Staates. Was wir in den letzten Monaten in den Stammesgebieten sehen, ist eigentlich genau der Versuch, staatliche Autorität dort zum ersten Mal zu installieren, und das erklärt natürlich auch, warum sich die Streitkräfte so schwer tun, diese Gebiete zu erobern und zu kontrollieren. Ich denke, mittelfristig wird man auf politische Verhandlungen mit den Stämmen zurückkommen müssen, um eben die staatliche Kontrolle in den Gebieten zumindest ansatzweise wieder herstellen zu können.

    Breker: Von außen, Herr Wagner, hat man den Eindruck, dass sich die Situation in Pakistan nach dem Ende der Präsidentschaft von Musharraf, was die Sicherheitslage anbelangt, verschlechtert habe.

    Wagner: Das würde ich nicht ganz so sehen. Wir haben doch gerade im letzten Jahr, 2007, im letzten Amtsjahr von Musharraf, eine deutliche Verschlechterung der Sicherheitslage - denken wir nur an die Besetzung der Roten Moschee in Islamabad, denken wir an das Attentat auf Benazir Bhutto und eine Reihe von weiteren Anschlägen. Ich denke, wir haben jetzt zum ersten Mal eigentlich die Situation, dass die Armee doch ein deutlich entschiedeneres Vorgehen gegen die militanten Gruppen in den Stammesgebieten durchführt. Wir haben auch eine politische Führung, die sich nun vehement und explizit auch zum Anti-Terror-Kampf bekannt hat. Also ich denke, die Sicherheitslage bleibt natürlich bis auf weiteres prekär, aber wir haben, glaube ich, doch eine deutlich stärkere politische Unterstützung. Man sollte auch nicht vergessen, dass bei den Wahlen im Februar die pakistanische Bevölkerung sich ja eindeutig gegen die islamistischen Parteien und gegen Bestrebungen der Talibanisierung ausgesprochen hat.

    Breker: Herr Wagner, es handelt sich in beiden Fällen um Fahrzeuge für die NATO-Truppen in Afghanistan. Wie kann es sein, dass die NATO diese Fahrzeuge von privaten Sicherheitsdiensten bewachen lässt? Dürfen NATO-Soldaten nicht in Kooperation mit pakistanischen Soldaten solche Dinge tun?

    Wagner: Soweit mir bekannt ist, dürfen NATO-Soldaten nicht auf pakistanischem Gebiet tätig sein. Das hat natürlich viel mit dem Antiamerikanismus in Pakistan zu tun. Es gibt hier immer wieder Befürchtungen, dass natürlich die USA oder auch die NATO und der Westen allgemein sich gegen Pakistan wenden würde. Das heißt, die Stationierung oder der Einsatz von NATO-Truppen wäre hier natürlich in Pakistan ein ganz schlechtes innenpolitisches Zeichen. Von daher wird natürlich dieser Schutz der Fahrzeuge und der Konvois normalerweise der pakistanischen Armee überlassen, und ich denke, dazu sollte man auch in Zukunft wieder übergehen, denn die privaten Sicherheitsakteure sind vermutlich noch weniger als die staatlichen in der Lage, für einen ausreichenden Schutz dieser Konvois zu garantieren.

    Breker: Herr Wagner, wir hören von dem gewählten Präsidenten der USA, von Barack Obama, dass er sich in seiner Präsidentschaft weniger auf den Irak als vielmehr auf Afghanistan konzentrieren will. Wenn er das tut, dann braucht er Pakistan. Was braucht Pakistan von Obama, dass sie da mitspielen?

    Wagner: Die amerikanische Administration wird natürlich nicht nur die militärische Zusammenarbeit weiter forcieren; sie wird vor allem auch auf eine stärkere Kontrolle der Mittel dringen, die seit vielen Jahren im Anti-Terror-Kampf an das pakistanische Militär fließen. Daneben wird aber die neue Obama-Administration sicherlich sehr viel stärker auf die rechtsstaatlichen Strukturen in Pakistan achten. Sie wird sicherlich sehr viel stärker darauf dringen, die demokratischen Strukturen auszuweiten, die Bildungsreform voranzubringen und die Institutionen des Landes zu stärken. Ich denke, im Unterschied zur Bush-Administration werden wir nicht nur weiterhin eine große Militärhilfe sehen, sondern vermutlich unter der Obama-Administration auch eine sehr viel stärkere Förderung der zivilen Institutionen, um damit natürlich die demokratischen Institutionen in Pakistan zu stärken.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Südostasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christian Wagner. Herr Wagner, danke für dieses Gespräch.