„Wir sind dann ja selbst in den VIP-Raum reingegangen, um auch selbst geschützt zu sein. Und wenn Du das dann aus nächster Nähe beobachtest, dann ist das einfach, ja, wirklich eine Fassungslosigkeit.“ Der Trainer des 1. FC Köln, Steffen Baumgart, schildert am Tag nach dem Spiel in der European Conference League bei OGC Nizza seine persönlichen Eindrücke.
Im Stadion hatten sich martialische Szenen zwischen einigen Akteuren des französischen und deutschen Fanlagers abgespielt. Ein Anhänger etwa ist bei den Ausschreitungen den Oberrang 5 Meter weiter auf die untere Tribüne gestürzt. Wie durch ein Wunder hat er sich nur ein paar Rippen gebrochen. Eine Woche später hat es solche Szenen ebenfalls beim Spiel der Frankfurter Eintracht bei Olympique Marseille gegeben. Unter anderem ist mit Leuchtraketen im Stadion aufeinander geschossen und damit auch ein Fan verletzt worden.
Glasner: "Chaoten so wenig wie möglich Bühne geben."
Solche Szenen haben auch Trainer Oliver Glasner fassungslos zurückgelassen: „Dass hier einfach ein paar diese Bühne nutzen, um Krawall zu machen, um auf sich aufmerksam zu machen. Aber natürlich gibt es da keine zweite Meinung, das hat nichts verloren. Ich denke, dass es auch wichtig ist, dass wir diesen Chaoten dann so wenig Bühne wie möglich geben.
Beide Clubs, sowohl der 1. FC Köln, als auch Eintracht Frankfurt, haben in Statements klargemacht, dass sie solche Auswüchse verurteilen und nicht tolerieren wollen. Für Christos Katzidis ist das ein Schlüssel, um Gewalt im Fußball einzudämmen. Der Polizeioberrat a.D. sitzt für die CDU im Landtag NRW und ist seit kurzem Präsident des Fußballverbandes Mittelrhein: „Alle Vereinsverantwortlichen, alle Spieler müssen sich auch ganz klar und unmißverständlich positionieren und ihren Teil mit dazu beitragen klarzumachen, dass die nichts im Fußball zu suchen haben. Ganz, ganz wichtig auch, ja!"
Zudem fordert Katzidis im Gespräch mit dem Deutschlandfunk entsprechende Strafen für die Täter. Sie gehören für ihn nicht ins Stadion. Auch kritisiert er die französischen Sicherheitsbehörden: „Nach meinem Kenntnisstand, was die Sachverhalte angeht, waren die Sicherheitsbehörden, um es mal freundlich zurückhaltend zu formulieren, nicht optimal vorbereit!“
Gabriel: "Glück, dass es keine Toten gegeben hat.“
Einerseits sind beim Spiel der Kölner auch friedliche Fans vor dem Stadion von französischen Anhänger angegriffen worden. Augenzeugen berichten dabei etwa von Messerattacken. Andererseits sind Kölner und auch Frankfurter auf andere Fans gezielt losgegangen. Was früher weit außerhalb der Arenen als so genannte Ackermatches stattgefunden hat, spielt sich gerade auch in den Stadien vor aller Augen ab.
Michael Gabriel von der Koordinationsstelle der Fanprojekte warnt in diesem Zusammenhang vor einer Aufrüstung in den deutschen Kurven. Bei ihm laufen die Fäden der sozialpädagogischen Einrichtungen zusammen, die hierzulande an über 70 Fußball-Standorten aktiv sind: „Das ist schon eine besorgniserregende Entwicklung, die wir verfolgen können. Eine Häufung von gewalttätigen Vorfällen, die in ihrer Dimension eher ungewöhnlich ist. Und dadurch auch sehr, sehr verstörend ist. Also wir haben zwei Spiele gehabt, und das muss man auch so ganz klar benennen, wo es Glück war, dass es keine Toten gegeben hat.“
Ein Blick in den deutschen Fußball zeigt, dass solche Gewalt hierzulande kaum stattfindet. Szenen wie beim Spiel Bremen gegen Augsburg, bei dem Werder-Ultras über den Zaun bis an die Werbebande stürmten, weil sie sich vom Gäste-Torwart provoziert fühlten, bleiben bisher die Ausnahme. Dennoch zeichnet sich mittlerweile bei internationalen Spielen ein anderes Bild in Ultra-Szenen, bei dem das Thema „Gewalt“ für immer mehr Anhänger positiv besetzt sei, so Michael Gabriel:
„Das hat innerhalb der Ultragruppen unseres Erachtens noch eine größere Bedeutung, eine größere Wertigkeit bekommen. Und daher ist es so, dass wir auch beobachten, dass bei bestimmten Spielen diese Gruppen innerhalb der Ultra-Szenen, die ja noch immer vielschichtig sind, und wo es unterschiedliche Interessen gibt, dass diese Gruppen bei bestimmten Spielen einfach dominieren und sozusagen den Ton setzen.“
Katzidis: "Etwas wie in Nizza in deutschen Stadien nicht möglich."
Hinzu kommt, dass es in Frankreichs Fußball regelmäßig zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, die die Sicherheitsbehörden nicht in den Griff bekommen. Als der französische Rekordmeister St. Etienne letzte Saison absteigt, kommt es nicht nur zum Platzsturm der enttäuschten Anhänger. Sondern auch zur Verfolgung der Spieler, zudem wird mit Leuchtraketen in den Spielertunnel geschossen.
Auch das Spiel zwischen Nizza und Marseille ist vergangene Saison abgebrochen worden, ausgerechnet die beiden letzten deutschen Gegner aus Frankreich in den internationalen Wettbewerben. „Ich glaube nicht, dass sich so etwas wie in Nizza in Deutschland in einem Stadion abspielen könnte, weil unsere Sicherheitsbehörden da anders aufgestellt sind“, betont Christos Katzidis, Präsident des Fußballverbands Mittelrhein und Polizeioberrat a.D.:
„Ich weiß ja auch nun, da ich ja auch selber Einsatzleiter gewesen bin bei verschiedenen Veranstaltungen, wie Großveranstaltungen vorbereitet werden. Da wird ja im Vorfeld eigentlich eine gründliche Beurteilung der Lage gemacht, dann werden Maßnahmen daraus abgeleitet, Schlussfolgerungen, und dann wird ein konkretes Konzept umgesetzt. Die deutschen Sicherheitsbehörden, also sprich die Polizei, ist da eigentlich sehr, sehr gut aufgestellt.“
Der deutsche Fußball scheint jedenfalls besser gegen solche Auswüchse gewappnet zu sein, als es in Frankreich der Fall ist. Hoffnung macht zudem, dass viele friedliche Kölner und Frankfurter Fans schon in den Stadien klargemacht haben, dass sie diese Gewalt im Fußball verurteilen.