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Fake News und The War of The Worlds
Die Geburtsstunde des modernen Entertainments

Am 30. Oktober 1938 schockte der Autor Orson Welles die Amerikaner mit einem Hörspiel, in dem er die Eroberung der Welt durch Mars-Menschen vortäuschte. Die Legende besagt, dass es im Anschluss eine Massenpanik gab. Es war einer der ersten Fälle von Fake News.

Von Jan Drees | 24.04.2017
    Schwarz-weiß-Aufnahme einer Hörspiel-Übertragung in einem Studio. Sprecher an Mikrofonen und Musiker mit Geigen.
    Der US-amerikanische Schauspieler und Autor Orson Welles bei der Aufnahme von "The War of the Worlds". (dpa/picture alliance/UPI)
    "Zwischen neun Uhr abends New Yorker Zeit und der Frühe des nächsten Tages flüchteten Männer, Frauen und Kinder in vielen Städten der USA vor Dingen, die nur in ihrer Fantasie existierten. Innerhalb von 45 Minuten waren die eindringlichen Marsmenschen angeblich imstande, von ihrem Planeten zu starten, auf der Erde zu landen, ihre Vernichtungsmaschinen aufzustellen, unsere Armee zu schlagen, Verkehrsverbindungen zu unterbrechen, die Bevölkerung zu demoralisieren und ganze Landstriche zu besetzten."
    Ungläubig erinnerte sich vor Jahrzehnten Howard Koch, Bearbeiter des Romans "Krieg der Welten" an den Halloweenabend im Jahr 1938, als sein Doku-Hörspiel die USA in Panik versetzte, weil mehrere Millionen Menschen der gefakten Livereportage über ein Invasion alles zerstörender Außerirdischen Glauben schenkte. "The War of the Worlds" war von nun an weniger der Roman von Autor H. G. Wells, 1898 in London veröffentlicht. "The War of the Worlds" stand ab sofort für die Geburtsstunde des modernen Entertainments, das Realität und Fiktion leichthin gegeneinander austauschen kann.
    Im CBS-Hörfunkstudio wurde eine Abenteuerreportage nachgespielt
    Die denkwürdigste Stunde der Mediengeschichte begann harmlos mit der Begrüßung aller Zuhörer: "Good evening, ladies and gentlemen. From the Meridian Room in the Park Plaza in New York City, we bring you the music of Ramón Raquello and his orchestra. With a touch of the Spanish, Ramón Raquello leads off with 'La Cumparsita'." Dann kam Musik, die wenig später unterbrochen wird mit den Worten: "Ladies and Gentlemen, we interrupt our program of dance music to bring you a special bulletin from the Intercontinental Radio News. At twenty minutes before eight, central time, Professor Farell of the Mount Jennings Oberservatory, Chicago, Illinois, reports observing several explosions of incandescen gas, occuring at regular intervals on the Planet Mars."
    Wer von Anfang an dabei war, erinnerte sich an den Hinweis, dass alles nun Folgende eine Erfindung sei. Das 23-jährige Mediengenie Orson Welles und sein Team spielen im CBS-Hörfunkstudio eine Abenteuerreportage nach. In dieser berichten Augenzeugen, Generäle und Astronomen von der Landung außerirdischer Kampftruppen. Schalten zu einem Farmer, auf dessen Acker ein Raumschiff gelandet sein soll wechseln mit dem Referat eines Professor Pierson und einer Liveberichterstattung, die irgendwann abrupt abbricht, weil der Radiomann draußen angegriffen und vermutlich ermordet wird.
    Wer etwas später eingeschaltet hat, vielleicht weil er zuvor beim Konkurrenzsender NBC einem Bauchredner zugehört hatte, der wähnt sich nun in einem realen Horrorszenario. Außerirdische überfallen die Erde. Das Radio berichtet live. Augenzeugen bestätigen die Echtheit der Katastrophe. Und eine der faszinierendsten Rezeptionsgeschichten des vergangenen Jahrhunderts nimmt seinen Lauf.
    "'The War of the Worlds' zelebriert die Entwicklung zur formenbedingter Blindheit (eher: Taubheit) des Hörers genüsslich in Stufen: Von der Meldung zum Interview (des Spezialisten), dann vom Interview (des Augenzeugen) zur Livereportage mit O-Ton, der als Beleg fürs Merkwürdige, Sensationelle, Außergewöhnliche der Nachricht herhalten muss und taugt. Hier wird paradigmatisch die news show entfaltet: die Nachricht als Unterhaltung." Das schreibt der inzwischen emeritierte Professor Werner Faulstich 1981 in seiner Habilitationsschrift "Radiotheorie".
    Die Sache stimmt hinten und vorne nicht
    Als die neu gemasterte Version von "The War of the Worlds" kürzlich auf CD und Vinyl erschien, war im Booklet des Münchner Hörverlages ein Reader's Digest-Text von 1987 abgedruckt, der mit den Worten beginnt: "Nichts deutete darauf hin, welche Welle panischen Entsetzen die Vereinigten Staaten am Abend des 30. Oktober 1938 überrollen sollte." Dabei stimmt die Sache hinten und vorne nicht. Besagte Panik hat es nie gegeben. Selbst jene die später eingeschaltet haben, sind mitnichten auf die Straße geflohen. Es gab keine Selbstmordversuche, keine traumatisierten Hörer, die später mit Elektroschocks behandelt werden musste. Dennoch wird diesem genialen Hoax weiterhin geglaubt. Und die dahinter liegende Geschichte ist noch aufregender und geheimnisvoller als bislang kolportiert. Denn "The War of the Worlds", das ist auch der Beginn einer neuen Disziplin. Zu leicht haben die Medienwissenschaften seit Anfang der 40er-Jahre die Behauptung geschluckt, dass ein erfundenes Radiohörspiel zu einer realen Panik führen kann. Umso kurioser dass diese Geschichte weitergetragen wird. Was war geschehen?
    Schon 1940 schreibt der Massenkommunikationsforscher Hadley Cantril, nachdem er mehrere vermeintliche Zeitzeugen befragt hatte: "Am Abend des 30. Oktober 1938 wurden Tausende von Amerikanern von einer Panik erfasst, als sie eine Radiosendung hörten, die scheinbar von einer Invasion der Marsmenschen berichtete, die unsere ganze Zivilisation bedrohte. Wahrscheinlich sind niemals zuvor so viele Menschen aller Berufe und aus allen Teilen des Landes so plötzlich und heftig erschreckt worden wie in dieser Nacht." Noch 2008 berichtet die "Kleine Geschichte des Hörspiels" von Hans-Jürgen Krug von besagter Panik.
    Dabei hatte Frank Hartmann, der inzwischen als Professor für Geschichte und Theorie der Visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar lehrt, bereits 2005 geschrieben: "Das offene Geheimnis der fragwürdigen Studie ist schlicht, dass lediglich mit ca. 100 eine ausgesuchte kleine Personenzahl wissenschaftlich befragt wurde, und zwar, weil von ihnen bekannt war, dass sie durch die Radiosendung in Panik geraten waren. Das dürftige Forschungsdesign der Studie mag um 1940 akzeptabel gewesen sein, würde heutzutage aber kaum mehr als wissenschaftlich durchgehen. Doch das Denken nach diesem Schema ist geblieben: Wirklich ist, was in den Medien ist." Von der Massenpanik selbst spricht Cantril nicht – doch Journalisten haben später einen Beleg dafür in Cantrils Studie hineingelesen.
    Perfekt wird die Sache erst, als die Titelseiten dazukommen
    Heute sagt Frank Hartmann: "Die Studie dazu ist natürlich ein Witz. Man hatte gerade das Phantom der öffentlichen Meinung entdeckt und traute der Sozialpsychologie einiges zu. Sie diente auch der Propaganda und der psychologischen Kriegsführung. Cantril wollte sich damit einfach wichtig machen." Der tatsächliche Clou dieser Geschichte liegt allerdings darin, dass die Inszenierung des Hoax' keineswegs mit dem Fake-Doku-Teil von "The War of the Worlds" beendet war. Nach 30 Minuten wechselt die Invasionsinszenierung in gewöhnlich-trockene Studiodialoge und niemand könnte dort auf die Idee kommen, hier fände etwas anderes als Fiktion statt. Nach 58 Minuten ist die Sendung beendet. Perfekt wird die Sache erst, als die Titelseiten dazukommen. Was die mit dem Hoax zu tun haben? "Im Jahre 1927 gab es in den Vereinigten Staaten bereits 48 zeitungseigene Radiostationen, und 97 Zeitungen präsentierten ihre Nachrichten auch via Hörfunk", schreibt Werner Faulstich in seiner Radiotheorie. Anders als heute, wo Privat- und öffentlicher Rundfunk größtenteils von den Printhäusern unabhängig agieren gab es 1938 einen engen Medienverbund, vielleicht vergleichbar mit der engen Verzahnung von Internetportalen und Magazinen im Jahr 2014. Es war ein Leichtes, den Fake vom einen Medium ins andere zu übertragen.
    Die Inszenierungen um "The War of the Worlds" hat der Story bis heute genutzt. Seit Byron Haskins FSK-16-Streifen aus dem Jahr 1953 gab es unzählige Adaptionen und Remakes, von denen Steven Spielbergs "Krieg der Welten" mit Tom Cruise zu den Tiefpunkten zählt. Was im viktorianischen Zeitalter 1898 mit dem technologiekritischen Science-Fiction-Klassiker von H. G. Wells aus London begann wird 2014 mit dem technisch brillanten Remastering des Münchner Hörverlages fortgeführt: Legendenbildung inklusive.
    Literaturhinweise:
    Orson Welles: "The War of the Worlds", Der Hörverlag, 1 Vinyl/CD, 58 Minuten / H. G. Wells: "Der Krieg der Welten", übersetzt von Lutz-W. Wolf, dtv, 322 Seiten, 11,90 Euro/ ders. übersetzt von H.-U. Möhring, Fischer, 300 Seiten, 22 Euro / Hans-Jürgen Krug: "Kleine Geschichte des Hörspiels", UVK, 204 Seiten, 17,90 / Klaus Schöning (Hg.): "Hörspielmacher", Athenäum, Königstein/Ts. (vergriffen) / Werner Faulstich: "Radiotheorie – Eine Studie zum Hörspiel ‚The War of the Worlds‘ (1928) von Orson Welles", Gunter Narr Verlag, Tübingen (vergriffen) / Cixin Liu. "Die drei Sonnen", übersetzt von Martina Hasse, Heyne, 592 Seiten, 14,99 Euro