Peter Steinbach: Guten Tag, Herr Lange.
Lange: Hätten Sie sich träumen lassen, dass fast 60 Jahre nach der Ermordung der europäischen Juden eine derart verquere nochmal bis mitten in die politische Elite der Gesellschaft hinein Wellen schlägt?
Steinbach: Nein. Ich glaube, man muss die Debatte, die Hohmann anstoßen wollte, sehr ernst nehmen, denn bisher haben wir ja viele Debatten über die Auseinandersetzung der Deutschen mit der Zeitgeschichte und ihrem Umgang mit ihr gehabt, aber wir konnten eigentlich immer beobachten, dass die Vertreter der politischen Führungsschicht – und dazu zähle ich Bundestagsabgeordnete – in der Regel nichts getan haben, um das dumpfe Ressentiment der Öffentlichkeit zu bedienen. Das ist mit dieser Rede anders geworden. Ich glaube, es ist eigentlich die Übertragung einer sehr kritischen und schlecht ausgegangenen Debatte, die wir als Historikerstreit bezeichnen, in die öffentliche Auseinandersetzung und ich habe manchmal das Gefühl, es handelt sich fast um einen Testfall, wie weit man gehen kann.
Lange: Ist Hohmann also aus Ihrer Sicht nicht der bedauerliche Einzelfall?
Steinbach: Aber in keiner Weise. Er ist Bundestagsabgeordneter und deshalb an einem hohen Maßstab zu messen, den er verletzt hat. Einem Bundestagsabgeordneten kann man in dieser Hinsicht nicht konzedieren, dass er testartig spricht, dass er mal etwas in die Welt setzt, weil man doch Fragen stellen muss oder darf, sondern das ist ein Versuch, ein dumpfes Ressentiment der Öffentlichkeit, das sich immer wieder dort und in bestimmten Zeitungen artikuliert einfach auch mal auf die politische Bühne zu heben. Und es ist an der Zeit, dass er in dieser Hinsicht nicht nur zurückgepfiffen wird, sondern dass er ganz klar korrigiert und zur Korrektur gezwungen wird.
Lange: Jetzt gibt es viele, die sagen, na ja, so ganz astrein war diese Rede sicher nicht, aber ist das deswegen gleich antisemitisch, was genau macht denn das antisemitische Element in diesen Äußerungen aus?
Steinbach: Ich glaube, dass Antisemiten sich Erklärungen politischer Diskussionen sehr leicht machen und dann dazu neigen, Konspirationstheorien zu entwickeln. Dass es anders geht, zeigt die Debatte um Friedman, der sich durchaus vergriffen hat, aber der dann als Moderator, der eine hohe moralische Latte legt, kritisiert worden ist. Da hat niemand ernsthaft gesagt, die Kritik an Friedman ist Ausbruch des Antisemitismus. Hier wird bei Hohmann im Grunde ein politisches Gruppenargument eingeführt. Er spricht von DEN Juden, von kollektiven Interessen und damit bedient er etwas, was wirklich ein ganz dumpfes politisches Ressentiment ist, weil es so undifferenziert daherkommt. Und das nehme ich eigentlich ernst. Wir sind natürlich angehalten, immer sehr vorsichtig zu argumentieren und arbeiten da oft mit Unterstellungen, nicht wahr? Sie finden zum Beispiel den Topos, dass man Israels Palästinapolitik nicht kritisieren darf, weil man sich damit in die Gefahr des Antisemitismus begibt. Das ist Quatsch, das sind konstruierte Argumente, denn natürlich kritisieren die Israelis die Politik ihrer Regierung, zumindest 50 Prozent, am heftigsten. Wir erfahren immer wieder in politischen Äußerungen, dass Positionen konstruiert werden, die mit der Wirklichkeit gar nicht übereinstimmen und nur als konstruierte Äußerungen dumpfe Ressentiments bedienen können.
Lange: Jetzt gibt es einen General, der diese Rede von Herrn Hohmann für gut befunden hat, auch hier die gleiche Frage: ein Einzelfall aus Ihrer Sicht?
Steinbach: Ich hoffe es. Ich habe einen relative guten, intensiven Einblick in die Bundeswehr und ich muss sagen, in den vergangenen 40, 45 Jahren ist es wirklich gelungen, aus der Bundeswehr eine bewaffnete Macht zu machen, die die demokratisch legitimierte Führung akzeptiert. Was hier vorliegt, ist glaube ich wiederum der Versuch, jemandem, der eine Regel verletzt hat, zu bescheinigen, dass man diese Regelverletzung geradezu noch als Mut bezeichnet und ich finde es deshalb völlig verfehlt, wenn der Christdemokrat Rieker hier sogar noch diese Haltung als besondere Prinzipientreue rechtfertigt. Ich denke, ganz wichtig ist, dass die politische Führung der Bundeswehr ganz klar macht, dass sie für das politische Diskussionsklima in der Bundeswehr eine Verantwortung hat und deshalb auch Führungskräfte – und ein Brigadegeneral ist ja nicht irgendwer – zur Verantwortung zieht. Ich glaube, es ist ein Einzelfall, aber gerade deshalb musste diese Reaktion so scharf und präzise ausfallen.
Lange: Es wird nun seit Jahren darüber diskutiert, ob die Wehrpflicht abgeschafft und die Bundeswehr zu einer Berufs- und Freiwilligenarmee umgewandelt wird. Unter dem Aspekt der, sagen wir mal, geistigen Durchlüftung der Streitkräfte müsste man ja eigentlich bei der Wehrpflicht bleiben.
Steinbach: Ich denke, dass die Wehrpflicht eigentlich eine wichtige Errungenschaft der Demokratisierung der bewaffneten Macht ist. Auf der anderen Seite hat die Bundeswehr durch ihre Nachkriegsgeschichte eine eigene demokratische Tradition aufgebaut und sie hat auch Institutionen herausgebildet wie etwa hochangesehene Bundeswehrhochschulen, die dafür Sorge tragen, dass die Verzahnung der bewaffneten Macht mit der Gesellschaft funktioniert. Das wird nicht mehr alleine mit der Wehrpflicht gelingen, so wenig, wie sie vor 1945 ein Garant dafür war, dass die Wehrmacht demokratisch geführt wurde. Ich denke aber, dass ganz entscheidend die Kontrolle des geistigen Argumentationshaushaltes ist innerhalb der Bundeswehr. Ich hoffe nicht, dass es sich um mehr als einen Einzelfall handelt, denn das wäre dann eine große Herausforderung für die Überprüfung und Durchsetzung des Konzepts der inneren Führung, das die Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft integriert hat. Die Wehrpflicht alleine lässt sich mit diesem Ausrutscher nicht rechtfertigen, denn ihre Abschaffung wäre immer dann intensiv zu diskutieren, wenn man sich klarmacht, dass die Einsätze der Bundeswehr von hochgradigen Profis geleitet werden müssen, die Sie vermutlich nur unter Berufssoldaten finden.
Lange: In den Informationen am Mittag war das Professor Steinbach, Historiker an der Universität Karlsruhe und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Steinbach und auf Wiederhören.
Steinbach: Ich danke Ihnen auch.
Lange: Hätten Sie sich träumen lassen, dass fast 60 Jahre nach der Ermordung der europäischen Juden eine derart verquere nochmal bis mitten in die politische Elite der Gesellschaft hinein Wellen schlägt?
Steinbach: Nein. Ich glaube, man muss die Debatte, die Hohmann anstoßen wollte, sehr ernst nehmen, denn bisher haben wir ja viele Debatten über die Auseinandersetzung der Deutschen mit der Zeitgeschichte und ihrem Umgang mit ihr gehabt, aber wir konnten eigentlich immer beobachten, dass die Vertreter der politischen Führungsschicht – und dazu zähle ich Bundestagsabgeordnete – in der Regel nichts getan haben, um das dumpfe Ressentiment der Öffentlichkeit zu bedienen. Das ist mit dieser Rede anders geworden. Ich glaube, es ist eigentlich die Übertragung einer sehr kritischen und schlecht ausgegangenen Debatte, die wir als Historikerstreit bezeichnen, in die öffentliche Auseinandersetzung und ich habe manchmal das Gefühl, es handelt sich fast um einen Testfall, wie weit man gehen kann.
Lange: Ist Hohmann also aus Ihrer Sicht nicht der bedauerliche Einzelfall?
Steinbach: Aber in keiner Weise. Er ist Bundestagsabgeordneter und deshalb an einem hohen Maßstab zu messen, den er verletzt hat. Einem Bundestagsabgeordneten kann man in dieser Hinsicht nicht konzedieren, dass er testartig spricht, dass er mal etwas in die Welt setzt, weil man doch Fragen stellen muss oder darf, sondern das ist ein Versuch, ein dumpfes Ressentiment der Öffentlichkeit, das sich immer wieder dort und in bestimmten Zeitungen artikuliert einfach auch mal auf die politische Bühne zu heben. Und es ist an der Zeit, dass er in dieser Hinsicht nicht nur zurückgepfiffen wird, sondern dass er ganz klar korrigiert und zur Korrektur gezwungen wird.
Lange: Jetzt gibt es viele, die sagen, na ja, so ganz astrein war diese Rede sicher nicht, aber ist das deswegen gleich antisemitisch, was genau macht denn das antisemitische Element in diesen Äußerungen aus?
Steinbach: Ich glaube, dass Antisemiten sich Erklärungen politischer Diskussionen sehr leicht machen und dann dazu neigen, Konspirationstheorien zu entwickeln. Dass es anders geht, zeigt die Debatte um Friedman, der sich durchaus vergriffen hat, aber der dann als Moderator, der eine hohe moralische Latte legt, kritisiert worden ist. Da hat niemand ernsthaft gesagt, die Kritik an Friedman ist Ausbruch des Antisemitismus. Hier wird bei Hohmann im Grunde ein politisches Gruppenargument eingeführt. Er spricht von DEN Juden, von kollektiven Interessen und damit bedient er etwas, was wirklich ein ganz dumpfes politisches Ressentiment ist, weil es so undifferenziert daherkommt. Und das nehme ich eigentlich ernst. Wir sind natürlich angehalten, immer sehr vorsichtig zu argumentieren und arbeiten da oft mit Unterstellungen, nicht wahr? Sie finden zum Beispiel den Topos, dass man Israels Palästinapolitik nicht kritisieren darf, weil man sich damit in die Gefahr des Antisemitismus begibt. Das ist Quatsch, das sind konstruierte Argumente, denn natürlich kritisieren die Israelis die Politik ihrer Regierung, zumindest 50 Prozent, am heftigsten. Wir erfahren immer wieder in politischen Äußerungen, dass Positionen konstruiert werden, die mit der Wirklichkeit gar nicht übereinstimmen und nur als konstruierte Äußerungen dumpfe Ressentiments bedienen können.
Lange: Jetzt gibt es einen General, der diese Rede von Herrn Hohmann für gut befunden hat, auch hier die gleiche Frage: ein Einzelfall aus Ihrer Sicht?
Steinbach: Ich hoffe es. Ich habe einen relative guten, intensiven Einblick in die Bundeswehr und ich muss sagen, in den vergangenen 40, 45 Jahren ist es wirklich gelungen, aus der Bundeswehr eine bewaffnete Macht zu machen, die die demokratisch legitimierte Führung akzeptiert. Was hier vorliegt, ist glaube ich wiederum der Versuch, jemandem, der eine Regel verletzt hat, zu bescheinigen, dass man diese Regelverletzung geradezu noch als Mut bezeichnet und ich finde es deshalb völlig verfehlt, wenn der Christdemokrat Rieker hier sogar noch diese Haltung als besondere Prinzipientreue rechtfertigt. Ich denke, ganz wichtig ist, dass die politische Führung der Bundeswehr ganz klar macht, dass sie für das politische Diskussionsklima in der Bundeswehr eine Verantwortung hat und deshalb auch Führungskräfte – und ein Brigadegeneral ist ja nicht irgendwer – zur Verantwortung zieht. Ich glaube, es ist ein Einzelfall, aber gerade deshalb musste diese Reaktion so scharf und präzise ausfallen.
Lange: Es wird nun seit Jahren darüber diskutiert, ob die Wehrpflicht abgeschafft und die Bundeswehr zu einer Berufs- und Freiwilligenarmee umgewandelt wird. Unter dem Aspekt der, sagen wir mal, geistigen Durchlüftung der Streitkräfte müsste man ja eigentlich bei der Wehrpflicht bleiben.
Steinbach: Ich denke, dass die Wehrpflicht eigentlich eine wichtige Errungenschaft der Demokratisierung der bewaffneten Macht ist. Auf der anderen Seite hat die Bundeswehr durch ihre Nachkriegsgeschichte eine eigene demokratische Tradition aufgebaut und sie hat auch Institutionen herausgebildet wie etwa hochangesehene Bundeswehrhochschulen, die dafür Sorge tragen, dass die Verzahnung der bewaffneten Macht mit der Gesellschaft funktioniert. Das wird nicht mehr alleine mit der Wehrpflicht gelingen, so wenig, wie sie vor 1945 ein Garant dafür war, dass die Wehrmacht demokratisch geführt wurde. Ich denke aber, dass ganz entscheidend die Kontrolle des geistigen Argumentationshaushaltes ist innerhalb der Bundeswehr. Ich hoffe nicht, dass es sich um mehr als einen Einzelfall handelt, denn das wäre dann eine große Herausforderung für die Überprüfung und Durchsetzung des Konzepts der inneren Führung, das die Bundeswehr in die demokratische Gesellschaft integriert hat. Die Wehrpflicht alleine lässt sich mit diesem Ausrutscher nicht rechtfertigen, denn ihre Abschaffung wäre immer dann intensiv zu diskutieren, wenn man sich klarmacht, dass die Einsätze der Bundeswehr von hochgradigen Profis geleitet werden müssen, die Sie vermutlich nur unter Berufssoldaten finden.
Lange: In den Informationen am Mittag war das Professor Steinbach, Historiker an der Universität Karlsruhe und wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Steinbach und auf Wiederhören.
Steinbach: Ich danke Ihnen auch.