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Familienministerin: Geld allein reicht nicht zur Armutsbekämpfung

Die Armutsbekämpfung in Deutschland darf sich nach Meinung von Bundesfamilienministerin Schmidt nicht auf Geldzuwendungen beschränken. Nötig seien vielmehr auch Hilfsangebote, mit denen Einkommensschwache beispielsweise in Fragen der Haushaltsführung oder der Erziehung unterstützt würden, sagte Frau Schmidt. Das Hauptaugenmerk gelte den Kindern, die besonders gefördert werden müssten, um sie aus dem Teufelskreis der Armut herauszuholen.

Moderation: Peter Lange |
    Peter Lange: Armut in Deutschland, das war in dieser Woche gleich dreimal Thema öffentlicher Diskussionen: zuletzt am Mittwoch. Da verabschiedete die Bundesregierung ihren Armuts- und Reichtumsbericht. Tenor: es leben in Deutschland mehr Menschen als vor sechs Jahren unter der Armutsgrenze. Das Armutsrisiko ist ebenfalls gestiegen. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende mit Kindern. Wobei Armut zunächst eine statistische Größe ist. Als arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens verfügt. Über gesellschaftliche und politische Folgen und über politische Gegenstrategien wollen wir nun mit Renate Schmidt sprechen. Sie ist die Bundesministerin für Familie, Senioren, Jugend und Frauen. Guten Morgen Frau Schmidt.

    Renate Schmidt: Guten Morgen!

    Lange: Frau Schmidt, die Kirchen sprechen von einem Skandal, was die Kinderarmut angeht. Die Opposition wirft der Regierung vor, das Land sozial zu spalten. Die Regierung sagt halb so wild, wir liegen gleich hinter Skandinavien und damit gar nicht so schlecht. Wie interpretieren Sie denn das, was dieser Bericht an Zahlen zusammenträgt?

    Schmidt: Im Prinzip stimmt sowohl das, was die Kirchen sagen. Es ist ein Skandal, wenn mehr als 1,1 Millionen und wenn man diejenigen hinzunimmt, die jetzt auch von Arbeitslosenhilfe leben, dann rund 1,5 Millionen Kinder unterhalb des Armutsrisikos leben. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir mit unseren bisherigen Möglichkeiten, die wir in der Bundesrepublik hatten und haben, gar nicht so wenig erfolgreich waren. Es stimmt nämlich auch, dass es nur die skandinavischen Länder gibt, die besser liegen als wir. In allen anderen europäischen Ländern ist gerade Kinder- und Familienarmut noch deutlicher ausgeprägt als bei uns. Aber das darf uns nicht ruhen lassen, dieses möglichst schnell und zügig zu beseitigen.

    Lange: Nun ist das ja zunächst einmal ein relativ abstrakter Armutsbegriff, der von definierten Einkommensgrenzen ausgeht. Nun sagen einige Experten, es ist eigentlich gar nicht so sehr eine Frage des Einkommens, sondern auch oder viel eher sogar die Frage eines armen, um nicht zu sagen armseligen Lebensstils. Stimmen Sie dem zu?

    Schmidt: Es gibt sehr viele Ursachen von Armut. Natürlich ist Arbeitslosigkeit eine der herausragenden Ursachen und wir versuchen ja jetzt mit den Konzepten, die wir auf den Weg gebracht haben, Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das zweite ist natürlich, dass Menschen teilweise keine Kompetenzen haben, also nicht in der Lage sind, einen Haushalt zu führen, nicht in der Lage sind, mit Geld umzugehen, nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen. Für diese Kinder ist natürlich Armut besonders bedrückend, weil sie zu Hause auch keinerlei Anregungen haben und zu Hause auch dann teilweise sträflich vernachlässigt werden. Da hilft Geld alleine überhaupt nicht weiter, sondern man muss versuchen, diese Eltern, diese Familien zu erreichen und ihnen versuchen, diese Kompetenzen wenigstens zu einem wesentlichen Teil zu verschaffen. Wir versuchen das auf Bundesebene mit Modellvorhaben. Leider Gottes können wir nur Modellvorhaben auf den Weg bringen. Wir müssen an dieser Stelle auch etwas sagen: Armutsbekämpfung ist nicht nur Sache der Bundesregierung, sondern Armutsbekämpfung ist die Sache aller Gebietskörperschaften, also des Bundes, der Länder und der Kommunen. Da können wir uns auf Bundesebene noch so sehr anstrengen und Kindergeld erhöhen. Das war übrigens erfolgreich. Bei Paaren mit Kindern hat dies das Armutsrisiko verringert. Aber wenn dann auf der kommunalen Ebene oder der Länderebene wieder kräftig bei den Eltern abkassiert wird, hilft das überhaupt nichts.

    Lange: Bleiben wir bei den Ursachen. Wieso sind diese Kompetenzen über die Jahre bei relativ vielen Leuten verloren gegangen, trotz Wohlfahrtstaat, trotz all dem, was man an Sozialpolitik in den letzten 30 Jahren hatte?

    Schmidt: Vielleicht haben wir uns in Deutschland immer zu sehr darauf konzentriert, dass wir glauben, dass man Armut alleine mit Geld bekämpft. Es bedarf teilweise mehr Fantasie und mehr Anstrengung, solche Kompetenzen zu verschaffen, zum Beispiel über Kindertagesstätten eine zugehende Elternarbeit zu praktizieren, als zu sagen jetzt machen wir zusätzlich noch ein bisschen mehr was die Geldleistungen betrifft. Natürlich hilft Geld auch. Wir versuchen das bei den Eltern, die sich selber anstrengen und ein eigenes geringes Einkommen erwirtschaften, mit dem neu geschaffenen Kinderzuschlag. Aber ich sage noch einmal: Geld allein reicht nicht. Wir haben leider Gottes Familien, die sind in der zweiten, dritten, teilweise vierten Generation Sozialhilfeempfänger. Ich sage noch einmal: da hilft man mit zusätzlichen Geldleistungen überhaupt nicht, sondern da muss erst einmal wieder das Bewusstsein geschaffen werden, dass man selber für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann, und diese Kenntnisse und Fähigkeiten verschafft werden, wenigstens für die Kindergeneration.

    Lange: Einige Soziologen sprechen ja schon von einem Subproletariat, das da über Generationen an staatliche Transferleistungen gewöhnt ist, grobschlächtig beschrieben sicherlich: übergewichtig, konsumiert Fastfood, sieht zu viel fern und hat keine Bildung und ist gesellschaftlich vielleicht kaum mehr integrierbar. Teilen Sie diesen Befund?

    Schmidt: Ich würde mich dagegen wehren, wenn man jetzt sagt das trifft für alle diejenigen, die unterhalb der Armutsrisikogrenze leben, zu.

    Lange: Aber es gilt für einen Teil der Leute?

    Schmidt: Für einen Teil der Leute mag das zutreffen. Gerade da ist es besonders wichtig, die Kinder zu fördern, genügend Kinderbetreuungsangebote zu bieten, um die Kinder aus diesem Teufelskreis heraus zu holen. Ob man die Eltern noch erreicht im notwendigen Ausmaß, das mag in Einzelfällen zutreffen, aber sicherlich nicht generell. Aber die Kinder, die können überhaupt nichts dafür und darum muss man dafür sorgen, dass sie aus diesem Teufelskreis heraus kommen.

    Lange: Inwieweit wird Hartz IV etwas ändern an diesen Strukturen? Was die Einkommensverteilung angeht doch sicher zunächst nichts zum Positiven oder?

    Schmidt: Wir haben heute schon Menschen, die von Arbeitslosenhilfe leben, die unterhalb der Armutsrisikoschwelle leben. Diejenigen sind bisher in keiner Statistik aufgetaucht. Die werden künftig in der Statistik auftauchen. Die Statistik wird ehrlicher werden und insoweit kann man sagen, es wird sich dadurch nichts verbessern. Ich sage aber auch, es wird sich an vielen Stellen auch nichts verschlechtern, sondern für manche schon etwas verbessern, weil gerade diejenigen, die vorher sehr wenig verdient haben, durch Hartz IV höhere Leistungen bekommen werden, als sie es durch die Arbeitslosenhilfe bekommen haben.

    Lange: Es schwingt ja bei denen, die vom Armutsrisiko bedroht sind, die noch nicht arm sind, aber vielleicht den sozialen Abstieg vor Augen haben, immer auch mit die Angst vor den amerikanischen Zuständen: Arbeit ohne Ende, aber trotzdem nie genug Einkommen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Ist diese Angst mit Blick auf immer mehr Billigjobs völlig unberechtigt?

    Schmidt: Ich glaube nicht, dass wir auf einem solchen Weg sind, sondern ich glaube, dass wir hier Gott sei Dank andere Verhältnisse haben und nun diese anderen Verhältnisse nicht etwa erhalten, sondern diese anderen Verhältnisse auch verbessern müssen. Wir haben keine amerikanischen Verhältnisse und wir werden sie auch nicht bekommen, auch nicht durch Hartz IV bekommen. Aber es ist in meinen Augen schon wichtig – und deshalb haben Niedrigeinkommen schon auch einen Sinn -, dass Menschen erkennen, ich kann aus eigener Kraft etwas tun. Wenn wir dann so etwas machen, wie wir es jetzt mit dem Kinderzuschlag für diese Geringverdiener tun, kommt am Schluss etwas heraus, wo man sagen kann ich schaffe es, meine Familie durch meine eigene Arbeit zu ernähren mit einigen Transferleistungen des Staates, die aber dann nicht Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld heißen, sondern die im Prinzip allen zustehen. Das ist in meinen Augen etwas ganz, ganz Wichtiges.

    Lange: Bleiben wir noch einmal bei den politischen Implegationen. Es gibt Stimmen die bereits warnen, Gnade den Parteien, wenn ein deutscher Pim Fortuyn antreten würde, populistisch und ohne diese braune Sauce der NPD, der könnte hier in großem Stil abräumen bei diesem – nennen wir es mal so – Proletariat und bei den Verängstigten, die den sozialen Abstieg fürchten. Ist diese Warnung völlig unberechtigt?

    Schmidt: Solche Warnungen sind nie unberechtigt, aber ich habe so den Eindruck, dass diese Menschen – und das ist natürlich auch ein Faktum – sich für Politik und alles, was damit zu tun hat, nur ganz, ganz wenig interessieren. Auch dieses ist etwas, was für manche dieser Menschen in diesen Verhältnissen leider Gottes zutrifft.

    Lange: Das was wir jetzt dieser Tage erleben, permanenter Briefwechsel zwischen der Opposition und der Regierung, meinen Sie, dass das unter dem Strich etwas bringen kann, oder wird das unter dem Strich die Politikverdrossenheit vielleicht eher fördern, wenn große Worte kommen und wenig Taten?

    Schmidt: Wenn es so ist, dass Angebote, die man schriftlich unterbreitet, nicht ernst gemeint sind, sondern nur zur eigenen Profilierung dienen, dann würde das die Politikverdrossenheit erhöhen. Wenn es so ist, dass man wirklich etwas gemeinsam tut und versucht, bestimmte Blockadehaltungen im Bundesrat aufzubrechen, und auf der anderen Seite Kompromissbereitschaft auch auf Seiten der Regierungskoalition zeigt, dann wird es etwas bringen.

    Lange: Wie ernst meinen Sie meint es die Opposition?

    Schmidt: Im Moment kann ich die Ernsthaftigkeit noch nicht ganz erkennen, aber ich gebe als optimistischer Mensch die Hoffnung nie auf.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das die Familienministerin Renate Schmidt. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Schmidt: Ja, auf Wiederhören!