Donnerstag, 28. März 2024

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Experte zu Korea-Gipfel
Viele Symbole, wenig Substanz

Der Korea-Experte Walter Klitz hält es für richtig, dass der Dialog zwischen Nord- und Südkorea wieder aufgenommen wird. Das Gipfeltreffen der beiden Staatschefs dürfe man aber nicht überbewerten, sagte Kitz im Dlf. Auf eine atomare Abrüstung Norkoreas deute nichts hin.

Walter Klitz im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 27.04.2018
    Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und Südkoreas Präsident Moon Jae In Hand in Hand
    Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un und Südkoreas Präsident Moon Jae In Hand in Hand (picture-alliance / dpa / MAXPPP)
    Jörg Münchenberg: Es ist ein historisches Treffen. Zum ersten Mal seit dem Korea-Krieg in den 50er-Jahren hat ein nordkoreanischer Führer die Grenze zum Süden überquert. Es ist erst der dritte innerkoreanische Gipfel in der Geschichte der geteilten Halbinsel. Aber gerade der Süden hofft auf Fortschritte, etwa bei der nuklearen Abrüstung – zumal der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un erst in der letzten Woche überraschend die Einstellung der Raketen- und Atomtests verkündet hatte. Zugehört hat der Korea-Experte Walter Klitz, der selbst schon mehrfach Nordkorea besucht hat. Herr Klitz, einen schönen guten Morgen!
    Walter Klitz: Ich grüße Sie.
    Münchenberg: Ist das heutige Treffen in Südkorea vergleichbar mit dem Fall der Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland 1989?
    Klitz: Ich denke, das ist zu weit hergeholt. Wir sind noch in einer ganz anderen Phase und ich denke auch, dass der Konflikt zwischen Nordkorea und Südkorea viel komplexer ist. Mit einer ähnlichen Entwicklung, so einer kurzfristigen Öffnung, rechne ich eigentlich nicht. Das wird ein relativ langer Prozess werden.
    Münchenberg: Aber würden Sie sagen, das ist trotzdem ein historisches Treffen?
    Klitz: Es ist ohne Zweifel ein historisches Treffen, wobei man den Begriff nicht überstrapazieren sollte. Sie haben ja in der Anmoderation schon darauf hingewiesen, dass es schon zwei Treffen gegeben hat: Im Jahr 2000 zwischen Kim Jong-il und Kim Dae-jung und dann im Jahr 2007 zwischen dem damaligen Präsidenten Roh Moo-hyun und auch Kim Jong-il.
    Münchenberg: Herr Klitz, da ist ja viel Symbolik heute im Spiel. Da wird eine Pinie gepflanzt, die steht für Frieden und Wohlergehen, wird mit Wasser aus beiden Ländern begossen. Wie groß ist die Gefahr, dass es viele schöne Bilder heute gibt, aber letztlich wenig Konkretes?
    Klitz: Das ist ja gerade das große Problem, dass wir über Symbole und Stimmungen uns unterhalten, aber viel zu wenig über die Substanz. Denn an der Substanz hat sich ja im Grunde genommen überhaupt nichts geändert. Wer die nordkoreanische Rhetorik kennt - daran hat sich seit den 80er-Jahren zur Zeit von Kim Il-sung bis heute nichts geändert.
    "Auf Abrüstung deutet im Augenblick überhaupt nichts"
    Münchenberg: Aber es gab doch jetzt trotzdem die Entspannungssignale, die überraschenden in der letzten Woche, was zum Beispiel die Tests angeht.
    Klitz: Ja, gut. Aber genau in derselben Situation waren wir ja im Jahre 2007. Die Tests waren ja schon mal ausgesetzt. Und das, was bei uns erwartet wird, vor allen Dingen in Washington erwartet wird, ist eine vollkommene, überprüfbare und unumkehrbare Abrüstung, und in die Richtung deutet im Augenblick überhaupt nichts.
    Münchenberg: Sie sagen, es gibt tatsächlich keine Neuerung, weil der Tenor ja im Augenblick schon ist, das sind ganz erstaunliche Signale, die da aus dem Norden in Richtung Süden geschickt werden.
    Klitz: Ja, das kann so wahrgenommen werden. In der Twitter-Gesellschaft wird das auch vielleicht so wahrgenommen. Aber wenn Sie sich die Substanz angucken, wenn Sie sich vor allen Dingen die Neujahrsansprache von Kim Jong-un angucken und wenn Sie sich die Abschlusserklärung zum Treffen des Zentralkomitees der Arbeiterpartei in der vergangenen Woche angucken, dann ist auch da substanziell eigentlich nicht viel bis auf Allgemeinplätze festzustellen.
    Münchenberg: Ein zentrales Thema ist ja die atomare Abrüstung. Das ist ein Hauptziel Südkoreas. Sind da überhaupt mittelfristig substanzielle Zugeständnisse seitens des nordkoreanischen Machthabers zu erwarten?
    Klitz: Es gibt ja die Formel in Washington "überprüfbar, unumkehrbar und vollkommen", also umfassend. Wenn ich das an der Formel messe, heißt das, dass Nordkorea vollkommen auf die Atomwaffen verzichten müsste. Da gehe ich eigentlich nicht davon aus. In meinen Gesprächen in Nordkorea, und ich war 22 Mal in Nordkorea, hat Nordkorea, haben die nordkoreanischen Entscheidungsträger, mit denen ich gesprochen habe, immer die alte Formel von Kim Il-sung aus dem Jahr 1994 wiederholt, dass sie für eine atomare Abrüstung sind, aber selbst nicht bereit sind, den Schritt als erstes zu machen, sondern das eingebettet werden muss in eine weltweite Abrüstungsinitiative.
    Münchenberg: Mit anderen Worten: Da wird dann eigentlich wenig passieren. Viele Beobachter sagen auch, gerade die Atomwaffen sind wichtig für das nordkoreanische Regime, wenn es um das eigene Überleben geht.
    Klitz: Genauso ist das. Ich könnte mir vorstellen, dass Nordkorea zu einem Deal bereit wäre, der vergleichbar ist zum Iran. Aber dieser Iran-Deal ist auch nicht umfassend und vor allen Dingen nicht umfassend überprüfbar.
    "Halte es für richtig, dass der Dialog aufgenommen worden ist"
    Münchenberg: Nun ist ja die atomare Abrüstung die Gretchenfrage auch für die Südkoreaner. Sie rechnen da, noch mal zur Klarstellung, mit keinerlei substanziellen Fortschritten jetzt nach diesem Treffen?
    Klitz: Ich rechne damit, dass das Programm ausgesetzt wird. Ich rechne auch damit, dass das Atomversuchsgelände stillgelegt wird. Das ist aber im Vergleich zu der Diskussion von 2007 überhaupt nichts Neues. 2007 ist auch ausgesetzt worden, der Kühlreaktor ist sogar gesprengt worden, sehr öffentlichkeitswirksam. Am Ende ist kein Ergebnis dabei herausgekommen und das Ganze ist gescheitert an der Frage der Überprüfbarkeit. Damals hatte man sich auf einen Drei-Stufen-Plan verständigt und die Überprüfbarkeit sollte in der dritten Stufe zum Gegenstand der Diskussion werden, sollte aber dann auf Betreiben Südkoreas und Japans in die zweite Stufe vorgezogen werden, und daran ist das Ganze gescheitert. So gesehen: Ich kenne den Film schon. Ich habe ihn mindestens zweimal gesehen.
    Ich will aber nicht nur negativ sein. Ich halte es für richtig, dass der Dialog aufgenommen worden ist, dass wieder Kontakte bestehen, dass auch Telefonkontakte mittlerweile wieder möglich sind. Das ist ein wichtiger, nicht zu unterschätzender erster Schritt.
    Münchenberg: Wenn wir noch mal bei den Inhalten bleiben, Herr Klitz, dann ist ja auch die Frage, was kann denn der Süden dem Norden bieten. Da ist ja zum Beispiel auch die Forderung auf dem Tisch, Abzug oder zumindest Reduzierung der US-Soldaten in Südkorea. Ist das auch eine zentrale Forderung, wo sich der Süden bewegen muss?
    Klitz: Aus nordkoreanischer Sicht wird sich der Süden bewegen müssen in der Frage. Das Ziel Nordkoreas ist ja auffallend, dass Nordkorea immer nur dann gesprächsbereit war, wenn in Südkorea liberalprogressive Präsidenten regiert haben. Kim Dae-jung, Roh Moo-hyun und jetzt Moon Jae-in. Ich denke, dass Nordkorea das anstrebt, einen Abzug der Amerikaner in Südkorea. Aber ich höre auch aus Nordkorea, dass das nicht mal zur Vorbedingung gemacht werden soll. Da wage ich keine Prognose.
    Aber was Nordkorea mit Sicherheit macht: Wenn man sich über eine Friedensregelung unterhält, spielt mit Sicherheit – und da komme ich wieder zurück auf die Neujahrsansprache und auf das Treffen des Zentralkomitees der Arbeiterpartei –, es wird mit Sicherheit auch um wirtschaftliche Fragen gehen. Es wird mit Sicherheit wieder darum gehen, die Sonderwirtschaftszone in Kaesong zu öffnen. Es wird darum gehen, die Sonderwirtschaftszone in Kum Gang San zu öffnen.
    Münchenberg: Ist das, Herr Klitz, denn letztlich das eigentliche Motiv, dass der Norden jetzt ein Stück weit zumindest auf den Süden zugegangen ist? Wirtschaftliche Motive, weil die Not in Nordkorea so groß ist?
    Klitz: Ich denke, dass es vor allen Dingen darauf zurückzuführen ist, dass die Sanktionen greifen. Wenn man da auch wieder den Blick zurückwirft auf 2007: Damals im Rahmen der Sechs-Parteien-Gespräche war eine der obersten Prioritäten Nordkoreas, dass die Gelder in Macau, die eingefroren waren, 26 Millionen, wieder freigegeben werden. Jetzt hat China Konten geschlossen von nordkoreanischen Privatpersonen und nordkoreanischen Handelsgesellschaften. Nordkorea braucht dieses Geld und darauf führe ich eigentlich die Gesprächsbereitschaft zurück.
    "Ich bezweifle, dass es richtig ist, sich so früh zu treffen"
    Münchenberg: Aber wie soll das denn weitergehen? Auf der einen Seite tritt US-Präsident Donald Trump ziemlich hart auf. Er sagt, wir brauchen klare Zugeständnisse des Nordens, sonst gibt es keinerlei Zugeständnisse bei den Sanktionen. Wenn da beide Seiten in ihren Schützengräben bleiben, wie soll es dann Fortschritte geben?
    Klitz: Fortschritte in diesem Verfahren – man ist ja da reingestolpert in dieses ganze Verfahren. Man muss mal überlegen: Da ist eine offizielle Einladung von nordkoreanischer Seite noch gar nicht ausgesprochen, und der amerikanische Präsident nimmt die Einladung schon an. Normalerweise werden solche Gipfeltreffen von langer Hand vorbereitet. Überlegen Sie mal KSZE, Helsinki-Prozess oder das Treffen zwischen Gorbatschow und Ronald Reagan 1986 in Reykjavik. Das ist alles von langer Hand vorbereitet worden. Wir sind jetzt in der Situation, dass die Diplomatie jetzt erst versucht, das zu kitten, was da schon an Scherben entstanden ist. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, oder ich bezweifle, dass es richtig ist, sich so früh zu treffen. So was muss von langer Hand vorbereitet werden.
    Münchenberg: Noch ganz kurz. US-Präsident Trump heftet sich ja dieses heutige Gipfeltreffen auch ein bisschen an das Revers. Er sagt, weil ich so viel Druck ausgeübt habe, kam das zustande. Ist da was dran?
    Klitz: Das ist schwer zu beurteilen. Natürlich schreibt er sich das auf die eigenen Fahnen, genauso wie der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un sich zugutehält, dass Nordkorea oder der Korea-Konflikt auf einmal in der amerikanischen nationalen Sicherheitsstrategie so eine große Bedeutung gewonnen hat. Jeder versucht natürlich, seine Lesart da auch nach außen zu tragen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.