Donnerstag, 16. Mai 2024

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Expertenkommission kritisiert Defizite bei Aufarbeitung der SED-Diktatur

Der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat, Professor Manfred Wilke von der FU Berlin, hält den Vorschläge der Expertenkommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Erinnerung an die deutsche Teilung in mehrere große Komplexe aufzuteilen für ungünstig. Eine Teilung würde bloß eine Selbstbeschäftigung der Gedenkstätten und der Museen mit der Neuordnung auslösen.

Moderation: Klaus Remme | 12.05.2006
    Klaus Remme: Wir haben im Vorlauf der Sendung so kurz nach halb eins bereits berichtet über eine Kommission, die Vorschläge gemacht hat, wie die Aufarbeitung der SED-Diktatur neu geordnet werden soll. Diese Kommission war von der Vorgängerregierung eingesetzt worden, hat die Vorschläge jetzt öffentlich gemacht. Sie sind etwas eher bekannt geworden als geplant, aber so ist das nun einmal in einer Mediendemokratie. - Am Telefon ist jetzt Manfred Wilke, Professor an der FU Berlin und Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat. Herr Wilke, guten Tag!

    Manfred Wilke: Ich grüße Sie Herr Remme!

    Remme: Ein Stichwort in dem Bericht, den unsere Korrespondentin aus dem Hauptstadtstudio für uns gemacht hat, war das Stichwort Trivialisierung, die Trivialisierung der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Welche Indizien gibt es dafür?

    Wilke: Das Minderheitengutachten, das Freya Klier abgegeben hat, die sich nicht dem Votum angeschlossen hat, macht darauf aufmerksam, dass die Kommission keine Stellung genommen hat zu dem schleichenden Wandel des DDR-Bildes, der durch zum einen mangelnden Auseinandersetzungswillen der westdeutschen Eliten mit diesem Thema und zum anderen durch das Auftreten von ehemaligen SED- und Ministerium-für-Staatssicherheit-Leuten nicht nur spektakulär, sondern alltäglich in den Schulen stattfindet und dass auf diese Kernfragen so ähnlich wie im Gesundheitswesen, was eben Ellis Huber dargestellt hat, dieser Bericht überhaupt keine Antwort gibt, vor allen Dingen nicht, dass es jetzt schon um die historische Bildung der kommenden Generationen geht.

    Remme: Herr Wilke, können denn die Defizite in der Aufarbeitung durch eine formale Neuausrichtung von Stiftungen und Einrichtungen behoben werden?

    Wilke: Das gehört sicher dazu und die Kernfrage ist: Was wird aus der Behörde der Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, die ja durch einen mutigen Schritt von Innenminister Schily 2004 endlich aus dem Innenministerium heraus und dem Staatsministerium für Kultur überantwortet wurde. Das heißt, wir betrachten jetzt die Vergangenheitsbewältigung der DDR als Teil unserer kulturellen Staatsaufgaben.

    Der zentrale Punkt dabei ist, dass die Behörde für die Stasi-Unterlagen, gemeinhin Gauck- oder Birthler-Behörde genannt, dass deren politische Funktion, regelmäßig Überprüfungen von Bewerbern im öffentlichen Dienst auf Stasi-Zugehörigkeit zu machen, jetzt ausläuft. Die Behörde wurde 1992 gegründet mit einem befristeten Auftrag. Heute ist sie ein großes zeithistorisches Archiv, die aber über einen Etat von 100 Millionen Euro verfügt. Die Frage ist, ob man diesen Apparat so weiterführen soll oder ob es nicht einer neuen Aufgabenstellung bedarf, die zum Beispiel zur - wie es manche formulieren - Zerschlagung der Behörde führen sollte.

    Remme: Ein anderer Punkt in den Empfehlungen und in den Wahrnehmungen der Kommission ist eine nach Ost und West geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte. Sie wird dort festgestellt. Herr Wilke, wie überraschend kann denn dieser Befund sein? Wie sollte es denn anders sein?

    Wilke: Damit haben Sie es gesagt. Wobei ich dazu sagen muss, ein Punkt ist in dieser Kommission drin, der in der öffentlichen Diskussion des Berichtes hoffentlich Beachtung findet, nämlich dass sie zum ersten Mal sehr prominent die Frage nach oben ziehen, die Frage des Erinnerns an die innerdeutsche Grenze, an die Mauer in Berlin und dass gewissermaßen die Teilungsgeschichte der beiden Deutschländer von '45 bis '90 zu einer neuen Perspektive wird, die in die Erinnerung an die DDR mit eingebaut wird. Das dürfte und könnte eine Brücke sein, um die west-ost-deutschen Unterschiede in der Wahrnehmung der Erlebnisgenerationen für die Zukunft zu überbrücken. Dieses ist ein Punkt, der es meiner Meinung nach wirklich verdient, hervorgehoben zu werden, während die Kommission in Bezug auf die anderen Ordnungsvorstellungen, die sie macht, merkwürdig unentschieden ist. Sie schlägt vor, die Erinnerungen zu teilen in drei große Komplexe: Alltag der Diktatur, dann Geheimpolizei und Diktatur und schließlich Teilung und Grenze. Dieses würde eine Selbstbeschäftigung der Gedenkstätten und der Museen mit der Neuordnung auslösen, die ich in diesem Zusammenhang nicht für so günstig halte.