Christiane Knoll: Christina Motejl ist 23 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie das Kind einer anonymen Samenspende ist. Jeder hat das Recht auf Kenntnis seiner Abstammung, und Christina Motejl ist es wirklich wichtig, zu wissen, wer ihr Vater ist. Sie forscht nach, erst in Essen, wo Prof. Thomas Katzorke die künstliche Befruchtung vorgenommen hatte * - erfolglos.
Dann knüpft sie Kontakte zu anderen Betroffenen, zieht schließlich vor Gericht. Am Ende ist es der technische Fortschritt, der das Geheimnis lüftet. In DNA-Datenbanken passt ihre DNA zu einer anderen. Kein Zweifel: Ihr Vater ist Thomas Katzorke. Der Arzt hat den Samen selbst gespendet.
2018 hat Christina Motejl ihr persönliches Rätsel gelöst. Aber welche Lehren ziehen die Fachgesellschaften?
Katzorke ist heute über 70, betreibt immer noch ein Reproduktionszentrum in Essen. Und wer die aktuelle Ausgabe des offiziellen Publikationsorgans aller wesentlichen Fachverbände in Deutschland und Österreich liest, kommt zu dem Schluss: Konsequenzen hatte der Fall wohl keine. Denn dort, im "Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie", steht ganz vorne sein Name, unter einer Abhandlung über Entstehung, Entwicklung und Stand der Spendersamenbehandlung in Deutschland.
Julia Bartley, selbst Reproduktionsmedizinerin und im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Ärztinnen in der Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, kurz ÄRE, hält das für mehr als kritikwürdig. Vor einer Stunde habe ich mit ihr telefoniert. Frau Bartley, Ihr Verband hat heute einen offenen Brief veröffentlicht, in dem Sie vor allem die Fachverbände angreifen. Was ist Ihre Kritik?
Julia Bartley: Meine Kritik ist, dass ein Artikel veröffentlicht wurde in dem aktuellen "Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie", von Herrn Professor Katzorke geschrieben, von dem im letzten Jahr bekannt wurde, dass er eigenen Samen in seiner eigenen Samenbank aufbereitet hat und an seine eigenen reproduktionsmedizinischen Patientinnen weitergegeben hat.
"Grenze der seriösen Reproduktionsmedizin überschritten"
Knoll: Es geht Ihnen um den Interessenkonflikt?
Bartley: Es geht mir darum, dass hier in aller Klarheit eine Grenze der seriösen Reproduktionsmedizin, meines Erachtens, überschritten wurde, und ich vermisse seitdem eine öffentliche Stellungnahme oder auch Entschuldigung durch unsere Fachverbände.
Knoll: Wie muss man denn diese Veröffentlichung des Artikels von Herrn Katzorke verstehen? Ist das eine Rehabilitierung?
Bartley: Das ist eine Frage, die wir uns auch in der ÄRE gestellt haben, ob man den Raum, der ihm hier gegeben wurde, auch verstehen kann oder soll als eine gewisse Rehabilitierung, und wir möchten auf jeden Fall vermeiden, dass dieser Eindruck in der Öffentlichkeit aufkommt.
Knoll: Wir haben den Verlag und den Schriftführer des Peer-Review-Journals, Professor Hermann Behre von der Universität Halle, um eine Stellungnahme gebeten. Die Antwort kam dann vom Verlag. Darin hieß es, der Artikel sei wissenschaftlich geprüft worden auf die in den Fachkreisen hinlänglich bekannte Involvierung in Gerichtsverfahren, in Bezug auf das Auskunftsrecht habe der Autor unter Interessenkonflikt im Artikel hingewiesen. Das reicht Ihnen nicht?
Bartley: Nein, das reicht mir nicht. Dieser Artikel, der ist übrigens sehr gut geschrieben und gibt einen sehr guten Überblick über die Geschichte der Samenspende in Deutschland, und es geht mir nicht um die Inhalte dieses Artikels, sondern es geht mir darum, dass dieser Artikel veröffentlicht wurde, jetzt in unserem wichtigsten wissenschaftlichen Fachjournal, ohne dass es von unseren Fachverbänden in irgendeiner Art und Weise einen Kommentar gibt zu der Verstrickung von Herrn Katzorke mit der Samenspende selbst.
Eingriff in "reproduktive Selbstbestimmung"
Knoll: Worin liegt aus Ihrer Sicht der Skandal des Vorgehens von Herrn Katzorke vor Jahrzehnten? Rechtlich ist das ja verjährt oder möglicherweise ist es auch gar kein Vergehen, weil die Gesetzeslage damals noch anders war. Worin also liegt der Skandal?
Bartley: Der Skandal liegt meines Erachtens darin, dass hier ein Anonymitätsschutz der Frau verletzt wurde und sie somit ihrer reproduktiven Selbstbestimmung entledigt wurde. Frauen, die eine Behandlung mit anonymer Samenspende damals haben durchführen lassen, sind mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass nicht nur ihnen der Samenspender nicht bekannt ist, sondern der Samenspender sie auch nicht kennt. Diese reproduktive Selbstbestimmung ist durch das Verhalten von Herrn Katzorke ohne Einverständnis der Frauen genommen worden. Das ist die eine Verletzung.
Die andere Verletzung betrifft die Verletzung des Rechts auf Abstammung der Kinder und in diesem speziellen Fall, der letztendlich dieses Fehlverhalten von Herrn Professor Katzorke aufgedeckt hat, war es so, dass die Betroffene ja durch eine Genanalyse letztendlich ihre Abstammung von Herrn Professor Katzorke nachweisen konnte und aufdecken konnte, und sie hatte in den Jahren davor, so wie mir bekannt ist, über Jahre versucht, die genetische Abstammung über die Samenbank zu erfahren, was ihr verwehrt worden war.
Das ist auch eine Haltung, die ich nicht teile: Wenn die Daten noch zugänglich sind und da sind, hat das Kind auch eigentlich ein moralisch-ethisches Recht, zu wissen, von wem es abstammt. Aber es ist natürlich auch nachvollziehbar, dass in diesem Falle Professor Katzorke die Mitteilung nicht öffentlich machen wollte.
"Diskussion in den inneren Kreisen reicht nicht"
Knoll: Weiß man, wie viele solcher Fälle es gibt, in denen der Arzt selber der Samenspender war?
Bartley: Nein. Da, glaube ich, verfängt man sich in Spekulationen. Da wird man auch, glaube ich, nie gute Zahlen bekommen.
Knoll: Was glauben Sie, warum kann Herr Katzorke ohne Probleme einen Artikel in einem solchen Journal platzieren? Ist das kein Thema unter den Fachkollegen, spielt das keine Rolle? Sind da vielleicht zu viele Männer, zu wenige Frauen vertreten?
Bartley: Wie mir zugetragen wurde, sind die Fehlverhalten von Professor Katzorke wohl sehr breit in den Fachverbänden diskutiert worden, aber diese Diskussion hat die Öffentlichkeit nicht erreicht, nämlich wirklich auch nur am Rande. Das heißt, es war eine Diskussion wohl in den inneren Kreisen, die nicht allen zugänglich sind, und ich finde, das reicht nicht. Es muss eine öffentliche Stellungnahme erfolgen von den Fachverbänden und auch eine Entschuldigung gegenüber den betroffenen Frauen und den betroffenen Kindern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
* Anmerkung der Redaktion: Wir hatten den Ort des Eingriffs bei Christina Motejls Mutter in der vorangegangen Version falsch benannt und haben diesen Fehler berichtigt. Zweifelsfrei nachgewiesen ist der Fall von Christina Motejl. Ob weitere Kinder von ihm geboren wurden, ist unklar, allerdings hat Herr Katzorke in einem Artikel der WAZ vom 8.4.2019 eingeräumt, dass er "einige Male eingesprungen sei". Wir haben die Überschrift geändert, weil das gewählte Zitat der Interviewpartnerin durch die Verkürzung missverstanden werden konnte."