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Fattoria La Vialla in der Toskana
Leben im Einklang mit der Natur

Die Fattoria La Vialla bei Arezzo entstand auf den Ruinen verfallener Bauernhöfe und ist heute das größte Unternehmen biodynamischer Landwirtschaft in Europa. Der Landgasthof ist zugleich das Einfallstor in eine Toskana abseits der Touristenrouten.

Von Dieter Bub | 13.01.2019
    Blick auf ein Gebäude der Fattoria la Vialla, einer bekannten Farm in der Toskana. | Verwendung weltweit
    Toskanische Bio-Idylle: Fattoria la Vialla (dpa-Zentralbild)
    Unmittelbar hinter Castiglion Fibocchi beginnt das Gebiet der Fattoria La Vialla. Wir erreichen unser Domizil, eines der 23 ehemaligen alten Bauernhäuser mit einem kleinen Panda mit Methangas-Antrieb. Die Fahrt auf einem schmalen Pfad über Stock und Stein, mit tiefen Löchern und Gesteinsbrocken.
    Erster Gang, Vorsicht. Wenige Meter nach einer Kehrtwende entdecken wir "unser Haus" - das La Scampata in einer Höhe von 390 Metern, 250 Meter vom Marktplatz entfernt. Die einst verlassenen Höfe liegen zwischen dem Tal und reihen sich bis auf nahezu 800 Meter nach oben.
    Das La Scampata besteht aus zwei Teilen. Im Prospekt wird es als typisch in seiner Schlichtheit für die bäuerliche Architektur genannt. Bis in die Sechzigerjahre, zum Ende der Mezzedria, der Lohnherrschaft, ohne Fenster und ohne Heizung, bietet sich uns heute ein schönes geschmackvolles Ambiente mit erlesener, sorgfältig ausgewählter Ausstattung mit zwei Schlaf- und zwei Badezimmern. Im Wohn- und Essraum mit großer Küche ein ausladender Kamin, den wir schon am ersten Abend bei kühlen Temperaturen anheizen. Als Ablenkung fehlen Fernsehen und Radio. Eine Woche lang.
    "Herzliche Glückwünsche..."
    Gabrielle begrüßt eine große deutsche Familie aus Berlin und München, die hier mit einem großen Menü mehrere Geburtstage feiert. Die studierte Philosophin, als Angestellte in einem Büro, unglücklich, hat ihre Bestimmung gefunden - Köchin, Bäckerin und fröhliche Entertainerin.
    Natur, Ruhe, Essen aus biodynamischer Herstellung
    Hier gibt es mit Ausnahme vom Sonntag immer ein Festessen und stets einen Grund zum Feiern. Auf der Speisekarte und im Angebot des Hofladens an der kleinen Piazza gibt es die eigenen Produkte aus biodynamischer Herstellung vom Brot, Käse, Wurst, Lamm, Hühner, Eier, Pesto, Olivenöl, Wein, Kuchen und Cantucci. Die Gäste genießen oft seit vielen Jahren den ungewöhnlichen Aufenthalt.
    "Natur. Ursprünglichkeit, keine Überfrachtung mit irgendwelchen Medien. Ruhe. Vogelgezwitscher. Bachgeräusche. Einfach nur schön."
    "Das ist die Natur, die es hier gibt. Wir haben schon zweimal Wildschweine gesehen. Und wir wandern hier sehr viel. Das Essen hier ist fantastisch."
    Vor vierzig Jahren hat abseits der Toskana-Touristenrouten die einzigartige Geschichte vom Aufstieg der Familie Lo Franco begonnen. Aus kleinen Anfängen entwickelte sich ein bedeutendes Unternehmen biodynamischer Landwirtschaft, mittlerweile in der dritten Generation, geführt von den drei Brüdern Antonio, Gianni und Bandino. Ein Weg, der so nicht geplant war. Ursprünglich führten die Eltern ein Textilunternehmen. Als wir uns mit den drei Brüdern treffen, erzählen sie ihre Geschichte und ihre Philosophie.
    "Der Traum von unseren Eltern war das Land wieder lebendig zu sehen. Sie hatten das Land kennengelernt, als wir Kinder waren. Nach 20 Jahren war das Land verlassen, die Leute waren in die Stadt gezogen. Unsere Eltern haben ein Landhaus gefunden, das hat ihnen sehr gut gefallen. Es war ruiniert. Also haben sie das Landhaus gekauft. Und als Kinder haben wir so das Leben auf dem Lande mitgemacht."
    Wein, Olivenöl, Fleisch - "eco-sostenibile"
    Cadellora war das erste Landhaus der Familie und ist bis heute der Stammsitz. Die Kinder von damals sind jetzt um die 40 und leiten das alternative Unternehmen in der zweiten Generation. Fröhlich sympathische Männer mit jungenhafter Ausstrahlung.
    "Die Grundidee war einfach im Einklang mit der Natur zu leben. Landwirtschaft zu betreiben, die Felder zu bewirtschaften, Erzeugnisse herzustellen. Der Grundgedanke war immer, dass alles im Einklang mit der Natur ist, eco-sostenibile, also nachhaltig."
    Dieser Grundgedanke des natürlichen Kreislaufs basiert auf der Philosophie Rudolf Steiners aus den zwanziger Jahren. Er rief dazu auf, sich der chemischen Düngemittel zu widersetzen. Sie waren zunächst im ersten Weltkrieg und danach auf den Feldern eingesetzt worden - mit Glyphosat bis heute. Mit der Biodynamik entstanden entwickelte sich eine Gegenbewegung, die immer neue Anhänger in ganz Europa findet.
    Morgens kurz nach fünf werden in der großen Backstube die Holzöfen angeheizt. Das Getreide wird von zwei Mahlsteinen aus dem Kloster Laverna gemahlen und anschließend zu Brot, Kuchen und Gebäck verarbeitet. Es ist das Reich Dimitris aus Albanien. In der Zentrale sind in allen unterschiedlichen Bereichen engagierte Spezialisten beschäftigt, ob für Wein, Oliven, für Schafe, Getreide oder zum Beispiel Käse.
    Auch Valentina, die studierte Lebensmittelchemikerin, kommt aus Albanien. Sie produziert mit ihrem Team Schafskäse. Wir haben Einblick in zwei große Rührbottiche. Valentina erklärt die einzelnen Schritte von der Schafsmlich bis zum Käse. Er steht auf der Einkaufsliste der Kunden neben Wein und Olivenöl weit oben.
    "Hier sieht man eben gerade wie die Kette zerschnitten wird, mit diesem Harfen-Kamm, die war hier ne halbe Stunde mit dem Lab eingesetzt und nach ner halben Stunde hat sich die Kette gebildet und wird nun zerschnitten."
    Ein Stück entfernt werden wir von vielstimmigem hundertfachem Gegacker und von Felix aus Burkina Faso empfangen. Hühner waren ihm aus seiner Heimat vom Bauernhof seiner Familie vertraut. Jetzt nennen ihn alle hier "den Hühnerflüsterer". Dabei hat Felix unter den hunderten Tieren, die er betreut, einen Favoriten.
    "Ja, ich habe einen Lieblingshahn, der sich so rührend um seine Hühner kümmert. Ich sorge dafür, dass alle zusammen im Hühnerstall sind. Sobald es einem Huhn aus seiner Familie nicht gut geht und rumgackert geht er hin und schaut ob alles in Ordnung ist. Und deshalb ist Felix mein Lieblingshahn."
    So könnte ihm ein langes Leben beschieden sein. Die Hühner aber gehören, wie Lamm und Schaf, auf die Speisekarte und in die Wurst.
    Neu im Sortiment von Produkten wie Chianti-Weinen und Olivenöl, die hier entwickelt wurden, sind auch unfiltierte Naturweine.
    Umgeben von der untouristischen Toskana
    Zum Erlebnisurlaub gehört die Erkundung dieser nicht nur der bekannten sondern auch weniger bekannten Toscana mit einer Fülle von Möglichkeiten.
    "Man steht glücklich auf. Die Umgebung. Siena, Arezzo. Egal. Man kann überall hinfahren."
    "Wir haben hier einen Bekannten, der ist Italiener. Und der guckt immer wo die kleinen Festle sind und da mischen wir uns immer in die kleinen Dörfer und mischen uns dort unter die Dorfbewohner und tun dort essen, so wie die Italiener halt."
    Erkundungen auch für uns in der näheren Umgebung, einer eher unbekannten Toskana abseits der großen Touristenzentren von Florenz, Stan Gimignano oder Montepulciano.
    Wir entscheiden uns für Poppi. Eine unbekannte mittelalterliche Kleinstadt überragt von einer mächtigen Burg und Schlossanlage, seit vielen Jahren das Zuhause von Cornelia Volk.
    "Der unglaubliche Reiz ist, dass er weniger bekannt ist, weniger Tourismus, weniger Fremde. Poppi, das ist wie ein Wohnzimmer eigentlich. Ich hab acht Jahre hier gelebt und es war so, wenn man hier auf die Straße geht, kommen alle und reden und unterhalten sich. Es ist sehr sehr familiär und sehr schön."
    Auf den Spuren von Dante und Franziskus
    Poppi besteht aus einer geschäftigen Durchgangsstraße und darüber der Altstadt, überragt von einer mächtigen Burg- und Schloßanlage - und einem Denkmal an den berühmesten Dichter Italiens erinnert.
    "Das ist Dante, der Unterschlupf gefunden hat beim Grafen Vidi von der Burg, die haben ihn praktisch beherbert, denn er musste ins Exil. Und er hat hier einen Teil der Göttlichen Komödie geschrieben und hat sich auch hier in der Toscana sehr wohl gefühlt weil es im Vergleich zum Rest der Toscana wesentlich rauher ist."
    Bei unserem Stadtrundgang werden wir von Gewitter und strömenden Regen überrascht, wie ihn Dante gewiss auch erlebt haben könnte. In Poppi gab es wie in anderen Städten Italiens, zum Beispiel in Bologna, Säulengänge, die Schutz boten.
    Hier konnte man früher auch den Mönchen in der Stadt und den Grafen von Vidi auf dem Weg zum Schloß begegnen. Es wird um 1000 zum ersten Mal als Burg erwähnt, erlebt dann um 1250 seine Blütezeit. Heute im Besitz der Gemeinde befindet sich hier eine der wichtigen Bibliotheken Italiens. Erst 1985/86 gegründet ist sie seither Ziel von Besuchern aus aller Welt. Wir werden von Allesia Basi empfangen. Über breite steinerne Treppen geht es in den zweiten Stock, in die große Schatzkammer Poppis.
    "Diese Bücher und Inkunabeln wurden 1825 von einem Adligen der Gemeinde Poppi geschenkt. Zu diesem Schatz kamen dann noch einige Jahre später die Bücher aus dem Kloster Camaldoli hinzu, nachdem der Orden aufgelöst worden war."
    Der Bestand sind 30.000 Bücher und Handschriften, vom 13. bis Mitte des 19. Jahrhunderts, viele mit Hand geschriebene Miniaturen, auch zur Geschichte dieser Region, des Aventin.
    "Das sind die Inkunabeln, das ist der wahre Schatz der Bibliothek, klein aber fein."
    Nicht weit von Poppi entfernt liegt das Zentrum der Region: Arezzo, mit einem Antiquitätenmarkt, Pflaster und Porträtmalern. Die Attraktionen finden sich nach einem Aufstieg in die Altstadt. Dazu gehören ein großer Platz wie in Siena - nur schöner, nicht überlaufen, eher beschaulich, umgeben von Cafes. Hier wurden Szenen für "Das Leben ist schön" gedreht.
    Sakrales Zentrum ist die Basilika San Francesco aus dem 14. Jahrhundert. Im Hauptschiff die Meisterwerke, Fresken von Piero de la Francesco. Auch hier kein Massenandrang, sondern Zeit zur Muße.
    Unser nächstes Ziel führt uns weit in die Vergangenheit. Wir fahren eine halbe Stunde über eine schmale Serpentinenstraße in die Berge. Im Dorf La Verna beginnt der Aufstieg zum Franziskanerkloster. Auch mit dem Bus, mit den bayerischen Pilgerreisen zu erreichen, war die erste Wanderung allein für Elisabeth Graf ein unvergessliches Erlebnis.
    "Kaum verlässt man die ersten Häuser, kommt man in dieses Waldstück wo ganz große mächtige Steine liegen, wo der Weg durchführt und die Bäume bilden ein richtiges Blätterdach. Jetzt könnte man denken, dass das beängstigend und erdrückend - ist aber das Gegenteil ist der Fall. Man hat das Gefühl, an der Schöpfung Gottes teilhaben zu können. Und es wäre überhaupt nicht überraschend, wenn auf diesem Weg irgendwo Franziskus stünde und er würde uns da begrüßen."
    Ziel von Pilgern und Besuchern ist eine Kapelle, von der es heißt an diesem Ort habe Franziskus seine Stigmata erhalten. Der Lebensweg des heiligen Franziskus wird in einem Verbindungsgang wie in einem Bilderbuch dargestellt. Die große Klosteranlage bietet für Wanderer Verpflegung und Übernachtungsmöglichkeiten.