Donnerstag, 18. April 2024

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Fall Böhmermann
"Hierzulande herrscht Gewaltenteilung"

Klaus Staeck hat die Bundesregierung aufgefordert, sich aus dem Rechtsstreit um die Erdogan-Satire des TV-Moderators Jan Böhmermann herauszuhalten. Der ehemalige Präsident der Akademie der Künste sagte im Deutschlandfunk, dass "hierzulande die Gewaltenteilung herrsche".

Klaus Staeck im Gespräch mit Dirk Müller | 12.04.2016
    Klaus Staeck steht vor Werken aus seiner Sammlung
    Der ehemalige Präsident der Akademie der Künste in Berlin, Klaus Staeck (picture alliance / dpa/ Britta Pedersen)
    Zuvor war bekannt geworden, dass der türkische Präsident Erdogan nun auch Strafantrag gegen Böhmermann wegen dessen vom ZDF ausgestrahlter "Schmähkritik" gestellt hat. Staeck meinte weiter, nachdem die Kanzlerin in der Angelegenheit bereits aktiv geworden sei, sitze die Bundesregierung nun ganz schön in der Falle. Über Böhmermanns Satire bemerkte er, er wisse nicht, ob es die harten Attribute brauche, um sich über Meinungsfreiheit auszutauschen. Hier sei der Moderator doch eher mit dem Hackebeil als mit dem Florett zu Werke gegangen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Für viele wird das Ganze jetzt absurd, abstrus, grotesk. Kann im 21. Jahrhundert ein Gedicht, ein Lied, wie auch immer, können ein paar Sätze zu einem Politikum ersten Ranges führen, bei dem zwei Regierungschefs zweier Nationen involviert sind, womit Dutzende von Beamten und Referenten beschäftigt sind, womit Juristen und zahlreiche andere Politiker beschäftigt sind und dazu auch noch die halbe Medienwelt? Der Fall Jan Böhmermann, ein Fernsehmoderator, der vor laufender Kamera Unflätiges über Recep Tayyip Erdogan gesagt hat, diesen damit beleidigt hat. Eine rhetorische satirische Grenzüberschreitung offenbar, die Jan Böhmermann ganz bewusst in Kauf genommen hat. Eine offizielle Verbalnote, eine Protestnote aus Ankara, die liegt vor, und jetzt auch eine persönliche Anzeige des türkischen Präsidenten, sodass die Bundesregierung nun prüfen muss, ob die Staatsanwaltschaft eine Strafverfolgung einleiten soll. So will es das Gesetz, wenn ausländische Staatsoberhäupter betroffen sind. Grüne und Linke verlangen nun von der Kanzlerin, Farbe zu bekennen. Der Fall Böhmermann, der Fall Angela Merkel - am Telefon ist nun der Künstler, politische Aktivist und langjährige Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck. Guten Morgen nach Heidelberg!
    Klaus Staeck: Guten Morgen!
    Müller: Herr Staeck, Politik entscheidet über Satire. Wird Ihr Albtraum zur Wirklichkeit?
    Staeck: Ja nicht unbedingt Albtraum. Zunächst mal erlauben Sie mir, dass ich mich freue und dass ich begeistert bin, wer sich jetzt alles als glühender Verteidiger der Satire outet. Dagegen kann ein Satiriker eigentlich nichts haben, dass darüber diskutiert wird und dass offenbar Satire doch in der Lage ist, solche, nennen wir es mal, Verwicklungen überhaupt zustande zu bringen. Trotzdem ist natürlich die Politik gut beraten, wenn sie sich da raushält. Wir haben nun mal tatsächlich das Prinzip der Gewaltenteilung, wie es eben angedeutet wurde, und danach kann die Politik ihre Meinung äußern wie jeder Bürger dieses Landes, aber sie sollte auf keinen Fall sich da in irgendeiner Form einmischen. Das Vertrackte bei dieser Geschichte ist ja, dass dieser Paragraf 103 des Strafgesetzbuches so eine Art Sonderschutz für ausländische Staatsoberhäupter mit sich bringt und deshalb es der Ermächtigung, wie es so schön heißt, bedarf der Politik, der Regierung. Die Bundesregierung sitzt da schon ganz schön in der Falle.
    "Satire ist kein Freibrief für alles"
    Müller: Und Sie sagen ja auch, zur Not immer an Gesetze halten.
    Staeck: So ist es. Satire ist ja nun kein Freibrief für alles und jedes, für jeden Blödsinn, um das mal deutlich zu sagen. Man ist auch gut beraten, ich sage es mal so, wenn man sich oberhalb der Gürtellinie aufhält. Ich habe mit meinen 41 Verfahren, die versucht wurden, gegen meine Arbeiten anzustrengen und sie schließlich zu verbieten, immer Glück gehabt, ich nenne es mal auch Glück vor Gericht. Sollte es zum Prozess jetzt wirklich kommen, Herr Böhmermann hat gute Chancen, vor Gericht auch zu bestehen mit diesem Schmähgedicht, wie es immer so schön jetzt heißt, weil die Richter in der Regel sehr meinungsfreudig urteilen schließlich.
    Müller: Aber bei Jan Böhmermann - wir sprechen ja gerade darüber - fällt Ihnen auch Blödsinn ein?
    Staeck: Na ja. Die hohe Form der Satire ist es nicht gerade. Ich weiß nicht, ob wir das Attribut Ziegenficker brauchen, um uns über Meinungsfreiheit auszutauschen. Da bin ich ein Satiriker dann doch schon alter Schule, der auch immer einen Erkenntnisgewinn sich erhofft, der etwas offenlegen will, der schärfer, dann aber doch nur mit dem Florett und nicht mit dem Hackebeil vorgeht, um Dinge aufzudecken. Das, muss ich nun leider sagen, vermisse ich bei diesem Schmähgedicht. Ich habe es mehrfach jetzt gehört. Es ist ja auch sonderbar und merkwürdig, dass Herr Erdogan überhaupt diesen Strafantrag stellt. Wer unsere Medienlandschaft kennt, der muss wissen, dass er das nun gerade jetzt auslöst, dass das immer weiter verbreitet wird.
    Reaktion der Kanzlerin: "Vorauseilender Gehorsam"
    Müller: Herr Staeck, ich habe eine ganz andere Frage in dem Zusammenhang, weil Sie gesagt haben, Sie haben es ein paar Mal gehört. Wo haben Sie es gefunden im Internet, weil viele haben ja Schwierigkeiten? Wir hatten auch Schwierigkeiten, es noch mal im Original zu sehen.
    Staeck: Es war ganz einfach. Ich bin nicht der Spezialist. Ich habe Gott sei Dank Freunde, die das Internet besser beherrschen als ich. Ich weiß nicht: Drei Klicks und man war da.
    Müller: Es gibt es noch, man kann es noch sehen. Wir haben es gestern unter anderem auch auf Bild.de gefunden. Das ist ja sehr umstritten, weil bei ganz vielen Zeitungen, beispielsweise auch "Spiegel" oder "Spiegel Online", die ansonsten sehr offensiv mit solchen Dingen umgehen, ist dieses Böhmermann-Video gestrichen worden, kassiert worden, und es ist ganz, ganz schwierig eigentlich, im Netz das noch zu finden. Ist das schon vorauseilender Gehorsam?
    Staeck: Nein, das ist eher vielleicht einer gewissen Vorsicht auch geschuldet, die ich akzeptiere. Eine Privatperson kann immer völlig frei und anders agieren als eine Institution, wie zum Beispiel das ZDF auch. Problematischer finde ich, was die Frau Bundeskanzlerin da in einer Art vorauseilendem Gehorsam gegenüber Herrn Erdogan bekannt hat, dass sie das auch als verletzend empfindet. Das wäre ja wie eine Vorentscheidung, sollte es keine Gewaltenteilung bei uns geben und die Richter sich danach am Ende noch halten müssen.
    Müller: War das wirklich peinlich, was die Kanzlerin gemacht hat, oder Staatsräson?
    Staeck: Na gut, es war beides in Wahrheit. Staatsräson - die Bundeskanzlerin, die EU, nicht bloß sie, sitzen ja auch in einer, ich nenne es mal trotzdem, Falle. Mit diesem Flüchtlings-Deal, der da gemacht wurde, sind wir natürlich auf good will angewiesen, um nicht zu sagen, wir sind erpressbar geworden. Erdogan, der nun mal ein neuer Sultan zu werden scheint, zu sein scheint sogar, der kostet seine Macht brutal aus. Und er ist, um es noch zu sagen, der Letzte, der das Recht hat, in unser System einzugreifen, indem er sich die Meinungsfreiheit, die bei uns Gott sei Dank herrscht, zunutze macht und dann zur Verfolgung eines Satirikers aufruft.
    "Die Grenzen kann nur das Gericht setzen"
    Müller: Aber genau dieses Recht nimmt er in Anspruch und dieses Recht hat er ja offenbar, weil ernsthaft jetzt geprüft wird.
    Staeck: Das Recht hat jeder. Jeder hat das Recht, wenn er sich beleidigt fühlt, die Gerichte anzurufen. Das habe ich wie oft gesagt, als es um Charlie Hebdo ging. Man hat das Recht, die Gerichte anzurufen, aber nicht mit der Kalaschnikow zu kommen. Das ist auch das Recht des Bürgers. Auch Frau Merkel hat das Recht, ihre Meinung dazu zu äußern. Die Frage ist, ob sie jetzt gleich eine Wertung anschließt gegenüber Herrn Erdogan. Das ist meiner Meinung nach ein Fehler gewesen.
    Müller: Herr Staeck, für Sie ganz klar: Angela Merkel, das war ein Kotau gegenüber Erdogan?
    Staeck: So sehe ich das, ja.
    Müller: Und was folgt daraus für die Politik und für Satire, dass die Politik doch jetzt oder ab heute, ab vorgestern wie auch immer Grenzen setzen kann?
    Staeck: Nein, sie kann keine Grenzen setzen. Die Grenzen kann schließlich dann nur das Gericht setzen. Wie auch immer, ob die Ermächtigung erteilt wird: Zum Schluss entscheidet ein Gericht und das hat zu entscheiden, sind die Grenzen, wie es so schön heißt, der Satire überschritten worden oder nicht. Hält es sich an Kurt Tucholsky, der jetzt wieder in aller Munde ist mit seiner Behauptung, die Satire darf alles, na gut, dann hat Herr Böhmermann gute Karten. Fängt sie aber an zu differenzieren, zu erwägen, noch mal, sind diese Sottisen unterhalb der Gürtellinie wirklich die Grenze sprengend, dann sieht es nicht allzu gut aus für Herrn Böhmermann. Aber ich wünsche ihm alles, alles Gute und er ist vor unseren Gerichten, behaupte ich, doch nicht in Gottes, aber in guter Hand.
    Müller: Sie sind da optimistisch. Aber was würden Sie entscheiden? Sie sagen, unterhalb der Gürtellinie. Und eben haben Sie auch gesagt, ein bisschen mit der Axt, ein bisschen zu brachial. Könnte man vielleicht sagen, könnten Sie vielleicht sagen, na ja, kein gutes Stück, schlechte Satire, aber legitim?
    Staeck: Bei uns ist durch die Meinungsfreiheit alles geschützt. Auch die Dummheit ist geschützt. Sie können sich immer darauf berufen, dass Sie sich geirrt haben, dass Sie eben andere Grenzen ziehen. Wissen Sie, das Problem, was ich sehe: Wir leben in einer wunderbaren freien Medienrepublik, in der die Erregungsspirale immer neue Pirouetten dreht. Und nachdem "extra 3" für meine Überzeugung mit einer guten Satire - jetzt komme ich doch mal mit einer Wertung - Herrn Erdogan bloßgestellt hat, …
    Müller: Auslöser der ganzen Aufregung. Damit fing es an.
    Staeck: …, musste natürlich Herr Böhmermann, wenn er noch mal das Thema aufgreift, noch eine Schippe, wenn das nicht reicht, noch zwei, drei Schippen drauflegen. Deshalb ist es ja, glaube ich, nach meiner Überzeugung überhaupt zu dieser Form jetzt seiner Meinungsäußerung gekommen, denn nichts anderes ist es ja, und da bin ich dann noch mal als alter Satiriker der Meinung: Musste man das wirklich so weit treiben, dass man unterm Gürtel landet?
    "Keine tolle Satire, aber muss erlaubt sein"
    Müller: Ich frage Sie noch mal, Klaus Staeck, weil ich Sie noch nicht ganz verstanden habe, weil es doch dann irgendwo eine Grenze gibt?
    Staeck: Es gibt immer eine Grenze, und die sind die Gesetze natürlich bei uns, und das oberste Gesetz ist die Wahrung der Menschenwürde. Und der Beleidigungsparagraf ist ein Ausfluss dessen. Da gibt es nicht starre Grenzen, natürlich nicht. Noch mal: Ich bin 41 Mal vor Gericht gezogen worden mit meinen Sachen und habe trotzdem immer obsiegt. Da wurde jedes Mal entschieden, darf der das oder darf er das nicht, und da kommt es darauf an, wie weit die Meinungsfreiheit wieder abstrakt geht. Das kann man vorauseilend gar nicht sagen.
    Müller: Das, sagen Sie, muss der Richter entscheiden. Ich frage Sie jetzt noch mal: Es gibt die Grenzen, sagen Sie. Es gibt immer irgendwo Grenzen. War das dann zu weit gegangen?
    Staeck: Im konkreten Fall würde ich sagen: Dumm gelaufen, keine tolle Satire, aber muss erlaubt sein.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Künstler Klaus Staeck, langjähriger Präsident der Akademie der Künste in Berlin. Danke für die offenen Worte, auf Wiederhören nach Heidelberg.
    Staeck: Ich danke Ihnen, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.