Samstag, 27. April 2024

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Facebook-Chef in Deutschland
„Zu 99,9 Prozent eine PR-Offensive“

Dass Facebook zu viel Macht hat, sieht inzwischen selbst Mark Zuckerberg so. Der Facebook-Chef fordert deswegen nun auch, sein Unternehmen stärker zu regulieren. Dieser Vorstoß sei allerdings vor allem eine Marketing-Maßnahme, meinte Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller im Dlf.

Klaus Müller im Gespräch mit Stefan Fries | 02.04.2019
24.03.2018, Sachsen, Dresden: ILLUSTRATION - Das Logo des sozialen Netzwerks Facebook und das Zeichen für "Gefällt mir nicht" (Daumen runter) werden auf einem Bildschirm angezeigt. Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Trotz Skandalen ist Facebook noch immer ein erfolgreiches Unternehmen (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
Stefan Fries: Mark Zuckerberg hat in Berlin Politiker und Medienmacher getroffen, darunter Justizministerin Katharina Barley, CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Springer-Chef Mathias Döpfner. Und überall seine Botschaft: Facebook hat zu viel Macht, bitte reguliert uns. Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen: Das ist doch in Ihrem Sinne, oder?
Klaus Müller: Wir freuen uns über jeden Saulus, der zum Paulus wird, und besser spät als nie, könnte man sagen. Trotzdem wirkt auf uns dieses Eingeständnis unglaubwürdig, weil Facebook noch vor jüngster Zeit vehement gegen die Datenschutzgrundverordnung auf europäischer Ebene polemisiert hat und wir auch nach wie vor finden, man könnte ja mit gutem Beispiel vorangehen und auf einen Teil des Datenhungers schlicht verzichten. Auch die Trennung zu Whatsapp wäre ja durchaus machbar innerhalb des Unternehmens. Also bisher sind das nur alles laue und warme Worte.
Fries: Warum macht Facebook das nicht?
Müller: Ich glaube, dass Facebook erstens feststellt, dass es tatsächlich ein erhebliches Imageproblem hat und letztendlich auch sich jetzt auf die gute Seite schlagen möchte. Denken Sie an den "Cambridge Analytica"-Skandal, die Frage nach der Wahlmanipulierung in den USA und anderswo bis hin zu den wirklich furchtbaren und katastrophalen Ereignissen in Christchurch. Ich glaube, das Problembewusstsein ist angekommen. Leider nutzt Facebook seine Vorschläge, um auch seine Marktmacht zu zementieren. Wir sehen hier noch nicht wirklich eine Umkehr.
"Es gibt klare und gute Gesetze"
Fries: Inwiefern?
Müller: Denken Sie zum Beispiel an einen der vier Vorschläge, der auf den ersten Blick sehr gut klingt. Unter dem Stichwort der Portabilität, sagt Facebook, das hätten sie gerne. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass ich Daten von einem System zum anderen transportieren soll. Das kennen wir aus dem Telefonbereich. Sie können natürlich als Telekom-Kunde bei jemandem anrufen, der Vodafone hat oder nehmen Sie jedes andere Beispiel. Das wäre auch bei sozialen Netzwerken denkbar. Nur gerade für den Monopolisten ist das natürlich besonders angenehm, weil er davon ausgehen kann, dass immer mehr Daten zu ihm kommen. Besser wäre hier eine neutrale Schnittstelle, die nicht von irgendjemandem dominiert wird.
Fries: Sie haben jetzt schon einen Vorschlag angesprochen. Zuckerberg fordert auch zum Beispiel gemeinsame Standards für alle Anbieter, um "unzulässige Inhalte" zu entfernen. Er meint damit wahrscheinlich Dinge wie Hass-Postings, Desinformation und Propaganda. Wieso braucht Facebook für so etwas Vorgaben?
Müller: Das ist uns auch ein Rätsel. Es gibt dafür klare und gute Gesetze. Das Problem ist natürlich, dass sie teilweise sehr unterschiedlich sind. Wenn Sie sich angucken, wie die Moralvorstellungen in den USA sind, dann sehen Sie, dass gegen gewisse körperliche Freizügigkeit schon jetzt sehr, sehr rigide vorgegangen wird, wo man als Europäer mit den Augen rollt. Dagegen sind dort bestimmte Formen von Gewalt und auch Aussprache, Verleumdung, Hassreden weniger stark reguliert als nach europäischen Vorstellungen. Ich würde sagen, es gibt trotzdem eine einfache Lösung, nämlich: Facebook kann die nationalen Gesetze lesen und dementsprechend die Ressourcen zur Verfügung stellen, damit dieses dann auf den jeweiligen Plattformen schlicht schnell gelöscht wird. Zeitungsverlage kriegen das ja auch hin, entsprechende Kontrollen. Es ist eine Frage des Aufwandes. Und ich kann bisher nicht erkennen, dass Facebook bereit ist, hier das nötige Geld in die Hand zu nehmen.
Datenschutzregeln mit "Löchern so groß wie ein Schweizer Käse"
Fries: Facebook fordert ja auch weltweite Regeln. Wo man sich fragt: Wer soll die denn eigentlich festlegen? Ist das eine Art und Weise, um sozusagen einer Regulierung zu entgehen?
Müller: Auf jeden Fall, weil es bedeutet schlicht: Sankt-Nimmerleins-Tag. Wir wissen, dass allein die Datenschutzgrundverordnung, die Facebook jetzt ja inzwischen lobt, über sechs Jahre gebraucht hat. Die Vorstellung, dass wir auf UN-Ebene oder wo auch immer weltweite Regeln festlegen, ist schlicht illusionär. Es bedeutet eine Vertagung auf irgendwann einmal, aber bitte nicht heute oder morgen. Und darum geht es um andere Dinge: Es geht darum, wie kann Facebook dazu beitragen, seine Steuern zu zahlen in den Ländern, damit es dann dort auch entsprechend Aufsichtsbehörden gibt. Wie können wir zivilgesellschaftliche Verbände mit Klagebefugnissen ausstatten, der Verbraucherzentrale-Bundesverband verklagt Facebook inzwischen zum vierten Mal, mehrfach waren wir schon erfolgreich. Das heißt, eigentlich geht es darum, dass sich Facebook an geltendes Recht und Gesetz hält. Da wären wir einen großen Schritt weiter.
Fries: Facebook lebt ja eigentlich von Daten. Wenn Zuckerberg jetzt die Datenschutzgrundverordnung lobt, kann man ein bisschen den Eindruck bekommen, dass das vielleicht ein Alarmsignal ist, dass die Verordnung gar nicht wirkt, oder?
Müller: Richtig ist, dass die Datenschutzgrundverordnung ein ganz wichtiger Schritt ist, weil sich jetzt erstmal überhaupt große Digitalunternehmen an Recht und Gesetz in Europa halten müssen. Das war vorher schlicht ein Trauerspiel, wo sie das teilweise geleugnet haben, dass überhaupt solche Gesetze für sie gelten. Das ist ein Fortschritt. Richtig ist aber auch, dass leider die Datenschutzgrundverordnung bestimmte Löcher so groß wie ein Schweizer Käse hat. Das betrifft zum Beispiel die wissenschaftliche Verwendung von Daten. Facebook hat ein paar Mal argumentiert, dass sie eigentlich nur wissenschaftlich, statistisch unterwegs seien. Oder aber Formulierungen zum Thema berechtigtes Interesse von Unternehmen, was dann meine Einwilligung womöglich aushebelt. Das heißt: Ja, die Datenschutzgrundverordnung war ein Fortschritt. Sie müsste aber an einigen Stellen nachgebessert werden. Das hindert Facebook aber nicht, wenn sie wirklich glaubwürdig sein wollen, zu sagen, mit zum Beispiel der neuen E-Privacy-Regelung, die könnte über die Datenschutzgrundverordnung hinausgehen: Wir, Facebook, unterstützen stärkere Datenschutzregeln in Europa. Das alles sagt Herr Zuckerberg leider nicht.
"Viel Misstrauen" gegen Facebook
Fries: Die Bundesjustizministerin Katharina Barley hat Zuckerberg auch gestern getroffen. Und heute hat sie gesagt, ein verbraucherfreundlicher Umgang mit Daten sei ein Standortvorteil. Das sollten wir in den Vordergrund stellen. Ist das denn auch Ihre Erfahrung als Verbraucherschützer?
Müller: Ich verstehe die Bundesverbraucherschutzministerin so, dass sie hier eine Wunschvorstellung geäußert hat. Für Facebook, aber auch für Google, für Amazon, Alibaba, alle anderen können wir das so in der Form bisher nicht erkennen. Was wir tatsächlich sehen, ist, dass europäische Unternehmen, die Cloud-Dienstleistungen, also große Server-Kapazitäten anbieten, inzwischen damit werben, dass sie unter den Bedingungen der Datenschutzgrundverordnung ihre Dienste anbieten. Und es gibt immer mehr Behörden, Unternehmen, Verbände, die sagen: Okay, wenn wir diese Dienstleistung nutzen, dann müssen die Server auch innerhalb der EU stehen. Das heißt, ich garantiere gegenüber Kunden, Verbrauchern, Wettbewerbern: Meine Sicherheitsstandards sind sozusagen datenschutzgrundverordnungskompatibel. Also hier findet das tatsächlich schon statt. In den sozialen Netzwerken, in diesen großen Plattformen können wir das bis heute noch nicht erkennen.
Fries: Wenn wir jetzt nochmal auf Zuckerberg schauen, die letzten Tage: Sein Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", seine Treffen gestern in Berlin: Ist das nur eine PR-Offensive oder steckt da tatsächlich substanziell was dahinter aus Ihrer Sicht?
Müller: Für mich ist das zu 99,9 Prozent eine PR-Offensive von einem Unternehmen, was es nötig hat, was in den USA unter Druck ist, was in Australien, Neuseeland unter erheblichem Druck ist, und dem auch in Europa mit viel Misstrauen begegnet wird. Und es war selber schuld daran. Es hat sein Versprechen beim Aufkauf von Whatsapp schlicht gebrochen und sich nicht an das gehalten, was sie selber proklamiert haben. Es hat ein Geschäftsmodell, das bis heute nicht datenschutzfreundlich oder datenschutzsparsam ist an der Stelle. Darum ist das PR. Trotzdem: Ich freue mich über jeden Satz, der sagt: Die Datenschutzgrundverordnung ist notwendig. Weil diesen Satz habe ich von Facebook jahrelang nicht gehört.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.