Freitag, 19. April 2024

Archiv

Extremwetter und Hungersnöte
Die Welt bei einem Temperaturanstieg um 2,4 Grad

Selbst wenn alle Zusagen der Weltklimakonferenz von Glasgow bis 2030 umgesetzt werden, klettern die Temperaturen bis Ende des Jahrhunderts immer noch auf etwa 2,4 Grad. In Computermodellen wurde diese erwärmte Welt bereits simuliert - sie würde anders aussehen als heute.

Von Volker Mrasek | 14.11.2021
Spitzbergen , Koenigsfjord
In einer 2,4-Grad-Welt ist die Gefahr größer, dass beispielsweise das Abschmelzen der Polkappen kein Halten mehr kennt (picture alliance / photothek)
Ihr auf der Klimakonferenz: Handelt jetzt!“

Eine lautstarke Mahnung zum energischen Handeln. Das "Orchester des Wandels" intonierte sie im Vorfeld von Glasgow. Doch auch Pauken und Trompeten verhalfen nicht zum großen Durchbruch. Dem Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, sind die Staatschefs in Glasgow nach Ansicht vieler Beobachter kaum einen Schritt nähergekommen:
„Bisher steuerten wir auf 2,7 Grad Celsius zu! Wenn wir die nachgebesserten Klimaschutzpläne der Länder während der Konferenz berücksichtigen, kommen wir nur noch auf 2,4 Grad. Aber das sind immer noch schlechte Nachrichten“, so der britische Klimamodellierer Chris Smith.

Verdoppelung der Wetterextreme schon bei 1,5 Grad

Wie würde eine 2,4-Grad-Welt Ende des Jahrhunderts aussehen? Sicher noch ungemütlicher als bei einer globalen Erwärmung von plus zwei Grad! Und die wurde schon ausgiebig in Computermodellen simuliert. Der Klimaforscher Bill Hare fasst die Ergebnisse so zusammen:
“Wir wissen aus dem Bericht des Weltklimarates, dass Wetterextreme schon bei 1,5 Grad Celsius um 50 Prozent heftiger sein werden als bisher. Und bei zwei Grad 50 Prozent schlimmer als bei 1,5 Grad.“

Gefährliche Hitze für eine Milliarde Menschen bei 2 Grad

Jedes weitere Zehntelgrad über die Zwei-Grad-Schwelle hinaus werde noch intensivere Hitzewellen und Dürren mit sich bringen, sagt Chris Smith: “In der vergangenen Woche ist eine Studie des britischen Wetterdienstes erschienen. Schon bei zwei Grad Erwärmung wird demnach eine Milliarde Menschen gefährlicher Hitze ausgesetzt sein. Das liegt daran, dass es Gebiete gibt, die sich stärker erwärmen als die Erde im Mittel. Das Gleiche gilt für Städte. Und in Zukunft werden immer mehr Menschen in Städten leben.

Keine Erholung mehr vom thermischen Stress

In einer 2,4-Grad-Welt würden wir nicht nur unter stärkerer Tageshitze leiden – auch die Zahl tropischer Nächte nähme zu, mit Temperaturen, die nicht unter 20 Grad fallen, so dass sich unser Körper vom thermischen Stress nicht mehr erholen kann. Der Geowissenschaftler Simon Tett von der Universität Edinburgh hat das zusammen mit Kollegen simuliert, in einem Szenario, das der 2,4-Grad-Welt sehr nahe kommt.
Das Resultat: Die Zahl sehr heißer Sommertage auf der Nordhalbkugel, mit tropischen Temperaturen auch nachts, vervierfacht sich bis Ende des Jahrhunderts, von heute acht auf über 30:
"Das ist eine ziemlich starke Veränderung! Wir haben es hier mit einer Bedrohung zu tun, über die wir uns in der Vergangenheit nicht so viele Gedanken machen mussten.

Fluten wie im Ahrtal könnten zunehmen

Auch das Risiko für verheerende Überschwemmungen wie kürzlich im Ahrtal und an der Erft steigt. Denn je wärmer die Erdatmosphäre, desto mehr Feuchtigkeit kann sie aufnehmen - und dann auch wieder in Form von Regen ausschütten. Der Physiker Claas Teichmann vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht leitete eine Studie, die das simulierte – für eine Erwärmung von 1,5, zwei und drei Grad Celsius:
“Die Tage mit Starkniederschlägen, die nehmen natürlich graduell zu. Wenn man insgesamt auf einem höheren Niveau ist, dann gehen halt auch extreme Ausschläge weiter nach oben. Im Ahrtal war ja jetzt ein gutes Beispiel: Dass eben auch Werte auftreten, die man bisher noch gar nicht beobachtet hat.
Und so könnte die Entwicklung weitergehen, sollten die Temperaturschwellen nacheinander überschritten werden.

Kein Halten mehr für das Abschmelzen der Polkappen

Aber nicht nur das: In einer 2,4-Grad-Welt ist auch die Gefahr viel größer, dass sogenannte Kipppunkte im Klimasystem überschritten werden. Dass etwa der Golfstrom abreißt oder ein Punkt erreicht wird, an dem das Abschmelzen der Polkappen kein Halten mehr kennt und der Meeresspiegel mit der Zeit extrem steigt. Die Welt würde auch deshalb ganz anders aussehen, weil viele Ökosysteme mit einer so starken Erwärmung nicht klar kämen:
“In so einer Natur möchte ich nicht leben. Das ist eine eindeutige Antwort.“