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Familiengeschichte von Héctor Oesterheld
Argentinischer Comic-Autor kämpfte gegen Militärdiktatur

Der Comic "Eternauta", der in den 50er-Jahren in Argentinien erschien, ist nicht nur ein Plädoyer für Freundschaft und Solidarität – er hat auch den Autoren Héctor Oesterheld berühmt gemacht. Er und seine Töchter wurden von der Militärdiktatur umgebracht. In Argentinien ist nun eine Biografie erschienen, die ihrem Schicksal nachgeht: "Los Oesterheld".

Von Victoria Eglau | 31.10.2016
    Ein Junge betrachtet die Seiten des Comics "El Eternauta" auf dem Internationalen Comic-Festival Comicopolis 2014 im Tecnopolis Forum in Buenos Aires.
    Der Comic "Eternauta" hat Héctor Oesterheld berühmt gemacht. (imago stock&people/Xihua/Martin Zabala)
    "Mein Name ist Elsa Sánchez de Oesterheld. Ich bin die Frau von Héctor Germán Oesterheld, dem weltberühmten Autor des Comics Eternauta. In der tragischen Epoche dieses Landes verschwanden meine vier Töchter, mein Mann, meine zwei Schwiegersöhne und zwei ungeborene Enkelkinder."
    Das Schicksal der Familie Oesterheld ist so tragisch wie das Kapitel der argentinischen Geschichte, mit dem es untrennbar verknüpft ist: Die 70er-Jahre, in denen die Gewalt linker bewaffneter Gruppen und rechter Paramilitärs das Land erschütterte, bis sich 1976 eine Junta an die Macht putschte und den Staatsterrorismus fest installierte. Mit Los Oesterheld liegt jetzt eine Biografie der fast komplett ausgelöschten Familie vor. Auf Gesprächen mit der Witwe und Mutter Elsa Sánchez de Oesterheld und rund zweihundert weiteren Zeitzeugen beruht das Buch von zwei Journalistinnen. Es zeichnet detailliert nach, wie der legendäre Comic-Autor Héctor Oesterheld und seine vier Töchter erst zu Mitgliedern der linksrevolutionären Gruppe Montoneros und dann zu Diktatur-Opfern wurden. Buchautorin Alicia Beltrami erläutert:
    "Die Atmosphäre im Haus der Oesterhelds war der Nährboden für das spätere politische Engagement der Töchter. Sie wurden zu einem ausgeprägten sozialen Bewusstsein erzogen."
    Die Oesterhelds gehörten dem Bürgertum an, aber schon als Schülerinnen begannen Estela, Diana, Beatriz und Marina in Elendsvierteln praktische Hilfe zu leisten. Bald gesellte sich zur sozialen Arbeit politischer Aktivismus. Die Oesterheld-Töchter waren nicht die einzigen: Im Argentinien der 60er- und 70er-Jahre war ein Großteil der Schüler und Studenten hoch politisiert. Koautorin Fernanda Nicolini:
    "Sie wollten eine andere Welt, so naiv und idealistisch das aus heutiger Sicht klingt. Die kubanische Revolution, die nationalen Befreiungsprozesse in anderen Teilen Lateinamerikas ermunterten Argentiniens Jugend, sich ebenfalls gegen die bestehende Ordnung aufzulehnen. Die junge argentinische Generation der 70er-Jahre hatte die Demokratie nicht kennengelernt und glaubte auch nicht an sie."
    Peronismus als Vehikel
    In Argentinien hatten sich nach dem Putsch gegen Präsident Juan Domingo Perón im Jahr 1955 Militärregime mit kurzen pseudo-demokratischen Intermezzi abgewechselt. Der Peronismus war verboten und bei Wahlen nicht zugelassen, dennoch blieb er in der Unterschicht und einem Teil der Mittelklasse fest verankert. Die linken Montoneros sahen den Peronismus als Vehikel, um zur Revolution zu gelangen. Sie feierten Peróns Rückkehr aus dem Exil und seinen Antritt als Präsident im Oktober 1973, doch wurden sie schnell enttäuscht: Perón hatte mit der Revolution nichts im Sinn. In der kurzen Amtszeit bis zu seinem Tod 1974 begann die peronistische Rechte, die Regierung zu dominieren. Die Montoneros radikalisierten sich und gingen in den Untergrund, verübten Anschläge auf Polizei- und Militär-Einrichtungen. Die Oesterheld-Schwestern schreckten vor diesem Weg nicht zurück – ebenso wenig wie ihr Vater.
    "Oesterheld hatte sich mit der Zeit dem Links-Peronismus angenähert, das war ein langer Prozess. Ursprünglich war er ein Intellektueller ohne politisches Engagement."
    Parallel zu seinem wachsenden Aktivismus, der ihn von seiner Ehefrau entfernte und schließlich in praktische Unterstützung für die Montoneros mündete, wurden auch Oesterhelds Comics immer politischer. 1968 veröffentlichte er "Das Leben des Che" – ein Jahr, nachdem der Revolutionär Che Guevara in Bolivien von der Armee getötet worden war. Sein bekanntestes Werk Eternauta, in dem eine Gruppe von Freunden in Buenos Aires einer tödlichen Invasion von Außerirdischen widersteht, hatte Héctor Oesterheld bereits in den 50er-Jahren verfasst. Den Science-Fiction-Comic interpretierten später manche als eine verschlüsselte und erstaunlich prophetische Vorwegnahme der Schrecken der Militärdiktatur. Autorin Fernanda Nicolini:
    "Wir haben keinen Anhaltspunkt für eine Vorahnung gefunden. Nach dem Putsch jedoch schrieb Oesterheld eine Fortsetzung des Eternauta. Und darin schilderte er ganz klar, was damals, 1976, in Argentinien vor sich ging."
    Argentinische Tragödie der 70er-Jahre
    Im "Eternauta II" verarbeitete Oesterheld sogar den Tod von Beatriz, der ersten seiner Töchter, die von Diktaturschergen verschleppt und umgebracht wurde. Argentiniens Militärs folterten und mordeten systematisch, statt die Guerilleros der Justiz zu übergeben. Zwischen 1976 und '77 verschwanden alle vier Oesterheld-Schwestern und ihr Vater. Während die Führung der Montoneros im sicheren Exil weilte und an völlig unrealistischen Revolutions-Zielen festhielt, wurde in Argentinien die Basis der Organisation weitgehend ausgemerzt.
    Los Oesterheld ist eine packende und erschütternde Lektüre. Am Beispiel einer ungewöhnlichen Familie lässt das Buch die argentinische Tragödie der 70er-Jahre nachvollziehbarer werden. Fernanda Nicolini und Alicia Beltrami haben neben den Angehörigen viele politische Weggenossen der Oesterhelds interviewt. Die Autorinnen wurden selbst in der zweiten Hälfte der Siebziger geboren. Sie haben keine Erinnerungen an die damaligen Ereignisse und konnten ihnen frei von Vorurteilen und Schuldgefühlen auf den Grund gehen.
    Fernanda Nicolini, Alicia Beltrami: "Los Oesterheld"
    Sudamericana, 2016. 416 Seiten, ca. 24 Euro.