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Falter: Der SPD-Vorsitzende ist mit starkem linken Flügel konfrontiert

Nach Ansicht des Mainzer Politikwissenschaftlers Professor Jürgen Falter ist die momentane Situation des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck schwierig. Er müsse immer wieder auf Alleingänge einzelner Parteimitglieder reagieren. Außerdem sei er unpopulärer als seine Partei. Zur Stimmungslage in der Koalition sagte Falter, es werde mehr verwaltet als gestaltet.

    Müller: "Ich frage lieber gleich Andrea Nahles", hat die Kanzlerin gesagt. Sie soll es gesagt haben und damit wohl Kurt Beck eine politische Ohrfeige verpasst. Wer ist wirklich Chef der SPD? Hält die Große Koalition durch bis zum Herbst nächsten Jahres? Kann die Große Koalition noch etwas leisten? Viele, viele Fragen in einer sehr angespannten Situation.
    Am Telefon ist nun der Mainzer Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter. Guten Tag!

    Falter: Guten Tag!

    Müller: Herr Falter, würden Sie auch Andrea Nahles anrufen?

    Falter: Immer gerne, da es immer gewinnbringend ist, mit ihr zu reden. Allerdings wenn ich Angela Merkel wäre, würde ich glaube ich doch eher mit Kurt Beck und Franz-Walter Steinmeier sprechen als mit Andrea Nahles, wenn es um Fragen der Koalition geht.

    Müller: Weil die beiden so eine starke Figur machen?

    Falter: Weil die beiden doch in der Regierung beziehungsweise in der Partei den Schwerpunkt bilden, sozusagen die Führungsfiguren zumindest formal sind. Allerdings hat man manchmal den Eindruck, dass Kurt Beck auch von seinen Mannschaften verlassen wird oder alleine gelassen wird und dass er dann manche Dinge anders entscheiden muss, als er es vielleicht gerne täte.

    Müller: Warum muss er das denn tun?

    Falter: Jeder Parteivorsitzende - und speziell in der SPD ist es sehr schwierig für Parteivorsitzende - das wissen wir auch aus früheren Zeiten - ist natürlich darauf angewiesen, dass die Mannschaft, die ihn umgibt, die ihn stützt, ihn auch wirklich trägt und nicht ständig Alleingänge unternimmt und außerhalb von verschlossenen Türen, außerhalb von Sitzungen anderes sagt als in den Sitzungen. Vor diesem Problem steht Beck natürlich relativ stark und er hat außerdem einen starken linken Parteiflügel, der sehr geschickt arbeitet und es hinkriegt, die Partei weiter wegzubewegen von dem, was Kurt Beck sicherlich selber inhaltlich präferieren würde.

    Müller: Nun gibt es ja viele Parteivorsitzende der SPD oder hat es gegeben. Es gab aber auch einige, die waren immer populärer als ihre Partei. Kurt Beck ist unpopulärer als seine Partei. Ist das auf Dauer tragbar?

    Falter: Ja. Kurt Beck erleidet in einer gewissen Hinsicht das Schicksal, das auch Helmut Kohl etwa erlitten hat. Er ist unpopulärer als seine Partei. Helmut Kohl ging das sehr lange so. Das ging eigentlich streng genommen bis zur Wiedervereinigung so. Erst dann hat Kohl diese Statur erreicht, die er dann lange Zeit behalten hat.

    Kurt Beck als Pfälzer hat sagen wir mal nördlich der Main-Linie einen natürlichen Nachteil und der besteht darin, dass er mit einer gewissen Stimmfärbung spricht und bestimmte sagen wir Satzelemente benutzt, über die andere möglicherweise hinweglächeln und auch mit einer gewissen Arroganz darauf schauen. Das macht es ihm insgesamt schwerer.

    Müller: Es ist keine Frage des Horizontes?

    Falter: Ich glaube nicht, dass es eine Frage des Horizontes ist. Kurt Beck wird bei weitem unterschätzt von vielen Leuten, die ihn nicht genug kennen. Er ist ein ausgesprochen nicht nur intelligenter Politiker, sondern auch ein kluger Mann - und zwar ein kluger Mann in dem Sinne, dass er doch Politik mit Augenmaß betreibt. Man kann das ja in Rheinland-Pfalz genau beobachten, wo die rheinland-pfälzische SPD obwohl sie in der Zwischenzeit eine absolute Mehrheit hat, nie die sagen wir mal gewagten Gänge unternommen hat, die in anderen Landesverbänden durchaus ab und zu eingeschlagen worden sind - also Änderung von Lehrplänen, totale Umkehrung von Hochschulstrukturen und Ähnliches mehr.

    Müller: Heißt denn "Politik mit Augenmaß" aus Sicht von Kurt Beck "Politik mit dem linken Auge"?

    Falter: Kurt Beck hat im Augenblick glaube ich hauptsächlich im Sinne, dass er seine Partei wieder mit Selbstvertrauen füllt, dass er ihr Optimismus gibt und dass er sie zusammenhält. Und er glaubt sie glaube ich nur zusammenhalten zu können, indem er sie absetzt vom Koalitionspartner und absetzt, indem er auf die Wählerbasis der SPD stärker zugeht, indem er versucht, der Linken auch Stimmen abspenstig zu machen, indem er eine stärkere Sozialpolitik, soziale Politik betreibt. Dass das nicht im Einzelnen gelingt, ist eine andere Geschichte.

    Müller: Aber dann könnte man ja sagen, Kurt Beck will jetzt der SPD das alles zurückgeben, was er ihr genommen hat?

    Falter: Was hat er ihr genommen, muss ich die Gegenfrage stellen?

    Müller: Sie haben zum Beispiel den Optimismus genannt. Sie haben das Selbstvertrauen genannt. Sie haben nicht genannt - aber das nenne ich jetzt - den Mut zu Reformen.

    Falter: Ich glaube nicht, dass das alles an Kurt Beck liegt. Das ist glaube ich zu sehr auf eine Person bezogen. Das war auch unter seinen Vorgängern schon so; das hat sich dort angekündigt. Das ist nicht plötzlich durch diese neuen Parteivorsitzenden entstanden.

    Die SPD ist der Juniorpartner in der Großen Koalition. Sie wird systematisch und regelmäßig von Angela Merkel an die Wand gespielt. Zunächst einmal war Angela Merkel die taktisch Geschicktere, ist im Allgemeinen. Zum zweiten, weil sie einfach die internationale Bühne und die nationale Bühne so ausfüllt, dass relativ wenig Platz bleibt für die SPD. Und daran leidet die SPD ganz fürchterlich!

    Müller: Nun wäre es ja nicht schlecht, Herr Falter, wenn die Koalition auch noch Politik machen würde.

    Falter: Ja, das wäre nicht schlecht! Aber ich glaube die Koalition ist in der Zwischenzeit stärker in der Situation des Verwaltens als des Gestaltens. Sehr viel ist abgearbeitet aus dem Koalitionsvertrag. Es bleibt gar nicht mehr so arg viel übrig. Und da wir jetzt tatsächlich in eine Phase des Dauerwahlkampfes reingehen - auch wenn das Angela Merkel nicht will, wird es trotzdem passieren -, die Bayern-Wahl, die Europa-Wahl, nächstes Jahr ein paar Landtagswahlen, die Bundespräsidenten-Wahl und dann die Bundestags-Wahl, wir kommen gar nicht mehr aus dem Wahlkampf heraus. Da kann man eigentlich nur noch versuchen, die Sachen zu Ende zu bringen die man angefangen hat und vielleicht die Gesundheitsreform auch samt Gesundheitsfonds überhaupt ins Rollen zu bringen, weil damit auch das Ansehen der Großen Koalition mit verbunden ist.

    Müller: Herr Falter, wenn ich Ihnen jetzt folge. Ich hatte als eine Frage notiert: Will man von dieser Koalition noch regiert werden? - Ich möchte das jetzt anders stellen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, müsste man im Grunde die Frage stellen: Kann diese Große Koalition noch regieren?

    Falter: Die Große Koalition administriert jetzt stärker, als dass sie regiert. So viel ist klar! Aber sie hat sich ja ein paar große Dinge vorgenommen und eines von den Dingen ist noch unerfüllt. Das ist die Haushaltskonsolidierung. Da muss sie zusammenhalten. Man kann nicht einfach auf die kommenden Generationen das abwälzen, was man selber nicht leisten mag. Das ist eines der ganz großen Vorhaben und wenn das bis 2011 gelingen sollte, dann wird man später auf diese Große Koalition glaube ich durchaus positiv zurückschauen.

    Müller: Aber deswegen haben wir im Moment vielerlei Konzepte, drei Konzepte, die diametral gegeneinandergestellt sind.

    Falter: Diese Konzepte - die Steuerkonzepte - sind natürlich jetzt schon dem Wahlkampf geschuldet. Die blicken in die Zukunft, denn die Partner möchten ja eigentlich nicht gerne nach 2009 noch mal in einer Großen Koalition weitermachen müssen. Da versucht man, sich zu profilieren, versucht jeweils an seine eigene Klientel zu appellieren und den anderen vielleicht noch ein paar abzuwerben. Das ist ein ganz normaler Zustand. Wenn es das nicht gäbe, dann hätten wir den echten Stillstand.

    Müller: Wir reden ganz viel über die SPD. Das haben wir in den vergangenen Wochen und Monaten immer getan. Zum Schluss die Frage: Wie gut ist die CDU und die CSU?

    Falter: Die CDU/CSU - vor allem die CDU - profitieren natürlich von der SPD-Schwäche. Gar keine Frage! Die müssen sich gar nicht so bemühen, wie das sonst eventuell nötig wäre, wenn sie einen gleich starken Koalitionspartner an der Seite hätten. Bei der CSU ist es etwas anderes. Die ist ungeheuer in Unruhe. Die hat Angst, unter die 50 Prozent zu fallen - und die Umfragen sind nicht besonders rosig. Sie kämpft eigentlich noch mit Nachfolgeproblemen. Die beiden Nachfolger von Stoiber haben noch längst nicht die Position, die Stoiber hatte. Ich glaube die CSU ist echt verunsichert, während die CDU im Augenblick relativ gelassen ins Bundestagswahljahr hineingeht, aber Angst hat, dass ihr Kandidat fürs Bundespräsidentenamt eventuell nicht gewählt würde.

    Müller: Bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk der Mainzer Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Falter: Auf Wiederhören!