Dienstag, 23. April 2024

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Fall Akhanli
"Die Auslieferung muss zwingend für nicht zulässig erklärt werden"

Nach der Festnahme von Dogan Akhanli liege es nun an den spanischen Richtern, über eine Auslieferung an die Türkei zu entscheiden, sagte Strafrechtler Nikolaos Gazeas im Dlf. Er sei sich allerdings sicher, dass der Antrag abgelehnt werde, weil der Verdacht einer politischen Verfolgung offensichtlich sei.

Nikolaos Gazeas im Gespäch mit Jasper Barenberg | 21.08.2017
    Die Interpol-Zentrale in Singapur.
    "Es ist eine Wesensart von Interpol und eines der leitenden Prinzipien, dass Interpol neutral ist", sagte Nikolaos Gazeas von der Universität zu Köln. (EPA / Wallace Woon)
    Jasper Barenberg: Im Studio begrüße ich den Juristen Nikolaos Gazeas, Rechtsanwalt und Strafrechtler an der Universität in Köln. Schönen guten Tag, Herr Gazeas.
    Nikolaos Gazeas: Guten Tag, Herr Barenberg.
    Barenberg: Danke für den Besuch im Studio. Fangen wir am Anfang an: Interpol bearbeitet einen Haftbefehl aus der Türkei. Die Behörden in Spanien vollstrecken ihn, nehmen den Verdächtigen in Haft. Ein Gericht entscheidet, ihn vorläufig auf freien Fuß zu setzen unter Auflagen. Ist an dieser Vorgehensweise irgendetwas auszusetzen?
    Gazeas: Ob hier Fehler unterlaufen sind, dafür ist es sicherlich zu früh, das zu beurteilen. Es sind allerdings, wenn Sie so wollen, einige Merkwürdigkeiten, die man vielleicht erwähnen kann. Die erste Merkwürdigkeit ist, dass hier Herr Akhanli überhaupt bei Interpol zur Fahndung ausgeschrieben wurde. Die zweite Merkwürdigkeit und die, die Herr Akhanli leider auch ganz besonders zu spüren bekommen hat, war die, dass er in Spanien auf das türkische Festnahmeersuchen überhaupt festgenommen wurde.
    "Interpol ist nichts anderes als eine Zusammenarbeitsplattform"
    Barenberg: Warum ist das eine Merkwürdigkeit, dass er überhaupt zur Fahndung ausgeschrieben wurde?
    Gazeas: Interpol ist dafür da, um Fahndungsersuchen zu verbreiten. Es ist nichts anderes als eine Zusammenarbeitsplattform. Wenn Sie so wollen, kann man sich das vorstellen wie ein großes Schwarzes Brett, auf das jeder Mitgliedsstaat, der daran teilnimmt - und das sind 190 Staaten dieser Welt, also fast alle -, ihren Steckbrief aufbringen dürfen. Es ist aber auch eine Wesensart von Interpol und eines der leitenden Prinzipien, dass Interpol neutral ist und sich strikt jeder politischen Einmischung entzieht. Es gibt sogar in den Interpol-Statuten eine eigene Regelung, die besagt, dass jede Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen Charakters der Organisation strengstens untersagt sind. Allein der Wortlaut zeigt schon, wie sehr man auf Neutralität bedacht ist. Der Fall Akhanli und viele, leider nicht nur dieses Festnahmeersuchen aus der Türkei, haben einen politischen Hintergrund und Züge von politischer Verfolgung, und deswegen wundert es mich, dass man bei Interpol hier nicht eine entsprechende Warnung abgegeben hat oder überhaupt die Fahndung abgelehnt hat. Um Ihnen hier einen Vergleichsfall zu geben. Im Fall von Snowden war es so, dass die USA damals auch Snowden bei Interpol haben ausschreiben wollen, aber Interpol hat das abgelehnt.
    "Bei Interpol muss und wird eigentlich jeder Fall einzeln beurteilt"
    Barenberg: Daraus folgt ja gleich automatisch die nächste Frage. Wenn das so ist und es gibt den Prüfungsauftrag, die Verpflichtung für Interpol, solche Begehren zu prüfen und sich das genau anzusehen, hat dann da ein Kontrollsystem versagt, wie jetzt ja schon einige Politiker in Deutschland sagen, beispielsweise die Grüne Claudia Roth?
    Gazeas: Ein abschließendes Urteil will ich mir dafür noch nicht bilden. Es ist allerdings so, dass die Kontrolle, die dort stattgefunden hat, offensichtlich zu einem Ergebnis gekommen ist, was wir nachträglich für nicht wünschenswert erachten. Bei Interpol muss und wird eigentlich jeder Fall einzeln beurteilt. Man berücksichtigt dann alle Umstände eines Einzelfalles. Und im Falle der Türkei und jetzt in diesem Zeitraum, Sommer 2017, muss man ganz, ganz sensibel und vorsichtig an solche Ersuchen herangehen. In Deutschland ist das übrigens schon so. Die Fahndungsersuchen, die - sei es über Interpol kommen oder auf anderem Wege nach Deutschland -, die werden hier bei uns durch das dafür zuständige Justizministerium und das Bundesamt für Justiz und das Auswärtige Amt wirklich ganz, ganz besonders gründlich unter die Lupe genommen, und ein solches Vorgehen würde ich mir eigentlich auch bei Interpol wünschen.
    Barenberg: Macht es eigentlich einen Unterschied, weil es immer wieder erwähnt wird, dass die Türkei ihr Gesuch mit einem Dringlichkeitsvermerk versehen hat, mit einer "Red Notice"? Macht das in der Praxis, dass er in Haft genommen wurde, irgendeinen Unterschied?
    Gazeas: Nein. Ich glaube, dieser Dringlichkeitsvermerk und "Red Notice" hat für ein bisschen Verwirrung gesorgt. Diese "Red Notice", diese Rotecke ist das, was man oft als internationalen Haftbefehl liest, den es als solchen nicht gibt. Das ist einfach ein Festnahmeersuchen. Interpol ist nicht nur eine Plattform, um Festnahmeersuchen zu verteilen, sondern auch, wenn Kinder entführt wurden oder andere Informationen zwischen den internationalen Polizeibehörden gestreut werden müssen. Da gibt es verschiedene Farben und "Red Notice", das ist die Höchste. Das ist die, wenn man nach einer Person fahndet, damit sie festgenommen wird. So war es auch in diesem Fall.
    Man muss in dem Zusammenhang allerdings wissen - das ist aber regelmäßig so; da hat die Türkei, wenn Sie so wollen, hier keine Besonderheit eingeschlagen -, dass bei einer Person, wenn man sie zur Festnahme ausschreibt, in aller Regel noch nicht die vollständigen Auslieferungsunterlagen vorliegen, sondern nur ein sogenanntes vorläufiges Festnahmeersuchen. Das sind weitaus weniger Informationen, die darin enthalten sind. Damit geht natürlich einher, dass auch die Prüfungsmöglichkeiten, die da bestehen, eingeschränkter sind, als wenn ich irgendwann das gesamte Auslieferungsersuchenspaket in der Hand halte.
    "Jetzt liegt alles am und im spanischen Recht"
    Barenberg: Und genau in diesem Punkt wird sich in den nächsten 40 Tagen einiges ändern, denn 40 Tage hat jetzt die türkische Regierung, haben die türkischen Behörden Zeit, ihr Auslieferungsbegehren inhaltlich zu begründen. Das heißt, dann wissen wir, dann ist auch öffentlich, was genau überhaupt dem Schriftsteller vorgeworfen wird und wie die Türkei ihr Auslieferungsbegehren im Einzelnen begründet?
    Gazeas: Ja. Innerhalb dieser 40 Tage - so sieht es das Auslieferungsübereinkommen vor, das zwischen Spanien und der Türkei gilt; das ist übrigens dasselbe, auf deren Basis auch die Auslieferung mit Deutschland erfolgt - muss das Auslieferungsersuchen vollständig mit allen dafür erforderlichen Informationen, vor allem auch dem Haftbefehl, der dem zugrunde liegt, vorhanden sein. Es gibt ja einen nationalen Haftbefehl in der Türkei gegen Herrn Akhanli und dieser und weitere Informationen müssen den spanischen Behörden unterbreitet werden. Das spanische Gericht wird dann prüfen, ob die Auslieferung zulässig ist, und zwar nach spanischem Recht. Ganz wichtig ist hier vielleicht in dem Zusammenhang auch noch mal zu erwähnen, dass Interpol an sich auch keine eigenen Befugnisse hat. Es ist wie gesagt wirklich an sich nicht mehr als eine Pinnwand. Jetzt liegt alles am und im spanischen Recht und die spanischen Richter werden nach spanischem Recht entscheiden müssen, ob hier eine Auslieferung zulässig ist oder nicht. Ich meine, hier schon eine Prognose abgeben zu können.
    Barenberg: Und was wäre Ihre Prognose?
    Gazeas: Die ist für viele wahrscheinlich wenig überraschend. Die Auslieferung muss in meinen Augen zwingend für nicht zulässig erklärt werden, also abgelehnt werden, und zwar schlicht aus dem Grund, dass hier der Verdacht einer politischen Verfolgung so immanent ist, dass man es nicht verantworten kann, Herrn Akhanli hier in die Türkei auszuliefern.
    Barenberg: Die Einschätzung des Strafrechtlers Nikolaos Gazeas hier live im Deutschlandfunk. Herr Gazeas, vielen Dank für den Besuch im Studio.
    Gazeas: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.