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Fußball-WM 2022 in Katar
Wie Deutschland in Zukunft mit Katar umgehen wird

Deutschland bildet eine neue Energie-Partnerschaft mit dem umstrittenen WM-Gastgeber Katar. Die Kritik am Emirat dürfte dadurch noch moderater werden. Von Boykott ist auf einmal keine Rede mehr, denn die Abhängigkeiten auf Seiten Deutschlands sind auf einmal enorm.

Von Marina Schweizer | 26.03.2022
Skyline von Doha, der Hauptstadt von Katar
Skyline von Doha, der Hauptstadt von Katar (picture alliance / dpa / Foto: Axel Heimken)
An ihrer Kritik an Katar waren sich Armin Laschet und Annelena Baerbock im vergangenen Sommer einig. Im Bundestagswahlkampf sprachen sich beide Spitzenkandidaten gegen eine Fußball-WM in Katar aus. Baerbocks Botschaft an das Emirat: "Wenn ihr weiter die Taliban auf diese massive Art und Weise unterstützt, zu massiven Menschenrechtsverletzungen beitragt, dann können wir nicht bei euch demnächst Fußball spielen."

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Doch nicht nur an der Taliban-Unterstützung entzündete sich die Kritik. Besonders die Arbeitsrechte und die Zahl der gestorbenen Gastarbeiter standen im Fokus. Und: Katar ist ein Land, in dem Homosexualität mit dem Tod bestraft werden kann.

Bild von Katar durch Energie-Partnerschaft aufpoliert?

Ein Emirat, das auch mit Hilfe von Sport-Großereignissen versucht, ein anderes, glanzvolleres Bild von sich in die Welt zu senden. Wird dieses Bild jetzt auch durch eine Energie-Partnerschaft mit Deutschland weiter aufpoliert?
Das Al-Wakrah-Stadion im Gastgeberland der Fußball-WM 2022, Katar.
Das Al-Wakrah-Stadion im Gastgeberland der Fußball-WM 2022, Katar.
"Es wird sehr viel PR im Hintergrund betrieben"
ARD-Reporter Marcus Bark sagt über sich selbst, dass er auf Zeit spiele und noch keine endgültige Meinung zur Fußball-WM in Katar habe. Er würde tendenziell vor Ort berichten und sich ein Bild machen, sieht aber keine Verbesserungen in problematischen Ländern, die Gastgeber solcher Events sind.
"Bei aller Dringlichkeit, die es jetzt gibt, neue Energielieferanten zu finden, sagen wir von Amnesty ganz klar an dieser Stelle dürfen keine Kompromisse zu Lasten der Menschenrechte gemacht werden." Ellen Wesemüller, Sprecherin von Amnesty International verweist gegenüber dem Deutschlandfunk auch auf die unternehmerische Sorgfaltspflicht: "Denn die besagt, dass hier an jeder Kette an jedem Glied, an jedem Punkt geschaut werden muss, ob Menschenrechte verletzt werden oder nicht. Und das gilt auch für Energiepartnerschaften mit Katar oder anderen Ländern der Region."

Arbeitsrechte: "Praxis weiter hinter den Erwartungen"

Wesemüller nennt den Koalitionsvertrag, in dem Menschenrechte als Grundlage der Außen- und Wirtschaftspolitik verankert sind. Zwar erkennen auch Menschenrechtsorganisationen gewisse Fortschritte bei den Arbeitsrechten in Katar inzwischen an. "Amnesty sieht jedoch, dass das in der Praxis weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, dass Schritte wie die Einführung eines Mindestlohns oder auch die Abschaffung der Ausreisegenehmigung oft nur auf dem Papier stehen und in der Praxis eben nicht umgesetzt werden."
Und jetzt – erübrigt sich die Kritik aus der deutschen Politik im Lichte der neuen Partnerschaft? Die Fußball-WM in Katar: Plötzlich die Welt zu Gast bei Freunden?
Das olympische Logo der Winterspiele 2022 und die olympischen Ringe. Die olympischen Winterspiele in Peking finden vom 04. – 20.02.2022 unter strengen Corona-Auflagen statt.
Das olympische Logo der Winterspiele 2022 und die olympischen Ringe. Die olympischen Winterspiele in Peking finden vom 04. – 20.02.2022 unter strengen Corona-Auflagen statt.
Der Sündenfall als Wendepunkt?
2022 – ein Sportjahr, das mit Winterspielen in Peking beginnt und mit einer Fußball-WM in Katar endet. Es wird ein Jahr, in dem nicht nur der Sport im Fokus steht – denn die Gastgeber und Organisatoren müssen sich heftiger Kritik stellen, mit Blick auf die Menschenrechte. Was tun FIFA und das IOC?
Für die langjährige Sportpolitikerin und Grünen-Europaabgeordnete Viola von Cramon, lässt sich das beides nicht miteinander vergleichen: „Katar als WM-Ausrichter-Staat und Katar als Energielieferant sind für mich zwei verschiedene Paar Schuhe. Wir haben das Privileg, dass die FIFA jede Menge Ausrichterländer finden könnte. Es ist überhaupt gar kein Problem, auf jedem Kontinent irgendeinen Staat zu finden, der eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten könnte. Bei der Lieferung von Gas, insbesondere im Moment, wo wir uns in einem harten Krieg befinden, wo Russland einen Angriffs-, einen Vernichtungskrieg gegen den unschuldigen Nachbarn Ukraine führt, sind wir in einer anderen Situation.“

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Raus aus der Abhängigkeit zu Russland. So wie von Cramon hat es auch ihr Parteifreund, Wirtschaftsminister Robert Habeck auf seiner Reise nach Katar formuliert. Es gehe um Diversifizierung, also den Kreis der Geschäftspartner zu erweitern.

Cramon nimmt Habeck in Schutz

Wenig verwunderlich, dass sie Habeck jetzt auch in Schutz nimmt: "Wer die Reise von Robert Habeck verfolgt hat, hat ja auch gesehen, dass das kein einfacher Schritt war und dass es überhaupt nicht in seinem Interesse ist, die Situation in Katar schönzureden. Keineswegs. Er hat sich mit Menschenrechtsverteidigern getroffen. Er hat sich mit verschiedenen Kritikern des Regimes getroffen, mit Vertretern der ILO, also der internationalen Arbeits-Vertretung. Und das heißt er hat genau das gemacht, was man sich von einem Gianni Infantino gewünscht hätte. Was man sich von der FIFA, von der UEFA jahrelang gewünscht hätte."
Dennoch: Auch nach Habecks Reise wurde von den katarischen Verantwortlichen jedwedes öffentliche Statement umgangen. Ist wirklich zu erwarten, dass aus der Bundespolitik in den kommenden Monaten weiter harte Kritik am WM-Gastgeber kommt?

"Kritik nicht mehr glaubwürdig"

"Die Kritik, auch die Boykottforderungen, die teilweise auch aus der Politik kamen, in den letzten Monaten und Jahren, die sind so dann nicht mehr glaubwürdig", glaubt Sebastian Sons. Der Experte für die Golfstaaten beim Bonner Carpo-Institut erwartet, dass sich die Argumentation in der Politik anpassen werde und die Menschenrechtslage trotzdem zur Sprache kommt.
Wolkenkratzer in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar
Wolkenkratzer in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar
Wettbewerb um Milliarden
Katar steht wegen Menschenrechtsverletzungen vielerorts in der Kritik. Weniger im Fokus: westliche Konzerne, die rund um die Fußball-WM im Wüstenstaat von Milliardenaufträgen profitieren. Auch die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Emirat und Deutschland sind besser, als es die Kontroversen im Fußball vermuten lassen. 
Nur, so seine Hoffnung: Jetzt versuche man möglicherweise, differenzierter auf die Geschehnisse in Katar zu schauen - nicht nur in der Politik, sondern auch in der Öffentlichkeit und ohne Polemik: "Es soll nicht darum gehen, schönzufärben. Das ist, glaube ich, das falsche. Aber es kann dahin führen, dass man über Energiepartnerschaft und auch über die das Bewusstsein, dass man sich neuen Partnern öffnen muss, ob man will oder nicht, dass man dann auch eine offenere, kritischere und ehrlichere Diskussion mit und über Katar führen kann. Und da bietet die WM eine gute Möglichkeit."

Cramon hält politischen Boykott für denkbar

Ob diese Diskussion dann aber bei der WM von deutschen Regierungsvertretern geführt wird, ist fraglich. Denn die grüne Europaabgeordnete Viola von Cramon hält einen politischen Boykott weiter für denkbar: "Da kann man natürlich nun sagen, nach der Reise des Wirtschafts- und Klimaschutzmanagers Robert Habeck kann man das anders einschätzen. Ich würde aber nach wie vor sagen, es wäre gut, politischen Boykott aufrechtzuerhalten. Wie gesagt an der Situation vor Ort hat sich ja wenig geändert."
Golfstaaten-Experte Sebastian Sons vom Carpo-Institut dagegen glaubt nicht, dass man angesichts der neuen Entwicklung so weit gehen kann in der Bundesregierung: "Ich weiß nicht, ob Olaf Scholz dann in Katar sein wird oder ob es Annalena Baerbock oder Robert Habeck sein wird. Das wird man sehen. Aber einen kompletten politischen Boykott der WM in Katar halte ich unter den jetzigen Voraussetzungen für sehr unglaubwürdig und würde auch dem Ziel Deutschlands, die Energiepartnerschaft zu diversifizieren, natürlich entgegenstehen."
Die Fußball-WM in Katar könnte jetzt für die Bundesregierung zum Balanceakt mit dem neuen Energiepartner werden.