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Familiennachzug
Hardt: Nicht jeder Syrer ist ein Bürgerkriegsflüchtling

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Hardt, ist dafür, den Familiennachzug bei syrischen Flüchtlingen in Deutschland einzuschränken. Man könne nicht pauschal festlegen, dass es sich bei jedem Syrer um einen Bürgerkriegsflüchtling handele, sagte der CDU-Politiker im DLF. Viele kämen aus Flüchtlingslagern, in denen sie sicher untergebracht gewesen seien.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Christine Heuer | 07.11.2015
    Schulkinder stehen am 03.03.2015 vor der Schule im Camp in Kahramanmaras.
    Schulkinder stehen am 03.03.2015 vor der Schule im Camp in Kahramanmaras. (picture alliance / dpa / Can Merey)
    Im Asylkompromiss von CDU, CSU und SPD stehe, dass der Familiennachzug eingeschränkt werden soll, so Hardt im DLF. Er rechnet damit, dass sich Union und SPD in der kommenden Woche in der Frage einigen werden. Die SPD hat allerdings bereits ihren Widerstand angekündigt. "Wir müssen daran denken, was passiert nächstes Jahr, wenn die 800.000 Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern mutmaßlich zum großen Teil weiter in Deutschland sein werden", mahnte Hardt. Wenn man den Bürgern in Deutschland Flüchtlingshilfe in Form von Geld und Engagement abverlange, müsse man auch die Probleme angehen, wenn das so weiter gehe.
    Hardt unterstützt damit die Haltung von Bundesinnenminister de Maizière, der gestern zunächst gesagt hatte, dass Syrer nur noch einen sogenannten subsidiären Schutz erhalten sollten. Ob das Kanzleramt von dieser Äußerung gewusst habe, sei ihm nicht bekannt, sagte Hardt im DLF. De Maizière hatte bereits die Anweisung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erteilt, dass Syrer nur einen befristeten Schutz ohne Familiennachzug bekommen, wenn sie nicht individuell verfolgt sind. Später erklärte das Innenministerium, die Entscheidungspraxis sei noch nicht geändert worden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: "Die Regierungskrise ist beendet, wir gehen jetzt wieder an die Arbeit", das ist ein Zitat von Thomas Oppermann, dem SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, von gestern. Am Abend sah die Sache dann schon wieder anders aus. Da hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière dem Deutschlandfunk gesagt, dass syrische Flüchtlinge ab sofort schlechter gestellt werden, unter anderem ihre Familien nicht mehr nachkommen lassen dürfen. Und Ralf Stegner von der SPD-Linken twitterte empört, das sei mit der SPD nicht abgesprochen gewesen. Abend ruderte Thomas de Maizière dann zurück. Alles Weitere von Katharina Hamberger aus Berlin.
    ((Einspielung))
    Der Beitrag von Katharina Hamberger aus Berlin. Und am Telefon begrüße ich Jürgen Hardt, den außenpolitischen Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Herr Hardt, Sie müssen uns helfen, wir sind alle miteinander sehr irritiert. War die neue Regelung nun beschlossene Sache oder nicht?
    Hardt: In dem Beschluss von Donnerstagabend steht ganz klar drin, dass bei subsidiärem Schutz der Familiennachzug eingeschränkt werden soll. Das ist natürlich ein humanitär und rechtlich nicht ganz einfaches Unterfangen, weil wir ja auch den Schutz der Familie im Grundgesetz stehen haben. Ich glaube aber, dass wir das Problem offensiv angehen müssen, denn Thomas de Maizière hat es eben gesagt, die Zahlen sind enorm, und wenn tatsächlich jeder syrische Flüchtling seine Familie nachholen darf, würden die Zahlen deutlich weiter ansteigen. Nächste Woche wird es daran gehen, die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung der Beschlüsse vom vergangenen Donnerstag zu treffen, und dann wird sicherlich auch diese Frage zwischen CDU/CSU und SPD einvernehmlich geregelt werden können.
    Heuer: In dem Kompromisspapier, das Sie angesprochen haben, steht das zwar mit dem Familiennachzug, da steht aber nicht ausdrücklich drin, dass nun ausgerechnet die größte und die gefährdetste Flüchtlingsgruppe darunter fallen soll. Ist darüber gesprochen worden im Vorfeld, also in der Herleitung des Kompromisses? War das ein Thema?
    Hardt: Wir haben natürlich in der Fraktion am Dienstag uns mit den Dingen beschäftigt, die zwischen den Besprechungen am letzten Wochenende und denen nun an diesem Donnerstag lagen. Es ist als eines der zentralen Probleme definiert worden in der CDU/CSU-Fraktion, dass wir zum Thema Familiennachzug eine Lösung brauchen, die auch für die Zukunft tragfähig ist ...
    Heuer: Und also auch Syrer betrifft?
    "Viele Syrer kommen aus Flüchtlingslagern, in denen sie sicher untergebracht waren"
    Hardt: Das betrifft alle Flüchtlinge. Was Syrer angeht, wurde da nicht speziell darüber gesprochen, aber real ist ja, dass auch syrische Flüchtlinge aus den unterschiedlichsten Gründen und aus den unterschiedlichsten Ländern zu uns kommen, sodass eine pauschale Festlegung, jeder Syrer ist Bürgerkriegsflüchtling, weil er gerade am Tag zuvor ohne Hab und Gut sein Land verlassen musste, weil eine Assad-Fassbombe sein Haus zerstört hat, dass diese pauschale Feststellung natürlich nicht zutrifft. Viele kommen aus Flüchtlingslagern, in denen sie im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sicher untergebracht waren. Ich gehe davon aus, dass wir da in den nächsten Tagen Klarheit durch die Beratungen an entsprechenden gesetzlichen Regelungen finden.
    Heuer: Da möchte ich gleich wirklich detailliert mit Ihnen darüber sprechen. Aber eine Frage noch sozusagen zur Genese dieser überraschenden Neuigkeit von gestern. Wusste das Kanzleramt, dass Thomas de Maizière bereits Anweisungen ans BAMF gegeben hat? Waren die informiert?
    Hardt: Dazu kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Ich bin darüber nicht informiert. Ich bin der außenpolitische Sprecher der Fraktion.
    Heuer: Aber doch nahe dran an der Macht damit.
    Hardt: Ja, aber Herr Seibert hat ja dazu auch gestern Erklärungen abgegeben als Regierungssprecher. Ich habe da keine eigene Erkenntnisse, die jetzt zur Erhellung beitragen könnten.
    Heuer: Sie sagen, in den nächsten Tagen muss jetzt gesprochen werden, auch mit der SPD – da wünsche ich schon mal viel Vergnügen, die haben ja schon sehr deutlich abgewunken. Herr Hardt, ich höre bei Ihnen so ein bisschen heraus, Sie finden die Idee eigentlich gar nicht so schlecht, die Thomas de Maizière da hat. Stimmt das?
    Hardt: Wenn wir den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland abverlangen, dass sie jetzt alles tun, durch Geld, durch irgendein Engagement, durch Hinnahme entsprechender Einschränkungen, dass wir den verfolgten Menschen hier eine gute und gastfreundschaftliche Aufnahme gewähren, dann müssen wir auch ganz konkret natürlich die Probleme angehen, die entstehen würden, wenn das dauerhaft so weitergeht. Und da ist die Sache der Außenpolitik natürlich Bekämpfung von Fluchtursachen, Herstellung von Beziehungen zu Staaten, aus denen Flüchtlinge kommen, mit dem Ziel, dass sie dann möglicherweise auch dorthin zurückgeführt werden können oder auch freiwillig dorthin zurückgehen. Und dazu gehört eben auch die von Ihnen angesprochene heikle innenpolitische Frage des Familiennachzugs. Das zeigt, dass wir durch die Flüchtlingssituation natürlich schon an die Grenzen dessen kommen, was wir als Politiker an Diskussionsbereitschaft aufbringen müssen, um auch unsere politischen Mitbewerber zu überzeugen. Ich glaube aber, dass in der SPD natürlich die Zahl der Landräte und Oberbürgermeister, die bei Herrn Stegner und anderen vorstellig werden und sagen, es muss etwas getan werden, nicht geringer ist als bei uns in der CDU/CSU. Und von daher glaube ich auch, dass wir in den nächsten Tagen zu klaren gemeinsamen weiteren Schritten kommen, so wie wir das ja in den vergangenen Wochen auch hingekriegt haben.
    Heuer: Herr Hardt, wenn Sie den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge aussetzen, was passiert dann? Ich sage es Ihnen mal so: Wäre ich ein syrischer Flüchtling, würde ich jetzt sagen: 'Kommt so schnell wie möglich und um jeden Preis!' Schicken Sie Frauen und Kinder den Schleppern ins Netz und die Überlebenden, die das dann schaffen, zusätzlich nach Deutschland, schaffen Sie also gerade neue Anreize, illegal zu flüchten und hierher zu kommen?
    Thema Familiennachzug als Beitrag zur mittelfristigen Lösung des Flüchtlingsproblems
    Hardt: Ganz klar nicht. Wir haben ja als Deutschland darauf verzichtet, abschreckende Signale nach außen zu senden, weil genau das die Befürchtung ist. Wir haben es ja zum Beispiel im Fall Ungarns gesehen, dass ganz konkret in dem Augenblick, wo man den Eindruck erweckt, es würden jetzt Grenzen dicht gemacht werden, im Gegenteil eher einen zusätzlichen Ansturm auslöst, den man dann eben auch nicht so ohne Weiteres bewältigen kann. Was das Thema Familiennachzug angeht, glaube ich, ist das zwar für viele Flüchtlinge ein ständiges Thema, aber es ist jetzt nicht das akuteste Thema der täglichen Flüchtlingsströme. Von daher wünsche ich mir schon, dass wir natürlich in den nächsten Tagen Klarheit schaffen. Aber wir müssen daran denken, was passiert nächstes Jahr, wenn diese 800.000 Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern mutmaßlich zum großen Teil weiter in Deutschland sein werden, was stellen sich dann für Fragen? Von daher ist es für mich eher ein Beitrag zur mittelfristigen Lösung des Problems.
    Heuer: Mittelfristige Lösung. Ehe und Familie, Herr Hardt, stehen unter besonderem Schutz des Staates und sind ja gerade auch Ihrer Partei besonders wichtig. Verraten Sie gerade nicht ein bisschen so das "C" im Namen von CDU und CSU, das Christliche in Ihrer Politik?
    Hardt: Wir machen es uns natürlich nicht leicht. Ideal wäre es natürlich, wenn die Flüchtlinge mit ihren Familien in den Ländern, in denen heute noch der Bürgerkrieg sie an einem friedlichen Leben hindert, leben könnten.
    Heuer: Aber das ist ja nicht so.
    Hardt: Oftmals ist es auch so, dass Flüchtlinge mit ihren Familien gut leben könnten in Nachbarländern der Länder, aus denen die Flucht kommt. Ich glaube, dass die Wahrnehmung unserer humanitären Aufgabe und auch die Wahrnehmung des Themas Pflicht zur Familienzusammenführung eben dann doch nicht zwingend bedeutet, dass das alles hier auf deutschem Boden stattfinden muss.
    Heuer: Aber bislang findet es ja vor allen Dingen in den Nachbarländern statt. Die sind ja auch längst überfordert. Sonst würden die Menschen ja gar nicht hierher kommen.
    Länder mit Flüchtlingslagern verdienen unsere ganze Unterstützung
    Hardt: Ja, also der Bundesaußenminister hat eine große Menge Geld akquiriert, um die Flüchtlingslager im Umfeld der Länder, zum Beispiel im Umfeld von Syrien, in Jordanien, im Libanon entsprechend finanziell auszustatten. Ich bin dafür, dass wir diese Lager auch so ausgestalten, dass die Menschen das Gefühl haben, dass sie dort gegebenenfalls auch eine längere Zeit friedlich leben können, dass dort Schulunterricht stattfindet, dass dort die medizinische Versorgung optimal ist und dass auch möglicherweise eine Art rudimentärer Berufsausbildung zum Beispiel für junge Männer da erfolgen kann. Da sollten wir unsere Kraft drauf richten, da sollten wir mit den Ländern, in denen solche Flüchtlingslager sind, reden. Die verdienen unsere ganze Unterstützung. Die Türkei, Jordanien, Libanon, der Norden des Irak, aber auch andere Länder in Afrika, in denen das so ist. Ich finde, wenn wir das tun, tun wir insgesamt für die humanitäre Lage der Menschen mehr, als wenn wir ihnen den Eindruck geben, dass sie hier in Deutschland mit ihren Familien auf Dauer Aufnahme finden können.
    Heuer: Herr Hardt, nun schickt sich die Union ja auch an, Afghanistan wenigstens in Teilen zu einem sicheren Drittstaat erklären zu wollen. Finden Sie das humanitär, oder anders gefragt, an welcher Stelle ist Afghanistan denn sicher?
    Hardt: Es gibt mit Sicherheit Provinzen in Afghanistan, die Sie im Sinne des humanitären Völkerrechts als sicher erklären können. Ich denke zum Beispiel an die Stadt Masar im Norden Afghanistans, in der die Bundeswehr ja seit 15 Jahren unterwegs ist. Ich glaube allerdings, dass eine solche Regelung, ob und wie wir Afghanen nach Afghanistan zurückführen können, voraussetzt, dass wir uns erstens ganz genau die Sicherheitslage in den einzelnen Provinzen angucken, und dass wir zweitens im Rahmen des Bundeswehrmandats für Afghanistan überlegen, inwieweit die Bundeswehr, aber auch Polizeikräfte und zivile Aufbauhelfer dafür sorgen können, dass diese Region, diese Provinzen, in die wir Flüchtlinge zurückschicken wollen, auch sicher bleiben.
    Heuer: Herr Hardt, wenn es ungefährlich ist, warum braucht es dann Soldaten, um die Sicherheit zu gewährleisten?
    Hardt: Sie brauchen überall auf der Welt Polizisten zum Beispiel, um sicherzustellen, dass Verbrecher kein Unwesen treiben. Da sehe ich keinen Widerspruch. Wenn Sie die Zahl der Übergriffe der Taliban in Afghanistan auf die Zivilbevölkerung auf einer Landkarte sich angucken, stellen Sie große Unterschiede fest. Und ich glaube, dass wir gut daran tun, das auch wahrzunehmen. Wir haben 55 Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan verloren, die dort ihr Leben gelassen haben, damit Afghanistan ein friedlicher und prosperierender Staat in Zukunft werden kann. Wir haben unsere Ziele, das Land insgesamt zu befrieden, nicht erreicht, aber wir haben trotzdem natürlich in vielen Regionen und in vielen Bereichen große Erfolge erzielt. Und das sollten wir nicht gering schätzen. Wir sollten lieber dafür sorgen, dass diese Pflanze jetzt sich auch entfalten kann.
    Heuer: Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Herr Hardt, haben Sie vielen Dank für das Gespräch und dass Sie sich auch an einem Samstagmorgen die Zeit genommen haben.
    Hardt: Gerne doch, Frau Heuer!
    Heuer: Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.