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Familienministerin Katarina Barley
"SPD hat ein Image, das ihr nicht gerecht wird"

Die SPD auf dem Weg zur Erneuerung? Man habe nach der Bundestagswahl intensiv nachgedacht, was man falsch gemacht habe und was verändert werden müsse, sagte Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) im Dlf. Ein Vorsatz sei, die in der SPD herrschende Vielfalt noch besser sichtbar zu machen.

Katharina Barley im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Familienministerin Katarina Barley (SPD) spricht am 05.09.2017 in Berlin, beim letzten offiziellen Sitzungstag des Bundestages vor der Bundestagswahl 2017.
    Familienministerin Katarina Barley (SPD) spricht am 05.09.2017 in Berlin, beim letzten offiziellen Sitzungstag des Bundestages vor der Bundestagswahl 2017. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Ann-Kathrin Büüsker: Die SPD kann es also doch noch, Wahlen gewinnen. In Niedersachsen sind die Sozialdemokraten gestern stärkste Kraft geworden. Das war bisher immer der CDU vorbehalten. Es sieht nun so aus, als könnte Stephan Weil Ministerpräsident bleiben, vorausgesetzt er findet eine Koalition. Und in Berlin können jetzt endlich die Sondierungsgespräche zur Bildung einer neuen Bundesregierung beginnen. Die Union wollte ja erst mal die Wahl abwarten. Am Wahlabend gestern, da hörte man aus allen politischen Richtungen erst mal, das Wahlergebnis, das ist rein landespolitisch, das hat alles nichts mit dem Bund zu tun.
    Den Blick voraus wollen wir jetzt im Deutschlandfunk weiterführen, und zwar mit Blick auf die SPD:
    O-Ton Stephan Weil: "Man wird sich sicherlich anschauen, was beispielsweise aus unserer Wahlkampfführung interessant ist. Wir haben zum Beispiel sehr auf unmittelbare Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern in Bürgerversammlungen gesetzt. Wir haben gar keine großen Reden mehr geschwungen in Niedersachsen, nur noch diskutiert. Das hat sich nach meinem Eindruck tatsächlich auch sehr ausgezahlt."
    O-Ton Andrea Nahles: "Was man in Niedersachsen sehen kann ist eben, dass klare Schwerpunkte auch wirklich eine deutliche Unterscheidung zwischen den beiden Parteien CDU und SPD gut für unsere Demokratie ist."
    O-Ton Martin Schulz: "Für uns ist das natürlich in der schwierigen Lage, in der die SPD ist, ein ermutigendes Zeichen, und das ist auch ein Resultat der Tatsache, dass die SPD nach der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl sich nicht hat auseinanderdividieren lassen, dass wir zusammengehalten haben."
    Büüsker: SPD-Stimmen vom gestrigen Wahlabend. – Näher am Bürger, Unterscheidbarkeit von anderen Parteien und innerer Zusammenhalt und außerdem eine interne Erneuerung der Partei – das waren gestern die großen Schlagwörter. Aber was heißt das jetzt im Einzelnen? Darüber möchte ich mit Katarina Barley sprechen, noch Bundesfamilienministerin (SPD). Guten Morgen, Frau Barley!
    Katarina Barley: Guten Morgen!
    Büüsker: Frau Barley, als Martin Schulz gestern im Willy-Brandt-Haus auf die Bühne getreten ist, da standen Sie direkt neben ihm und haben sehr breit gelächelt. Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?
    Barley: Ich habe mich natürlich vor allen Dingen erst mal für Stephan Weil gefreut. Die niedersächsischen Genossinnen und Genossen, die haben wirklich gekämpft wie die Löwen. Ich kannte das Gefühl ja noch. Wir haben damals in Rheinland-Pfalz, wo ich herkomme, eine ähnliche Aufholjagd gehabt, zwölf Prozentpunkte hinten gelegen und am Ende deutlich vorne. Das ist einfach ein tolles Gefühl, weil Du jeden Monat merkst, es geht voran und Du schaffst das. Das ist eine ganz tolle Eigendynamik, die sich da entfaltet. Und wenn man dann am Ende die Zahlen sieht und sieht, das hat sich wirklich gelohnt, das ist toll und ich habe mich einfach für die niedersächsischen Kolleginnen und Kollegen unheimlich gefreut.
    Büüsker: Haben Sie auch kurz daran gedacht, wie es gewesen wäre, wenn Sie als SPD im Bundestagswahlkampf so auf Abgrenzung gesetzt hätten, wie es Stephan Weil in Niedersachsen getan hat, was dann vielleicht im Bund möglich gewesen wäre?
    Barley: Na ja. Es war im Bund deswegen nicht möglich, weil wir mit Angela Merkel eine Konkurrentin hatten, die jede inhaltliche Diskussion ja im Grunde genommen seit zwölf Jahren systematisch umgeht. Mit ihr zu diskutieren, das ist ja wie einen Pudding an die Wand nageln. Es gibt ja ganz wenig Punkte, wo einem überhaupt ihre inhaltliche Position bekannt ist. Für mich war da so ein Aha-Erlebnis die Ehe für alle. Ich habe bis zu dem Moment, wo sie die Karte in die Urne gesteckt hat, nicht gewusst, wird sie jetzt dafür oder dagegen stimmen, und so ist das ja in fast allen Punkten. Das hat diesen Begriff asymmetrische Demobilisierung, das kennt man, den Gegner lähmen, einschläfern, das macht sie und das war eben in Niedersachsen anders.
    "Althusmann selbst die Bildungspolitik in den Sand gesetzt"
    Büüsker: Aber, Frau Barley, wenn ich da kurz einhaken darf? Bernd Althusmann in Niedersachsen war jetzt ja auch nicht der Typ, der irgendwie durch eigene Themen, eigene Positionierungen überzeugt hat. Und trotzdem hat Stephan Weil da ganz klar etwas gegengesetzt. Also es kann ja offensichtlich auch funktionieren, wenn das Gegenüber nicht so diskussionsfreudig ist.
    Barley: Na ja, Herr Althusmann war sehr blass. Aber er hat das schon versucht. Er hat es in der Bildungspolitik versucht. Die haben versucht, so eine Art Schablone zu bauen aus Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen. Was in den anderen beiden Wahlen geklappt hat, das waren die Themen Bildung, Infrastruktur, Verkehr und innere Sicherheit. Das haben sie in Niedersachsen auch versucht. Nur hat das in Niedersachsen nicht funktioniert, weil Herr Althusmann selbst die Bildungspolitik als Kultusminister in den Sand gesetzt hatte, selbst G8 eingeführt hatte, weil bei der inneren Sicherheit und auch in der Flüchtlingsfrage Niedersachsen wahnsinnig gut aufgestellt war. Also es gab da eine inhaltliche Diskussion und die gab es im Bund ernsthafterweise nicht.
    Büüsker: Aber können Sie als SPD dafür Angela Merkel verantwortlich machen? Sie hätten doch trotzdem mehr gegenhalten können.
    Barley: Na ja. Wissen Sie, wir haben ein Rentenkonzept vorgelegt. Da hat die Union in Person von Peter Tauber noch am selben Abend gesagt, wir legen gar kein Rentenkonzept vor. – Wir haben ein Steuerkonzept, ein sehr gutes vorgelegt. Ich weiß nicht, ob Sie von der Union ein Steuerkonzept gesehen haben. Ich habe keins gesehen. – In Punkto Familie haben wir Positionen vertreten, die sie vier Jahre lang bekämpft haben. Also das ist schon noch mal was anderes. Ich will nicht sagen, dass die CDU schuld daran ist. Natürlich hätten wir das besser machen müssen. Ich will aber sagen, dass die Voraussetzungen mit einer Frau wie Angela Merkel, die das nicht Politik diskutieren zur Daseinsform erhoben hat, eine ganz andere Auseinandersetzung ist als mit jemandem, der wirklich die politische Auseinandersetzung auch eingeht und sucht. Ich würde mir wirklich wünschen, dass das öfter so ist.
    "Zwischen CSU und Grüne - das wird richtig schwierig"
    Büüsker: Frau Barley, jetzt wird die SPD es aber ja auch in der kommenden Legislaturperiode voraussichtlich mit einer Bundeskanzlerin Angela Merkel zu tun haben. Wie wollen Sie der denn inhaltlich beikommen?
    Barley: Na ja, das wird ja ausgesprochen spannend. Denn gestern in der Berliner Runde gab es einen Moment, wo sich die Miene von CSU-Generalsekretär Scheuer aufhellte und er richtig strahlte. Das war, als er sagte, seht mal nach Österreich, unsere Schwesterpartei und Sebastian Kurz, die haben gewonnen, ganz toll. Das wird richtig interessant, weil die Polarisierungen innerhalb dieser Koalition der anderen ja viel größer sein werden. Wir haben da jetzt drei andere drin und zwischen CSU und Grünen, das wird richtig schwierig, und da wird wahrscheinlich auch die Person Merkel nicht darum herumkommen, sich hin und wieder zu positionieren, zumal wir ja jetzt auch feststellen, nach diesen zwei krachend verlorenen Wahlen für die CDU ist Merkel auch angeschlagen, auch innerhalb der eigenen Reihen.
    Büüsker: Ihr Parteichef Martin Schulz, der wirbt jetzt mit Blick auf die SPD für eine explizite Erneuerung. Auch Stephan Weil hat das gestern Abend noch mal betont. Was heißt denn das konkret?
    Barley: Das haben wir uns ja schon gleich nach der Bundestagswahl vorgenommen. Wenn man so ein schwaches Ergebnis einfährt, dann tut man gut daran, erst mal in sich zu gehen und ganz genau zu gucken, was haben wir falsch gemacht und was müssen wir auch verändern.
    "Fast 30.000 Neumitglieder in diesem Jahr"
    Büüsker: Und zu welchen Ergebnissen kommen Sie da?
    Barley: Na ja. Ich sage ja, diesen Prozess, den leiten wir jetzt ein. Natürlich haben wir die Analysen. Wir wissen, dass diese Polarisierung, wie Sie es ja auch richtig genannt haben, nicht geglückt ist. Und da müssen wir gucken, wo hätten wir anders ansetzen können und müssen. Waren es die Themen oder war es die Art, wie man es präsentiert. Ich glaube auch oder sind uns alle einig, dass wir unsere Partei auch weiblicher zeigen müssen. Sie ist ja durchaus weiblich. Sie ist auch jünger, als so das Image ist. Gerade jetzt: Wir haben fast 30.000 Neumitglieder gewonnen in diesem Jahr. Das muss man zeigen!
    Büüsker: Frau Barley, wenn ich da ganz kurz einhaken darf? Warum helfen mehr Frauen und mehr jüngere Leute?
    Barley: Na ja, weil die SPD ein Image hat, das ihr nicht gerecht wird, wie ich finde. Wenn man sich so umhört, wie die Bevölkerung die SPD sieht, dann ist das oft sehr männlich und eher älter. Und wir haben ja dieses Potenzial an jungen und weiblichen Kräften in der SPD. Wir haben jetzt zum Beispiel gerade eine ganz spannende Geschichte aus der Neumitgliedschaft und Mitgliedschaft heraus. Die nennt sich "SPD++", wo man mal ganz neue Kommunikationsformen auch drin hat, raus aus diesen klassischen Strukturen, auch verbindlich beteiligen über die gewachsenen Strukturen hinaus. Das ist richtig spannend!
    Büüsker: Aber gleichzeitig wird ja ein großer Teil Ihrer Wählerinnen und Wähler immer älter. Wie wollen Sie die mit jüngeren Leuten erreichen?
    Barley: Na ja. Dass das funktioniert, das zeigt sich ja überall in der Welt. Das ist nicht abhängig davon, wie die Frontleute sind. Wir haben auf der einen Seite Leute wie Jeremy Corbyn und Bernie Sanders, die Leute erreichen; auf der anderen Seite haben wir welche wie Macron, die jung und dynamisch daherkommen, die Mehrheiten erreichen. Das ist nicht daran allein gebunden. Aber die Vielfalt, die in der SPD herrscht, die muss noch besser sichtbar werden, und man kann das zeigen, ohne dass man dabei eine andere Gruppe vor den Kopf stößt. Darum geht es ja nicht, sondern es geht darum, dass wir das große Potenzial, das wir in der SPD haben, auch diese vielen neuen Mitglieder, dass wir die besser beteiligen, und das wollen wir tun.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.