Freitag, 29. März 2024

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Farage zum Brexit
"Halb drin, halb draußen bringt niemandem etwas"

Der Vorsitzende der britischen Brexit-Partei, Nigel Farage, zweifelt an einem EU-Austritt zum 31. Oktober. Die konservative Partei sei unfähig, den Brexit zu liefern, sagte er im Dlf. Er befürchte, Premier Boris Johnson werde wieder auf den von May ausgehandelten Brexit-Vertrag zurückgreifen.

Nigel Farage im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.09.2019
Nigel Farage von der Brexit-Partei im August 2019
"Ich will zollfreie Beziehungen zur EU", betonte Farage im Dlf. (picture alliance / Photoshot / Justin Ng)
Hören Sie hier das Interview mit Nigel Farage im Englischen Original
Friedbert Meurer: Nigel Farage, es sind noch sechs Wochen. Glauben Sie, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union am 31. Oktober verlassen wird?
Nigel Farage: Ich hoffe, dass wir es tun und der Premierminister hat es versprochen. Aber ich habe eher den Verdacht, dass wir es nicht tun. Das ist eine außerordentliche Situation. Wir hatten die Volksabstimmung. Alle versprachen, dass sie das Ergebnis umsetzen werden. Nur das Parlament ist wild entschlossen, das zu verhindern. So wie die Mehrheitsverhältnisse sind, ist es schwer zu sehen, wie das mit dem 31. Oktober möglich sein soll.
Meurer: Aber wenn Sie ehrlich sind: Wenn es doch so kommt, dann wäre das schlecht für Sie. Boris Johnson würde sein Versprechen halten, und das wäre schlecht für die Aussichten der Brexit-Partei bei vorgezogenen Neuwahlen?
Farage: Ich glaube, Sie verstehen mich nicht. Und ich glaube, niemand von den Medien versteht mich. Ich bin Geschäftsmann. Ich bin in die Politik gegangen, nicht weil ich Karriere machen oder einen hohen Posten wollte. Ich bin in die Politik gegangen, um Dinge zu verändern.
Ich denke, dass in demokratischer Hinsicht die Mitgliedschaft in der EU ein Desaster war. In ökonomischer Hinsicht stünden wir viel besser da, wenn wir uns weltweit orientieren, während wir freundschaftliche Beziehungen zu Deutschland und dem Rest Europas pflegen. Mir geht es um das Ergebnis.
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Meurer: Und das Ergebnis für Ihre Partei wäre besser, wenn Boris Johnson sein Versprechen nicht halten kann.
Farage: Das Ergebnis wäre besser, wenn es zum Brexit kommt. Dann wäre ich glücklich und zufrieden, und ich hätte meine Arbeit erledigt. Ich glaube, die konservative Partei ist unfähig, den Brexit zu liefern. Frau May hat uns 108 mal gesagt, wir würden am 29. März die EU verlassen. Wir haben es nicht getan. Boris sagt, wir gehen am 31. Oktober, auf Leben und Tod. Er stirbt lieber im Graben und all dieses Getue im Stil Shakespeares. Wenn er es schafft, ist das wunderbar. Aber ich sehe das nicht.
"Die Lage ist ernst"
Meurer: Der Supreme Court in London, das höchste Gericht, entscheidet jetzt, ob die Aussetzung des Parlaments gegen das Gesetz verstößt. Was wären die Folgen, wenn das Gericht entscheidet, es war ungesetzlich und die Abgeordneten müssen zurückgeholt werden?
Farage: Ich muss sagen, eine Queen's Speech einzuberufen und eine Regierungserklärung abzugeben, ist eine völlig normale Sache. Aber wir leben in sehr ungewöhnlichen Zeiten. Wenn der Supreme Court gegen die Regierung (*) entscheidet, dass der Premierminister die Queen angelogen hat, dann würde das Parlament zurückkommen und er hätte fast gar keine andere Wahl, als dem Parlament seinen Rücktritt anzubieten. Also, die Lage ist sehr ernst.
Debatte im britischen Unterhaus in London
Das große Brexit-Theater
"Order"-Rufe und skurrile Traditionen: Die Brexit-Debatten im britischen Unterhaus werden mit exzentrischer Leidenschaft geführt. Der Journalist Quentin Peel sagte im Dlf, er vermisse bei den Briten die Fähigkeit zum Kompromiss.
Meurer: Würden Sie der Forderung zustimmen, dass er zurücktreten soll, wenn er die Queen tatsächlich angelogen hat?
Farage: Sehen Sie, dass die ganze Sache vor dem Supreme Court überhaupt gelandet ist, ist lächerlich. Aber so ist es jetzt. Wenn der Supreme Court so entscheidet, und ich bete dafür, dass er es nicht tut, dann kann ich es nicht ändern. Niemand könnte dann die Autorität des Gerichts in Zweifel ziehen.
"Angstmacherei des Establishments"
Meurer: Sie sind dafür, die EU ohne Vertrag zu verlassen. Sie kennen aber auch die zunächst geheimen Regierungspapiere "Operation Goldammer", die davor warnen, dass bestimmte Medikamente knapp werden können?
Farage: Wenn das stimmt. Wir exportieren mehr Medikamente zu Ihnen als Sie zu uns. Wenn "Operation Goldammer" Recht hat, dann haben eine Menge Europäer mehr Probleme als wir. Nichts davon geschieht. Nehmen Sie den Handel: Wir handeln in großem Umfang mit China, jeden Tag. Riesige Containerschiffe kommen hier nach Southampton ohne Verzögerungen. Das ist wieder die Angstmacherei des Establishments. Es basiert nicht auf Tatsachen.
Meurer: Unterschätzen Sie die Folgen von No Deal? Für die Autoindustrie wäre das ein Alptraum.
Farage: Die japanische Autoindustrie lebt doch seit Jahren schon mit Zöllen von zehn Prozent, aber japanische Autos sind auf deutschen Straßen unterwegs. Zölle sind ein Faktor unter vielen, ob ein Verbraucher ein bestimmtes Produkt kauft. Ich will zollfreie Beziehungen zur EU. Ich glaube, nur mit einem sauberen Brexit können wir eine Diskussion unter Erwachsenen über einen Handelsvertrag führen.
"Nicht länger Teil eines protektionistischen Binnenmarkts oder einer Zollunion"
Meurer: Was ist ein sauberer Brexit?
Farage: Ein sauberer Brexit heißt: Wir unterstehen nicht einem fremden Gericht. Wir sind nicht Teil eines protektionistischen Binnenmarkts oder einer Zollunion. Es war beim Referendum völlig klar, auch den Remainern: Wenn Sie für den Austritt aus der EU stimmen, dann entscheiden Sie sich dafür, den Binnenmarkt und die Zollunion zu verlassen.
Meurer: Viele in Brüssel, Deutschland und Berlin glauben, dass Sie in einer Traumwelt leben? Sie wollen glauben, dass ein sauberer Brexit wirklich gut für Großbritannien sein soll?
Farage: Sie können glauben, was sie wollen, es kümmert mich nicht. Ich glaube an Demokratie, Freiheit und daran, dass die EU-Kommission eine nicht-gewählte Monstrosität ist, die die Demokratie in den Nationalstaaten in Europa zerstört. Vom Instinkt her bin ich sehr proeuropäisch. Ich habe viele Geschäfte in Deutschland gemacht, habe eine Deutsche geheiratet, arbeitete für französische Unternehmen. Ich liebe Europa.
Meurer: Aber viele sagen, Sie zerstören Europa! Sie zerstören das europäische Projekt!
Farage: Die Europäische Union ist nicht Europa. Diese Gebäude aus Glas und Stahl und die Leute, die behaupten: "Wir sind Europa. Das ist unsere Flagge, das unsere Hymne." Sie haben nie jemanden gefragt, ob sie das wollen. Ich glaube, ein Europa der demokratischen Staaten wäre ein besseres und konstruktiveres Europa , als das, das von den alten und nicht gewählten Männern in Brüssel regiert wird. Ich glaube das ganz entschieden.
Farage und Meurer stehen lächelnd im Freien nebeneinander und blicken in die Kamera, Meurer hält ein Mikrofon. Hinter ihnen ein Bretterzaun, dahinter eine Wiese, auf der zwei Männer und zwei Kameras auf Stativen stehen. 
Der Vorsitzende der britischen Brexit-Partei, Nigel Farage (l.), am 22.9.2019 im Gespräch mit Dlf-Korrespondent Friedbert Meurer.  (Friedbert Meurer / DLF)
"Halb drin, halb draußen bringt niemanden etwas"
Meurer: Premierminister Boris Johnson scheint zu tun, was er kann, sein Versprechen umzusetzen, die EU am 31. Oktober zu verlassen. Er hat das Parlament suspendiert, er verspricht, notfalls ohne Vertrag die EU zu verlassen. Was soll er denn noch mehr tun?
Farage: Wenn er dabei bleibt, was immer geschieht, selbst wenn er eine Vertrauensabstimmung im Parlament verliert, dann gibt es Neuwahlen und Boris und ich können aushandeln, wie wir kooperieren. Aber ich fürchte, dass er wieder auf den von May ausgehandelten Brexit-Vertrag zurückgreift. Das ist ein weiterer EU-Vertrag, der uns eine Falle stellt. Wir müssen uns an EU-Regeln halten und Beiträge auf Jahre hinaus bezahlen. Entweder Sie verlassen die EU oder nicht. Halb drin, halb draußen bringt niemanden etwas.
Boris Johnson (l.) und Theresa May 
Er fürchte, dass Johnson am Ende doch auf den von May ausgehandelten Austrittsvertrag zurückgreife, sagte Farage im Dlf. (imago images / i Images)
Meurer: Wäre es die beste Lösung, es gäbe ein zweites Referendum? Jetzt wissen die Menschen, worum es geht und kennen die Folgen und Details. Wäre das am besten?
Farage: Da ist etwas dran. Wir wussten nicht, dass es eine Europäische Armee geben soll. Wir haben nicht gewusst, bis Guy Verhofstadt es letzte Woche sagte, dass die EU ein Imperium werden soll. Wir haben viel die letzten drei Jahre über die EU gelernt. Aber der Punkt ist doch: Das Referendum war die größte demokratische Abstimmung in der Geschichte des Vereinigten Königreichs. Niemand kann behaupten, ihm waren die Warnungen nicht klar. Diese Volksentscheidung nicht umzusetzen, nachdem alle wichtigen Politiker genau das versprochen hatten, würde langandauernde Konsequenzen haben für das Vertrauen zwischen Regierung und Wählern. Ein zweites Referendum in einigen Jahren ginge in Ordnung, wenn die Menschen beurteilen können, ob der Brexit richtig war. Aber es anzusetzen, bevor der Brexit umgesetzt wird, wäre ungeheuerlich.
Meurer: Aber vor drei Jahren hat niemand von No Deal geredet!
Farage: Doch, das war so.
Meurer: Sie haben so getan, als würde es einen glatten Übergang geben.
Farage: Ich habe in den letzten zwei Wochen des Wahlkampfs den Ausdruck geprägt "Kein Vertrag ist besser als ein schlechter Vertrag". Er war so gut, dass Frau May ihn übernommen hat. Ich sagte, es sollte eigentlich einfach sein. Das seltsame ist: Donald Tusk hat uns einen Freihandelsvertrag angeboten, aber Frau May wollte ihn nicht.
"Würden zweites Referendum mit viel größerem Vorsprung gewinnen"
Meurer: Würden Sie Ihre Anhänger dazu aufrufen, nicht bei einem zweiten Referendum mitzumachen. Würden Sie es boykottieren?
Farage: Nur, wenn die Fragestellung falsch wäre. Wenn geradeaus gefragt würde, gehen wir oder bleiben wir, das würden wir wieder gewinnen und zwar deutlich, mit viel größerem Vorsprung. Aber wenn Herr Corbyn ein Referendum darüber anbietet, ob wir in der EU bleiben oder in Zollunion und Binnenmarkt, das wäre keine Wahl. Wissen Sie, was ich dann mache? Dann gehe ich in den Pub und wähle nicht. Es müsste schon eine faire Frage sein. Ich verspreche Ihnen und den Deutschen eines: Wir mögen vielleicht recht gutmütige Leute hier im Vereinigten Königreich sein. Wenn Sie uns aber zu hart behandeln, dann werden Sie sich über das Ergebnis des Referendums wundern.
(*) Anmerkung der Redaktion: In einer ursprünglichen Version wurde hier eine falsche Übersetzung verwendet. Wir haben die Schriftversion korrigiert.