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Familienpolitik der Grünen

Wagener: Die Bündnis-Grünen und die Familienpolitik, ein Begriffspaar, an das man sich noch gewöhnen muss. Unstrittig gehört dieses Politikfeld nicht gerade zu den Stärken des kleineren Koalitionspartners. Ökologie und Friedenspolitik sind traditionell die Domänen der Partei. Doch ein gutes Jahr vor den Bundestagswahlen deutet sich an, dass die Interessen der Familien ins Zentrum der Parteiprogrammatiken rücken. Da wollen die Grünen nicht außen vor bleiben, so scheint es, und in der Tat ist die Partei dabei, Eckpunkte für eine familienfreundliche Politik zu formulieren. Wie der Stand der parteiinternen Diskussionen aussieht soll uns nun Katrin Göring-Eckardt sagen. Sie ist parlamentarische Geschäftsführerin der bündnis-grünen Bundestagsfraktion und nun mit uns telefonisch verbunden. Guten Morgen! Frau Göring-Eckardt, entdecken die Grünen gerade die Familienpolitik? Von einer reinen Herzenssache kann man ja bei diesem Politikfeld nicht gerade sprechen.

    Göring-Eckardt: Erstens kann man von einer Herzenssache sprechen und zweitens ist für die Grünen eigentlich immer klar gewesen, dass sie gesagt haben, Nachhaltigkeit und Ökologie sind zwei Begriffe, die müssen über alle Politikfelder definiert werden. Der Spruch "wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" ist ein ganz alter grüner Wahl-Slogan. Wir entdecken das also nicht, aber es ist natürlich richtig, dass es mehr ins Zentrum des Interesses rückt, das was wir politisch machen, zu Gunsten von Kindern machen, zu Gunsten von nachfolgenden Generationen machen, dass wir das mehr ins Zentrum dessen rücken, was wir politisch sagen und auch wollen.

    Wagener: Auch ins Zentrum des Wahlkampfes 2002?

    Göring-Eckardt: Ich glaube es ist ganz automatisch so, dass im Wahlkampf 2002 - und das wird alle Parteien betreffen, aber vor allen Dingen wird es die Menschen im Land interessieren - die Familienpolitik ganz wichtig ist. Ich glaube wir haben als Grüne dort auch in der Tat eine gute Chance, mit einer radikalen Politik für Kinder und Familien deutlich zu machen, wohin die Reise gehen muss und nicht zu viele Rücksichten nehmen zu müssen auf anderes. Mit radikal meine ich, dass wir vor allen Dingen in der Lage sind, dies aus Sicht der Kinder zu machen und eben nicht nur aus Sicht der Älteren oder nicht nur aus Sicht des Rentensystems, das es zu erhalten gilt und so weiter.

    Wagener: Nun bemühen sich neuerdings ja nach einigen richtungsweisenden Karlsruher Urteilen unter anderem eigentlich alle Parteien um Kinder und Familie. Wie wollen Sie sich dort denn von den Programmen der anderen konkurrierenden Parteien absetzen?

    Göring-Eckardt: Zunächst einmal haben wir uns abgesetzt, indem wir uns schon sehr früh um die Frage gekümmert haben, was haben eigentlich Kinder für einen Stellenwert in der Gesellschaft. Ich erinnere mal daran, dass wir die einzige Partei waren, die schon vor den Wahlen gesagt hat, mindestens 300 Mark Kindergeld müssen in der nächsten Legislaturperiode drin sein. Da waren die anderen weit hinten nach. Das andere ist, dass wir als Grüne mit diesem etwas sperrigen Begriff "Nachhaltigkeit" schon immer deutlich gemacht haben, dazu gehört ein sehr breiter Ansatz. Bei Politik für Kinder geht es nicht einseitig um Kinderbetreuung und um Schule, sondern da geht es eben um Dinge von Verkehrspolitik angefangen, wie können Kinder sicher zur Schule kommen, über die Frage was Kinder zu essen bekommen, nicht nur über die Frage brauchen wir Ganztagseinrichtungen, nein, was haben die für eine Qualität, sind die auch so, dass Kinder sich dort wohl fühlen, bis hin zu Stadtplanung und so weiter. Also ein ganz breiter Ansatz, der die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Brille von Kindern anschaut und dann deutlich macht, wo die Gesellschaft hingehen muss, bis hin zu Generationengerechtigkeitsthemen, die sich dann sogar in der Haushaltspolitik wiederspiegeln, wo wir sagen, wir können nicht mehr auf Kosten der künftigen Generationen leben mit unseren Haushalten, auch nicht mit unserem Rentensystem und so weiter. Ich denke das unterscheidet uns in der Tat. Uns unterscheidet natürlich auch ein anderes Familienbild.

    Wagener: Man kann nicht sagen, dass die klassische Familie, so wie man das traditionell versteht, Vater, Mutter, Kind oder Kinder, dadurch stärker ins Zentrum der Familienpolitik bei den Grünen rückt?

    Göring-Eckardt: Nein das kann man nicht sagen, sondern es geht darum, dass alle Lebensformen mit Kindern gleich behandelt werden müssen und dass es um die Sicht der Kinder geht und nicht um die Sicht derer, die da zusammen leben. Wenn man beispielsweise über Finanzierung redet, dann wird das Ehegatten-Splitting in Zukunft keine vernünftige Form der Vergünstigung mehr sein, sondern auch dort muss es darum gehen, dass dort wo Kinder leben weitere Steuervergünstigungen notwendig sind und nicht dort, wo zufällig ein Trauschein aufgegeben worden ist.

    Wagener: Sie wollen das Splitting abschaffen?

    Göring-Eckardt: Wir wollen das Ehegatten-Splitting ersetzen und nicht abschaffen. Wir wollen dafür sorgen, dass dieses Splitting zu Gunsten von Familien mit Kindern stattfindet.

    Wagener: Verraten Sie uns denn auch einige konkrete Eckpunkte, wie das zukünftige bündnis-grüne Familienprogramm nun aussehen soll?

    Göring-Eckardt: Wir sitzen ja gerade in einer Kommission im Bundesvorstand, wo wir darüber beraten. Auch jüngere Amts- und Funktionsträger aus der Partei setzen sich zusammen, um solche Ideen zu entwickeln. Dort geht es angefangen von kostenlosen Kindereinrichtungen, die wir für notwendig halten, sprich Kindertagesstätten und Horte, die kostenlos sein müssen, über Schulen, die sich verändern müssen, die Ganztagsschulen werden müssen, aber die auch Orte werden müssen, die tatsächlich zum Verweilen einladen, wo auch Lehrer den ganzen Tag zur Verfügung stehen und Ansprechpartner für die Kinder sind. Dort geht es darum, durch verschiedene Angebote auch Chancengleichheit herzustellen für alle Kinder. Man sagt technisch immer Zugangsgerechtigkeit. Praktisch ist es ganz einfach. Das fängt damit an, dass wir Computer an den Schulen haben. Das geht aber weiter bis dahin, dass alle Kinder ein Musikinstrument erlernen sollten, weil das einfach soziale Kompetenz fördert. Das geht bis hin zur Stadtplanung. Also auch die Kommunalpolitik wird dann eine entscheidende Rolle spielen. Es geht bis hin zu Sicherheit im Verkehr, Tempo-30-Zonen, Schrittgeschwindigkeitszonen und so weiter. Also eine ganze Reihe von einzelnen Maßnahmen, die wir aufgreifen wollen und wo wir sagen, das sind eigentlich die Dinge, die für Kinder wichtig sind. Die Vermeidung von Armut gerade bei Kindern wird hier eine wichtige Rolle spielen.

    Wagener: Das höre ich als Vater gerne, das klingt gut, aber wer soll das bezahlen?

    Göring-Eckardt: Ich glaube zunächst einmal muss sich die Gesellschaft darüber verständigen, dass sie diese Priorität will. Dazu gehören immer zwei Sachen: das eine ist das Geld, aber das andere ist natürlich auch die Anerkennung dafür, dass Eltern Kinder erziehen und dass die nicht immer benachteiligt werden müssen in jeder Beziehung. Wenn wir beim Geld sind habe ich eine Frage genannt, nämlich die Frage des Ehegatten-Splittings. Ich glaube das ist ein ganz entscheidender Punkt, wo man auch über Umverteilung finanzieller Mittel deutlich machen kann, dass es hier Möglichkeiten zum Umsteuern gibt. Aber es geht natürlich auch um Prioritätensetzung in den Ländern, natürlich auch beim Bund, wo man bei verschiedenen Haushaltsmitteln überlegen muss, wofür setzen wir das Geld denn ein. Ein Beispiel: Wenn wir sagen, wir wollen Förderung für Ost-Deutschland stärken, in den ostdeutschen Ländern bestimmte Prioritäten setzen, dann kommen immer alle ganz schnell auf Infrastruktur. Dann denken alle immer an Straßenbau. Ich denke zunächst einmal an Infrastruktur für Kinder. Es gibt eine ganze Reihe von Finanzierungsmöglichkeiten, die wir uns mittel- und langfristig ansehen müssen.

    Wagener: Was Sie in den letzten Minuten über die noch offene und laufende Diskussion innerhalb Ihrer Partei referiert haben, ist das alles schon konsensfähig? Wenn ich an diese beiden traditionellen Lager in Ihrer Partei denke - dieses Lagerdenken ist ja etwas stärker ausgeprägt als in den anderen konkurrierenden Parteien -, gibt es da noch Brüche zwischen den alten Realos und alten Fundis?

    Göring-Eckardt: Ganz im Gegenteil! Wir haben hier eine Gruppe von jüngeren Abgeordneten, Staatssekretären und Leuten auch aus Ländern, die bewusst gesagt haben, das ist ein Thema, was wir flügelübergreifend angehen wollen. Da geht es nicht darum, dass man die sogenannten Fundis und die sogenannten Realos in zwei Lager aufspalten will, im Gegenteil. Die Gespräche, die dort gelaufen sind, sind von großer Einigkeit geprägt, hier und da auch von inhaltlichen Differenzen, aber eindeutig von dem Willen, dass man das Flügeldenken innerhalb der Partei überwindet. Nichts eignet sich dafür so gut wie das Thema Zukunft für Kinder. Ich denke, dass wir hier nicht Probleme damit haben werden, dass wir uns in den Flügeln auseinandersetzen. Ich denke das wichtigste ist, dass wir es schaffen, kreativ genug zu sein und in den einzelnen Bereichen auch wirklich Ideen zu haben, die zukunftsweisend sind.

    Wagener: Heute Abend tagt mal wieder der Koalitionsausschuss in Berlin. Allzu oft ist dieser Ausschuss ja noch nicht zusammengekommen. Geht es dabei vielleicht diesmal auch um Familienpolitik?

    Göring-Eckardt: Der Koalitionsausschuss hat eine ziemlich große Tagesordnung. Es wird natürlich auch um die aktuellen Fragen gehen, die die Familienpolitik angehen, also Thema Kindergeld, wie ist es beispielsweise mit den Sozialhilfeempfängern. Es wird um die Frage gehen, wie ist es mit einem Betreuungsfreibetrag. Aber es sind natürlich vor allem die aktuellen Sachen, die in dieser Legislaturperiode anstehen. Wir arbeiten ja im Moment an längerfristigen Konzepten, die in den Wahlkampf hineinwirken sollen, aber natürlich auch in das Grundsatzprogramm der Partei eingehen sollen.

    Wagener: Was lässt sich denn vor den kommenden Bundestagswahlen von dem, was Sie uns an familienpolitischen Verbesserungen referiert haben, noch umsetzen?

    Göring-Eckardt: Zunächst mal die Frage Kindergeld, wo ja inzwischen klar ist, das ist auch eine Priorität für rot/grün, dass das Kindergeld auf 300 Mark erhöht wird. Für die Grünen wird die Frage wichtig sein, was passiert mit den Sozialhilfeempfängern. Wir haben es ja beim letzten Mal geschafft, dass die Kindergelderhöhung auch an die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger weitergereicht wird. Wir haben immer noch nicht die Regelsätze für die Kinder von Sozialhilfeempfängern erhöht. Deswegen streben wir das auch diesmal wieder an, denn das ist nötig, weil gerade bei den Ärmsten muss es natürlich auch ankommen. Der Armutsbericht der Bundesregierung gibt uns für diese Forderung ja auch nochmals verstärkt Rückendeckung. Dann wird es darum gehen, dass ein Betreuungsfreibetrag eingeführt wird, der entsprechend den tatsächlichen Kosten der Kinderbetreuung auch steuerlich geltend gemacht werden kann. Das sind zwei Punkte, die glaube ich auch zentral wichtig sind. Man sagt, man will weitere Schritte bei der Gleichstellung von Eltern und Leuten gehen, die ohne Kinder leben.

    Wagener: Die Bündnis-Grünen diskutieren über eine neue Familienpolitik. - Das war Katrin Göring-Eckardt heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk, die parlamentarische Geschäftsführerin der bündnis-grünen Bundestagsfraktionen. - Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio