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Falschberatungen bei Lehman-Zertifikaten sind "immer Einzelfälle"

Nach dem Urteil des BGH sinkt die Hoffnungen auf Schadenersatz für geschädigte Lehman-Kunden nicht, so Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale. Denn die Beratung der Banken sei unterschiedlich gewesen. Es müsse jeder Einzelfall geprüft werden, ob es eine Chance auf Schadensersatz gäbe.

Niels Nauhauser im Gespräch mit Theo Geers | 28.09.2011
    Theo Geers: Man soll nicht vorschnell urteilen. Das gilt auch für die Bewertung des Urteils, das gestern die Richter am Bundesgerichtshof fällten. Es ging um die Klage von zwei Anlegern, die für jeweils 10.000 Euro Zertifikate der US-Investmentbank Lehman Brothers gekauft hatten, auf Empfehlung ihrer Bank. Als Lehman dann vor drei Jahren Pleite ging und nebenbei die größte Finanzkrise der Wirtschaftsgeschichte auslöste, war das Geld futsch. Sie zogen vor Gericht, die Kläger, sogar bis nach Karlsruhe, wie es so schön heißt, wenn es bis in die letzte Instanz geht, und sie verloren den Prozess. Die Anleger seien nicht falsch beraten worden, urteilten gestern die Richter, deshalb gebe es auch keinen Schadenersatz von den Banken. Eine Schlappe für die Anleger zweifellos, aber – und diese Frage geht an Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg – die Richter haben auch gesagt, "die Dinge können sich in anderen Fällen anders darstellen". Herr Nauhauser, gibt es jetzt doch noch Hoffnung für andere geschädigte Lehman-Kunden?

    Niels Nauhauser: Klares Ja, denn es ist ja nicht so, dass alle Verbraucher bei allen Banken zu allen Lehman-Zertifikaten immer gleich beraten worden wären. Dann könnte man tatsächlich sagen, jetzt ist das Urteil gesprochen. Aber das war ja in jedem Fall anders. Fälle von Falschberatung sind also immer Einzelfälle. Im einen Fall war es vielleicht so, dass man da noch einen Prospekt ausgehändigt hat, im nächsten Fall hat man Werbematerialien ausgehändigt und in diesen Werbematerialien wurden beispielsweise sehr hohe Sicherheitsversprechungen gemacht. Von daher muss man sich das einfach im Einzelfall anschauen, ja.

    Geers: Wenn es denn immer Einzelfälle sind, Herr Nauhauser, müssen dann die Anleger jetzt auch immer damit rechnen, dass sie, wie man so schön sagt, bis nach Karlsruhe ziehen müssen, um Recht zu bekommen, oder dann im Zweifel auch zu verlieren?

    Nauhauser: Nun, das war jetzt ja der erste Richterspruch aus Karlsruhe. Der Richter hat ja auch gesagt, es liegen noch weitere 40 Fälle vor. Ich kann mir vorstellen, wenn die anderen 40 Fälle auch noch entschieden sind, dann haben wir hier eine ordentliche Rechtsprechung und dann gibt es vielleicht auch Leitlinien, anhand derer dann auch untere Instanzen schon sehr klar bewerten können, ob es in dem einen Fall einen Schadenersatzanspruch gibt oder nicht. Das heißt, der BGH wird jetzt hier die Leitplanken der Rechtsprechung aufstellen in den nächsten Monaten und Jahren, und dann ist es hoffentlich auch für die unteren Instanzen klar, so dass dann der Gang nach Karlsruhe nicht immer notwendig sein muss.

    Geers: Trotzdem noch mal nachgefragt, Herr Nauhauser: Ist das möglicherweise dann für geschädigte Lehman-Anleger doch nur ein Strohhalm, wenn es heißt, jeder Einzelfall liegt anders und kann deshalb möglicherweise auch dennoch zum Erfolg führen, sprich zum Schadenersatz durch eine Bank?

    Nauhauser: Ja natürlich. Strohhalm ist jetzt ein bisschen arg pessimistisch ausgedrückt. Ich würde das jetzt nicht als Strohhalm bezeichnen. Aber es ist einfach so, dass die Fälle unterschiedlich geartet sind, und deshalb muss man sich jeden einzelnen Fall anschauen, und alle Verbraucher, die sich jetzt entmutigt fühlen durch dieses Urteil, denen rate ich, das mit einem Anwalt zu besprechen und zu gucken, ist denn der eigene Fall wirklich ähnlich gelagert wie der des BGH, oder ist der vollkommen anders. Und wenn er vollkommen anders ist, dann sollte man noch nicht das Handtuch vorschnell schmeißen.

    Geers: Nun ist es ja so, Herr Nauhauser, dass die Hürden, um als Anleger zum Schadenersatz zu kommen, jetzt in jedem Fall höher liegen. Im Umkehrschluss heißt das aber auch, die Banken müssen besser beraten, sie sind verpflichtet, über die Risiken aufzuklären. Was heißt das jetzt konkret? Reicht zum Beispiel der Hinweis bei den ja nach wie vor beliebten Zertifikaten aus, dass hier ein Pleiterisiko besteht, und dann ist jede Bank aus dem Schneider?

    Nauhauser: Ja. So wird es ja auch schon gehandhabt. Inzwischen haben wir ja Produktinformationsblätter, sogenannte Beipackzettel auch, und wenn jetzt solche Produkte verkauft werden, dann muss man so einen Beipackzettel aushändigen und da steht dann immer drin, es gibt ein Pleiterisiko. Jetzt sind also die Banken mit solchen Beipackzetteln für die Zukunft erst mal aus dem Schneider, weil sie diese ja aushändigen. Außerdem gibt es ja auch Protokolle. Sie müssen jetzt auch ein Protokoll schreiben über die Beratung. Da die Banken aber die Protokolle selber schreiben, wird der Verbraucher also auch in Zukunft vor Gericht eigentlich nichts in der Hand haben, was ihm wirklich weiterhilft zu seinem Recht.

    Geers: Nun ist ja auch bedeutsam, Herr Nauhauser, für die Banken und auch für Anleger eine andere Passage des gestrigen Urteils. Da geht es um die Gewinnmargen. Die Bank muss dem Anleger nicht mitteilen, wie viel sie beim Verkauf zum Beispiel von Zertifikaten verdient und wo sie die Zertifikate her hat, aus dem eigenen Bestand oder ob sie die extra am Markt besorgt. Was hat das für Folgen?

    Nauhauser: Das ist wirklich mal wieder ein Schlupfloch für Regulierungs-Arbitrage, wie man das so gerne nennt. Dann finden die Banken neue Schlupflöcher und sagen, okay, wenn man ja aus dem Eigenbestand verkauft, dann müssen wir nicht aufklären, dann sind die Anforderungen also niedriger, also in Zukunft werden die Dinger formal eingekauft und formal verkauft, dann sind es keine Kommissionsgeschäfte mehr, sondern nur noch Festpreisgeschäfte, und die lästige Rechtsprechung müsste man dann nicht anwenden. Und diese Ungleichbehandlung verschiedener Vertriebswege, die führt halt dazu, dass bestimmte Vertriebswege dann auch von den Banken bevorzugt werden. Aus Verbrauchersicht ist das natürlich alles nicht nachvollziehbar. Wenn der zu einer Bank geht und sagt, ich habe 100.000 Euro anzulegen, und es gibt jeweils gesetzliche, rechtliche unterschiedliche Bestimmungen, ob die Bank ihm ein Zertifikat verkauft, ob sie es ihm vermittelt, ob sie ihm einen Fonds vermittelt oder einen geschlossenen Fonds, das kann es eigentlich nicht sein.

    Geers: Danke schön! – Die Hoffnungen auf Schadenersatz schwinden für geschädigte Käufer von Zertifikaten der US-Pleitebank Lehman Brothers, aber jeder Fall ist ein Einzelfall. Das war Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.