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Extremismus unter Beamten
"Pauschalisierung macht den Öffentlichen Dienst nicht sicherer"

Der Bundesinnenminister will prüfen lassen, ob Beamte trotz Mitgliedschaft in einer Partei ihrer Pflicht zur Neutralität nachkommen. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnt davor, die Debatte einseitig gegen die AfD zu richten. Wichtig seien Einzelfallprüfungen, sagte sie im Dlf.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Christiane Kaess | 13.02.2019
    Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bei der Vorstellung ihres Buches "Haltung ist Stärke" im März 2017
    Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) (picture alliance/ dpa/ Michael Kappeler)
    Um Beamte im Einzelfall zu überprüfen, gebe es derzeit bereits genug Instrumente, betonte Leutheusser-Schnarrenberger. Eine neue gesetzliche Grundlage sei daher nicht nötig. Die frühere Justizministerin verwies auf die Erfahrungen seit dem Radikalenerlass in den 1970er-Jahren: Damals habe man sich entschieden, die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, die einer Partei angehören, nicht alle pauschal unter Verdacht zu stellen. Das gelte heute genauso.
    Der Vorstoß von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erwecke den Eindruck, dass damit insbesondere ein genauerer Blick auf die AfD beabsichtigt sei, so Leutheusser-Schnarrenberger. Eine Debatte einseitig gegen eine Parteimitgliedschaft führe aber zu einer Polarisierung, die nichts nutze. Einzelne Identitäre, Radikale, Extremisten hätten nichts im öffentlichen Dienst zu suchen. "Aber bloß keine Pauschalisierung", warnte Leutheusser-Schnarrenber. "Das macht am Ende bloß alle in der AfD zu Märtyrern." Und das mache den öffentlichen Dienst nicht sicherer.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Solche Fälle sorgen immer wieder für Schlagzeilen. Im vergangenen September wird der AfD-Bundestagsabgeordnete und frühere Staatsanwalt Thomas Seitz aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Davor war das zuständige Gericht zu dem Schluss gekommen, dass Seitz die Vorschriften zum Beamtenstatus verletzt hatte. Er hatte im Zuge von Wahlkämpfen im Internet unter anderem Begriffe wie "Quotenneger" und "Gesinnungsjustiz" gepostet. Ein Extremfall, der klar über die Regeln für Beamte hinausgeht. Die müssen laut Gesetz neutral und von politischen und wirtschaftlichen Einflüssen unabhängig sein.
    Bundesinnenminister Seehofer machte gestern einen Vorstoß dazu. Er will da jetzt genauer hinsehen. Darüber kann ich jetzt sprechen mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, ehemalige Justizministerin. Guten Morgen!
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Beamtenbundchef Ulrich Silberbach sagt, die Rechtslage ist eindeutig: Wer nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer Verfassung steht, für den ist bei uns kein Platz. Warum gibt es trotzdem immer wieder Fälle von Extremisten unter Beamten?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es kann sich ein Mensch im Laufe seines Lebens, auch seines Berufslebens, verändern. Er kann sich radikalisieren, er kann seine Auffassungen ändern, was beim Eintritt in das Beamtenverhältnis so nicht gegeben war. Und deshalb ist ja so wichtig, dass dann auch im Einzelfall sehr genau geprüft wird, und dass, wie ja auch berichtet wurde, es in Einzelfällen dann zu Entlassungen aus dem Beamtenverhältnis kommen kann, wenn man sich eben dort in seiner Haltung zu einem Extremisten, der gegen die Verfassung steht, entwickelt hat.
    "Vorwürfe gegen hessische Polizisten haben uns aufgewühlt"
    Kaess: Haben Sie den Eindruck, dass da bisher manchmal nicht so genau hingeschaut wurde?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es muss sehr genau hingeschaut werden. Es haben uns doch, denke ich, alle sehr aufgewühlt die Vorwürfe, die gegen einige Polizisten auch im hessischen Polizeidienst bekannt geworden sind, wo im Einzelnen geprüft wird, was liegt dort vor. Denn natürlich muss eine öffentliche Institution, die auch die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger schützen muss, den Bürgern vertrauensvoll entgegentreten. Deshalb haben da natürlich Extremisten, egal aus welcher Motivation, aus welchem Hintergrund heraus, keinen Platz.
    Kaess: Ich frage noch mal nach, denn meine Frage war, ob Sie den Eindruck haben, dass da nicht so genau hingeschaut wird. Oder häufen sich diese Fälle eventuell sogar?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir haben es erlebt bei Reichsbürgern. Da hat man zu Anfang nicht genau hingeschaut. Dann hat man gesehen, das sind sehr viel mehr Menschen, die also richtig feindlich dem Staat gegenüber stehen. Ich denke, jetzt schaut man dort genau hin. Ich glaube, man hat jetzt erkannt, dass es aus unterschiedlichen Gründen eben notwendig ist, im Einzelfall zu prüfen. Aber nicht pauschal jemanden, der sich zu einer politischen Richtung bekennt, gleich mit dem Vorwurf des Extremisten und dann auch mit Berufsverbot zu belegen.
    "Es gibt genug Instrumente, im Einzelfall zu prüfen"
    Kaess: Jetzt ist ja der Ansatz von Horst Seehofer, dass er prüfen will, inwieweit die Parteizugehörigkeit vereinbar ist mit den Pflichten eines Beamten. Was hat das mit Extremismus zu tun? Denn weder muss ja ein Parteimitglied extremistisch sein noch muss umgekehrt ein Extremist Mitglied in einer Partei sein. Also, greift dieser Ansatz eventuell zu kurz?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich glaube, dieser Ansatz geht in meinen Augen zu weit. Davon auszugehen, dass die Mitgliedschaft in einer Partei quasi automatisch nach sich zieht, bei einer bestimmten Partei handelt es sich dann auch um einen potentiellen Extremisten. Natürlich kann auch ein Beamter Mitglied einer Partei sein. Aber es geht hier darum, wie prüfe ich, dass er seiner Neutralitätspflicht auch gerecht wird. Und da haben wir doch seit den 70er-Jahren, als es damals den Radikalenerlass gab, viele Erfahrungen gemacht. Und ich denke, es gibt genug Instrumente, im Einzelfall zu prüfen - gerade auch für sicherheitsrelevant Bereiche haben wir die gesetzlichen Grundlagen. Aber man hat auch damals ganz klar sich zu der Meinung entschieden, nicht pauschal, nicht regelmäßig alle, die in Parteien sind, unter einen bestimmten Verdacht zu stellen, auch wenn diese Partei nicht verboten ist. Und ich denke, das geht heute genauso, und damit können wir auch umgehen.
    Kaess: Also Sie sagen, das geht Ihnen zu weit. Wie eng würden Sie das Ganze denn fassen? Oder, wenn ich Sie richtig verstehe, Sie würden eigentlich gar nichts ändern an der gesetzlichen Grundlage, sondern einfach nur konsequenter prüfen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Genau so ist es. Ich glaube nicht, dass wir eine gesetzliche neue Grundlage brauchen.
    "Das macht nur alle Mitglieder der AfD zu Märtyrern"
    Kaess: Gestern ist ja sofort über die AfD diskutiert worden, als Herr Seehofer mit diesem Vorstoß kam, das Bundesamt für Verfassungsschutz hat ja die AfD vor Kurzem als Prüffall eingestuft. Glauben Sie, dass genau da jetzt genauer hingeschaut wird?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es erweckt doch den Eindruck. So, wie Herr Seehofer sich geäußert hat, dass das beabsichtigt ist. Und ich kann nur sagen, wenn wir jetzt eine Debatte führen, einseitig gegen eine Parteimitgliedschaft gerichtet, dann werden wir eher eine Polarisierung haben, die insgesamt nichts nutzt. Bei einzelnen identitären Radikalen, Extremisten, die, die sich zu Hitler bekennen, mit Hitler-Bärtchen rumlaufen, die vielleicht Vorstrafen haben – ja, natürlich, die haben nichts im Öffentlichen Dienst zu suchen. Aber bloß keine Pauschalisierung. Das, denke ich, macht am Ende nur alle Mitglieder in der AfD zu Märtyrern und das bringt uns nicht weiter und macht den Öffentlichen Dienst nicht sicherer.
    Kaess: Horst Seehofer hat ja gestern noch mal drauf hingewiesen, dass es eben in alle Richtungen gehen soll, diese Prüfungen. Aber wenn jetzt zum Beispiel jemand dem rechten Flügel der Partei, der AfD angehört oder der Jugendorganisation Junge Alternative, die ja schon eingestuft ist vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall. Was passiert denn dann, wenn ein Beamter da eine Zugehörigkeit hat?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Dann wird sich der Verfassungsschutz ganz genau damit beschäftigen. Dann werden die Erkenntnisse von den zuständigen Dienstvorgesetzten eben auch geprüft werden müssen. Und dann wird es im Einzelfall, gerade wie es ja auch schon passiert ist bei dem einen Staatsanwalt, zu einer Entscheidung kommen, ob der noch wirklich auf dem Boden des Grundgesetzes steht und seiner Neutralitätspflicht nachkommt. Und da haben wir Instrumente, da haben wir Rechtsprechung. Und dann muss man auch konsequent handeln.
    [Anmerkung der Redaktion: Teile der Antworten in diesem Live-Telefoninterview waren wegen schlechter Tonqualität unverständlich und werden in der Verschriftlichung daher nicht wiedergegeben.]
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.