Mittwoch, 24. April 2024

Deutschland gegen Italien
Fans kritisieren FIFA und Katar - Polizei-Kontrolle folgt

Eine Fangruppe zeigte beim Spiel der deutschen Mannschaft gegen Italien ein Banner, auf dem WM-Gastgeber Katar und die FIFA kritisiert wurden. Die Polizei stoppte die Fans außerhalb des Stadions, Folgen müssen die Anhänger aber wohl keine fürchten.

Von Chaled Nahar | 14.06.2022
    "15.000 Tote für große Kulissen - FIFA und Co. ohne Gewissen! Boycott Qatar" - Fans zeigten dieses Plakat beim Länderspiel Deutschland gegen Italien.
    "15.000 Tote für große Kulissen - FIFA und Co. ohne Gewissen! Boycott Qatar" - Fans zeigten dieses Plakat beim Länderspiel Deutschland gegen Italien. (IMAGO/Revierfoto)
    Bevor Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft in der Nations League einen selten deutlichen 5:2-Sieg über Italien in einem Spiel der Nations League feierte, erinnerten einige Fans den DFB sowie die Menschen im Stadion in Mönchengladbach und an den Bildschirmen daran, auf welches Turnier der Weltfußball zusteuert. "15.000 Tote für große Kulissen - FIFA und Co. ohne Gewissen! Boycott Qatar" stand auf einem Banner mit Bezug auf die WM 2022 in Katar. Mehrere Fans entrollten es unmittelbar nach Anpfiff auf Höhe der Mittellinie.
    Menschenrechtsorganisationen und Medien kritisieren seit der Vergabe des Turniers 2010 immer wieder die Ausbeutung von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern. In der 4. Spielminute war das Plakat schon nicht mehr zu sehen. Damit war das Thema für die Fans jedoch nicht beendet.

    Polizei setzt Fans außerhalb des Stadions fest

    Die Fanhilfe Mönchengladbach machte während des Spiels bei Twitter darauf aufmerksam, dass sich die Fans, die das Plakat hochgehalten hatten, mittlerweile in einer Maßnahme der Polizei befänden. Die Fanhilfe unterstützt Fans, wenn es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt.
    "Die Fans haben das Stadion unmittelbar nach dem Zeigen des Banners geschlossen verlassen", sagte Simon Bender von der Fanhilfe im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Außerhalb des Stadions seien die aus der Mönchengladbacher Szene stammenden Fans auf dem Weg in den Stadtteil Hehn von der Polizei festgesetzt worden. "Die Frage für uns lautete, was ihnen vorgeworfen wird", sagte Bender.

    DFB hatte die Polizei eingeschaltet

    Die Polizei Mönchengladbach bestätigte gegenüber dem Deutschlandfunk, dass die Personalien der Fans festgestellt wurden. "Der DFB ist auf die Polizei zugegangen", sagte Polizei-Sprecher Wolfgang Röthgens. Das schnelle Verlassen des Stadions habe beim DFB zu der Annahme geführt, dass sich Fans möglicherweise ohne Eintrittskarten oder mit Tickets für den falschen Block Zugang verschafft hätten. Die Polizei habe daher "zum Schutz privater Rechte" des DFB gehandelt. Eine Straftat habe nicht vorgelegen, betonte Röthgens.
    Der DFB erklärte am Mittwoch in einer Stellungnahme, dass er "aus Sorge um die Sicherheit der Veranstaltung" die Polizei informiert habe. Man begrüße grundsätzlich den Beitrag der deutschen Fankultur zu einem kritischen Diskurs um die WM in Katar. Die Fans konnten der Polizei zufolge nach Feststellung der Personalien weitergehen und müssen keine Sanktionen befürchten. Der Inhalt des Banners falle in den Bereich der freien Meinungsäußerung. Der DFB bestätigte am Dienstagabend gegenüber dem Deutschlandfunk, dass er keine weiteren Schritte gegen die Fans einleiten werde. Die Fanhilfe äußerte allerdings die Befürchtung, dass den Fans ein Eintrag in die "Datei Gewalttäter Sport" drohen könnte.

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    Den Verdacht, falsche oder keine Karten genutzt zu haben, konnten die Fans jedenfalls ausräumen. "70 Euro hat jede einzelne Karte gekostet", sagte Bender von der Fanhilfe. Für die Fans, die nur wenige Minuten im Stadion verbrachten, war es also eine teure Botschaft zur WM in Katar, doch sie kam an den Bildschirmen an. "Eine deutliche, eine wahre Botschaft. Und gut, dass sie hier ihren Platz hat", sagte ZDF-Kommentator Oliver Schmidt im laufenden Spiel.

    15.000 Tote? Was die Zahlen bedeuten

    Auf dem Plakat war die Zahl 15.000 zu sehen. Immer wieder gibt es im Kampf um die Deutungshoheit über die WM in Katar Diskussionen um die Zahlen der verstorbenen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter.
    15.000: Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International belegen Statistiken der katarischen Behörden, dass zwischen 2010 und 2019 mehr als 15.000 Personen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben sind. "Wie viele davon Arbeitsmigrant*innen waren, die aufgrund der Arbeitsbedingungen starben, lässt sich aus diesen Daten nicht schließen", teilt Amnesty mit. Der Vorwurf: Die Todesursachen seien sehr oft nicht richtig untersucht worden. Die Zahl bezieht sich nicht alleine auf WM-Baustellen.
    6.500: Diese Zahl nannte die britische Zeitung "Guardian". Die Recherche bezog sich dabei auf die Gesamtanzahl der verstorbenen Gastarbeiter seit WM-Vergabe nach Katar aus fünf Ländern (Indien, Nepal, Pakistan, Bangladesch und Sri Lanka). Auch diese Zahl bezog sich nie alleine auf WM-Baustellen.
    3: Die FIFA und Katar bezeichnen die hohen Zahlen als falsch und/oder irreführend. Das Organisationskomitee der WM bezieht sich bei seiner Zählung konkret nur auf den Bau der WM-Stadien. Dabei unterscheidet das Komitee den Tod von Menschen in "während der Arbeit" und "nicht während der Arbeit". Nach dieser Zählung sollen insgesamt 37 WM-Arbeiter beim Stadionbau in den vergangenen Jahren gestorben sein, davon 34 "nicht während der Arbeit".

    DFB und Norwegens Verband im Gespräch über Hilfsfonds für Opfer und ihre Familien

    Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Fan-Gruppierungen riefen die FIFA im Mai dazu auf, Entschädigungen für die Opfer und ihre Familien zu zahlen. "Die Organisationen fordern die FIFA auf, als Entschädigungssumme für die zahlreichen Menschenrechtsverstöße, die seit 2010 begangen wurden, mindestens 440 Millionen US-Dollar bereitzustellen - das entspricht der Summe der Preisgelder dieser WM", hieß es in einer Mitteilung.

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    Die norwegische Verbandspräsidentin Lise Klaveness hatte im April in einem Interview mit der Sportschau über eine Zusammenarbeit mit dem DFB bei der Einrichtung eines Hilfsfonds gesprochen. Klaveness sagte, sie habe sich mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf über eine konkrete Zusammenarbeit verständigt.
    Die FIFA beruft sich immer wieder auf Verbesserungen in der rechtlichen Stellung der Arbeitenden. FIFA-Präsident Gianni Infantino nannte in diesem Zusammenhang die Einführung eines Mindestlohns und der Möglichkeit, den Arbeitgeber zu wechseln. Menschenrechtsorganisationen bestätigten zwar Fortschritte, kritisierten aber zugleich eine mangelhafte Durchsetzung dieser Reformen, wodurch die Arbeitenden häufig nicht zu ihren Rechten kämen.