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Fall Froome
Im rechtlichen Niemandsland

Chris Froomes Doping-Freispruch war umstritten. Seine Grenzwertüberschreitung wurde vor allem deshalb nicht geahndet, weil die Doping-Jäger ihm kein Fehlverhalten nachweisen konnten. Das widerspricht der bisherigen Praxis - und könnte Langzeitfolgen für das Antidoping-System im Radsport haben.

Von Tom Mustroph | 07.07.2018
    Chris Froome auf der ersten Etappe der Tour de France 2018.
    Chris Froome auf der ersten Etappe der Tour de France 2018. (imago sportfotodienst)
    Es ist Tour-Start - doch großes Thema ist weiterhin der Salbutamolfall von Chris Froome.
    "Das Timing war das schlechtestmögliche Szenario. Das hätte man nicht schlechter hinkriegen können", ärgert sich Rolf Aldag über das Hin und Her von versuchtem Ausschluss und blitzschnellem Freispruch nach Monate langer Verzögerung.
    Antidoping-Architektur beeinträchtigt
    Froomes Affäre belastet den Radsport. Sie beeinflusst aber auch die gesamte Antidoping-Architektur. Bislang war es so, dass ein mit einer verbotenen Substanz oder einer Substanz über dem Grenzwert erwischter Sportler selbst seine Unschuld nachweisen musste. Gelang ihm das nicht, wurde er gesperrt.
    Im Falle Froomes sahen aber offenbar die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und der Radsportverband UCI keine Chance, ihrerseits Froome fehlerhaftes Verhalten nachzuweisen. Sie stellten deshalb das Verfahren ein.
    Ist das der Beginn der Beweislastumkehr im Antidopingsystem? "Das hoffen wir natürlich nicht. Ansonsten ist alles in Frage gestellt", sagt Aldag. Er sieht jetzt großen Aufarbeitungsbedarf.
    Vertrauen in die WADA scheint erschüttert
    "Die höchsten Gremien haben entschieden. Was das für die Zukunft bedeuten und heißen wird, das ist dann natürlich herauszufinden, und das superkritisch. Das betrifft den gesamten Sport, nicht nur den Radsport. Wir müssen ja mit der WADA und dem CAS auch den gesamten Sport betrachten. Und dann muss man sich natürlich schon hinterfragen."
    Das Vertrauen in die WADA scheint im Radsport derzeit erschüttert. Dabei bräuchte es eine konsequente Dopingverfolgung, und es gebe nun mal keine Alternativen zur WADA, meint Aldag:
    "Es ist ja auch klar, wir können es nicht selber organisieren. Das ist dann komplett unglaubwürdig. Insofern brauchen wir eine Instanz, die kontrolliert. Das ist, glaube ich, Sportpolitik, da müssten wir wahrscheinlich mit Dr. Bach darüber sprechen, das ist die allerhöchste Ebene. Und wir, die wir hier auf dem Schotter vom Parkplatz stehen, das ist so ungefähr wie 50 Millionen Deutsche Bundestrainer sind und wissen, warum die Nationalmannschaft ausgeschieden ist. Ich weiß es nicht. Ich lebe halt mit den Konsequenzen und das ist leider unschön gerade",
    Auch beim Nutznießer Sky werden Rufe nach Regelreform laut
    Selbst bei Team Sky, einerseits Nutznießer der späten Entscheidung, andererseits belastet durch das lange Verfahren, werden Rufe nach einer Regelreform laut. Skys sportlicher Leiter Nicolas Portal:
    "Ich glaube, ich kenne ein paar Details mehr als die meisten anderen Menschen. Aber es ist so kompliziert. Ich möchte nur sagen: Sie müssen die Regeln ändern. Denn wenn der Test verlässlich ist und die Regel korrekt - dann würde alles schneller gehen. Es dauerte aber so lange. Sie müssen deshalb ein paar Sachen überprüfen. Denn was mit Chris passierte, kann auch anderen passieren. "
    Portal ist von der Unschuld seines Schützlings überzeugt. Aber auch er sieht das rechtliche Niemandsland, in das alle durch den Froome-Fall gelangt sind. Denn das Signal, das vom gesamten Froome-Verfahren ausgeht, ist: Wer juristische Manpower hat, der schafft es mit gewieften Anwälten die Regeln zu seinen Gunsten zu interpretieren.
    Vereinfachtes System benötigt
    "Was ich mir wünschen würde, dass wir generell ein vereinfachtes System brauchen. Das ganze Hin und Her versteht kein Fan mehr", sagt auch Ralph Denk, Teamchef von Bora Hansgrohe. Denk weist aber auch auf eine Besonderheit des Radsports hin:
    "Und noch einmal: Froome hätte auch nach dem positiven Test, der faktisch da war, als Biathlet, als Schwimmer oder Langläufer weiter gemacht."
    Bemerkenswert an der Stelle, dass Ralph Denk hier explizit von einem positiven Test spricht. Was seine Anmerkung zu anderen Sportarten betrifft – so haben tatsächlich Athleten anderer Sportarten größere Freiheiten als die Radprofis. Das geht auf die MPCC, die "Bewegung für den glaubwürdigen Radsport" zurück. Diese hatte sich eigenen, strengere Regeln unterworfen.
    Froome hätte bei elf Rennställen nicht fahren dürfen
    Elf der 22 Rennställe bei der Tour haben sich der MPCC angeschlossen. Bora Hansgrohe zum Beispiel. Team Sky aber nicht. "Wäre Sky MPCC-Mitglied, hätte er natürlich nicht fahren dürfen. Es wäre dann nicht so viel Öl im Feuer gewesen. Aber es ist eine freiwillige Vereinigung und man kann die Teams nicht dazu zwingen", meint Denk.
    Was bleibt: Team Sky, das einstige Saubermannsteam, ist nicht beim glaubwürdigen Radsport dabei. Zweitens bleibt die Forderung, die WADA muss den Code verbessern. Noch einmal Ralph Denk:
    "Der WADA Code muss einfach stark überarbeitet werden, denke ich. Das ist so eine Grauzone, positiv getestet, doch startberechtigt. Das versteht der Fan nicht. Und das tut dem ganzen Sport nicht gut."
    Es liegt nun an der WADA selbst, dass der Fall Froome nicht die Trendwende wird, nach der positive Testergebnisse keinen Bestand mehr haben, weil noch zusätzliches Beweismaterial gefordert wird.