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Experte rät zum Festhalten am Sparkurs

Jürgen Liminski: Herr Parsche, man ist natürlich gespannt, wie das Zahlenwerk des Arbeitskreises Steuerschätzung aussehen könnte. Der Ausfall schwankt offenbar zwischen fünf und sieben Milliarden, liest man, und geht in die 50 Milliarden für die nächsten Jahre. Können Sie uns da Genaueres sagen?

Moderation: Jürgen Liminski |
    Rüdiger Parsche: Also ich könnte Ihnen sicher sagen, was wir hier im IFO-Institut geschätzt haben. Was der Arbeitskreis Steuerschätzung vorlegt, das kann ich Ihnen nicht sagen. Unsere Schätzung ist natürlich auch im Arbeitskreis mit Vorbehalten. Wir diskutieren zusammen die Zahlen und werden insgesamt die Schätzung vorlegen.

    Liminski: Wie sieht denn der Rahmen aus? Können Sie da nicht ein bisschen konkreter werden?

    Parsche: Ja, der Rahmen ist so, dass wir gesamtwirtschaftliche Daten vorgelegt bekommen vom Bundeswirtschaftsministerium. Auf dieser Basis schätzen wir dann eben die einzelnen Steuern. Schätzer sind im Arbeitskreis Steuerschätzung nun mal die großen Wirtschaftsforschungsinstitute, dazu die Bundesbank und der Sachverständigenrat und natürlich das Bundesfinanzministerium selbst.

    Liminski: Sind denn die Zahlen, die da in den Zeitungen stehen, fünf bis sieben Milliarden, völlig abwegig?

    Parsche: Nein, völlig abwegig sind sie nicht. Jeder, der hier vernünftig denkt, kann sich doch vorstellen, dass zum Beispiel eine Rücknahme der Wachstumsrate für dieses Jahr irgendwo bei den Einnahmen durchschlägt. Also von der Seite her ist sicher mit geringeren Einnahmen zu rechnen als wir letztes Jahr im Mai schon gerechnet haben - dies auf alle Fälle -, aber auch als wir letztes Jahr im Herbst gerechnet haben.

    Liminski: Aber zweistellig werden die Ausfälle nicht?

    Parsche: Also das muss jetzt der Arbeitskreis Steuerschätzung sagen.

    Liminski: Was bedeuten denn die Steuerausfälle? Muss man jetzt vom Sparkurs abweichen und die Neuverschuldung steigern, um die Konjunktur anzukurbeln?

    Parsche: Also das sicher nicht. Wir haben ja einen gewissen Aufschwung, und die Frage stellt sich, wann sollen wir überhaupt jemals mit dem Sparen anfangen, wenn nicht jetzt? Also das ist kein Grund, jetzt in die Vollen zu gehen bei der Verschuldung. Überhaupt hätten wir dann erst recht Schwierigkeiten mit der EU. Wir erreichen ja die 3-Prozent-Grenze in diesem Jahr sowieso, und so wie es ausschaut auch im nächsten Jahr. Das hat auch der Finanzminister schon angekündigt, dass es möglich ist. Unser einziges Ziel ist wirklich weiterhin, dass wir einen soliden Haushalt mit fahren, und das bedeutet, dass wir diese Ausfälle mit einsparen müssen. Also die Äußerung, die man jetzt immer hört, gerade jetzt doch nicht sparen, also, wie gesagt, wann? Wir sehen ja, dass wir schon unseren Haushalt durch die Schulden enorm beengt haben. Die Zinslast wird immer drückender.

    Liminski: Aber eine höhere Neuverschuldung könnte doch die Konjunktur etwas ankurbeln, und dann käme ja wieder Geld rein.

    Parsche: Also so einfach ist es auch nicht. Das ist ein Denken eben aus den alten siebziger Jahren, das war der keynesianische Ansatz, lieber Sand von Links nach Rechts schaufeln und den Konsum ankurbeln als nichts machen. Wir stellen fest, wenn wir etwas ankurbeln, dann geht ein großer Teil der Effekte ins Ausland. Wir haben ja die starke Verbindung mit dem Ausland. Wir importieren unheimlich viele Konsumgüter schon, und ein Teil wird sicherlich zum Beispiel auch sagen, endlich kann ich mir meine Auslandsreise wieder leisten. Das ist ja alles ganz schön, aber damit verpufft ein solches Programm. Wir hatten ja doch gesehen, wie schwierig es ist, die Konjunktur anzukurbeln. Eben in den neuen Bundesländern haben wir die letzten zehn Jahre das größte keynesianische Programm aller Zeiten gefahren.

    Liminski: In der vergangenen Woche kam plötzlich wieder die Mehrwertsteuer ins Spiel. Eine Steigerung von 5 Prozent wollte Finanzminister Eichel haben, jedenfalls nach Presseberichten. Wäre das das Ende aller Haushaltssorgen?

    Parsche: Also so klingt es natürlich ganz gut. 1 Prozent Mehrwertssteuererhöhung bringt circa 7,5 Milliarden Euro. 5 Prozent, dann hätten wir rein rechnerisch knapp unter 40 Milliarden Euro. Das wäre das Ende aller Haushaltssorgen. Aber zum einen ist es natürlich nicht zu erwarten, dass die Konsumenten dies einfach so hinnehmen. Sie werden sicher mit noch mehr Konsumverweigerung reagieren. Zum anderen ist es klar, wenn wir an der Mehrwertsteuer heute rühren, beschädigen wir nicht nur das zarte Pflänzchen Konjunktur, sondern wir bekommen auch drastische Erhöhungen der Schattenwirtschaft, und das ist die Branche, die zur Zeit sowieso boomt.

    Liminski: Also Sie sind gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer?

    Parsche: Eindeutig dagegen. Es geht darum, dass wir auf den Ausgaben ansetzen, dass wir dort sparen. Wir haben eine Staatsquote von fast 50 Prozent. Wir hatten Anfang der siebziger Jahre 40 Prozent. Andere Staaten in Europa sind unter der 40-Prozent-Quote. Also wir können Richtung 40 Prozent gehen, ohne dass wir ein Nachtwächterstaat bekommen.

    Liminski: Vor ein paar Monaten war man allgemein begeistert über verschiedene Modelle für eine große Steuerreform, zum Beispiel das Kirchhoff-Modell oder das Merz-Modell. Plötzlich sind die Modelle alle in der Versenkung verschwunden. Was ist denn da passiert? Braucht man keine Reform mehr?

    Parsche: Nein, wir brauchen eine Reform. Das ist unbedingt erforderlich, und das ist auch das Ziel. Wir haben nur jetzt nicht das Geld, um so eine große Reform durchzustehen, so wird immer argumentiert. Ich bin hier also auch optimistischer. Erstens, wie gesagt, haben wir immer noch eine sehr hohe Staatsquote, so dass wir von der Seite eben eine Senkung von Ausgaben immer noch möglich sehen. Zum anderen sind diese Modelle unbedingt erforderlich, um eben die strukturellen Probleme in Deutschland zu beseitigen. Wir verlieren also viel Kapital ins Ausland, und zwar Realkapital, dass Investitionen im Ausland stattfinden. Wir könnten mit einer dualen Steuer, wie es in diesen Reformvorschlägen häufig mit angepriesen wurde, den Standort Deutschland verbessern. Das heißt, dass wir dafür die Steuern auf Kapital, auf Unternehmen eben senken, und die Steuern auf die Arbeitnehmer auch senken, aber nicht so deutlich.

    Liminski: Stichwort Subventionsabbau. Der Kanzler und sein Finanzminister haben dabei seit Wochen immer wieder die Eigenheimzulage im Visier. Das sei eine Subvention der Vergangenheit. Es gäbe genügend Wohnraum. Man brauche sie nicht mehr. Sieht man unter Experten nicht auch andere Aspekte dieser Zulage, etwa dass sie ein Teil der Altersvorsorge ist, den sich Familien sonst nicht leisten könnten, oder dass sie den Baumarkt belebt?

    Parsche: Also es ist sicher eine Belebung des Baumarkts, und es ist klar, wenn wir hier runtergehen, gibt es auch ein bisschen negative Effekte. Man könnte natürlich die Mittel stärker auf die Familien konzentrieren. Sie werden zur Zeit doch ziemlich gestreut, und wenn man sie auf die Familien konzentriert, dann würde man diesen Effekt, den Sie vorhin angesprochen haben, Familienförderung, immer noch mit haben, ohne dass man diese Zulage völlig streichen müsste. Auf der anderen Seite haben wir natürlich schon das Problem, dass wir im Bestand relativ viele Häuser mit haben. Also da müsste es auch neutraler sein, dass man eben nicht allein den Neubau fördert, sondern den Bestand schlechthin eben auch mit im Auge hat.

    Liminski: Stichwort Familie. Ihr Institut hat vor ein paar Monaten eine Studie herausgegeben, wonach Eltern verfassungswidrig zu hoch besteuert wurden. Ist das Geld, das dem Binnenkonsum fehlt und immer noch fehlt?

    Parsche: Also ich möchte es nicht so eng sehen. Wir haben sicher gesagt, die Eltern wurden in der Vergangenheit zu hoch belastet. Das zeichnet sich sicher auch irgendwo mit ab in der Realität. Wir haben ja immer weniger Kinder. Sicher ist: Kinderkriegen oder Nichtkriegen ist nicht allein eine materielle Sache, aber das spielt mit rein. Ich bin der Meinung, dass der Staat hier bei den Kindern mehr machen müsste. Insbesondere müsste er die Infrastruktur mit fördern, dass wir Kindertagesstätten haben, dass wir Tagesschulen haben, dass also die Frauen auch die freie Entscheidung treffen können, will ich arbeiten und kann ich arbeiten, indem mein Kind gut aufgehoben ist.

    Liminski: Besten Dank für das Gespräch.