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Faulenzer gegen Nazis?

Die Griechen bekommen zurzeit einiges von deutscher Seite zu hören, was ihre Bewältigung der Schuldenkrise angeht. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die sich noch an die deutsche Besatzung Griechenlands 1941-44 erinnern und Deutschland nach wie vor als übermächtig ansehen.

Von Susanne Hofmann |
    Unter dem Titel "Erinnerungskultur und Geschichtspolitik der Okkupation Griechenlands" trugen am vergangenen Wochenende Historiker, Literaturwissenschaftler, Gräzisten und Byzantinisten aus beiden Ländern ihre Forschungsergebnisse über diese Zeit und ihre Auswirkungen vor.

    Es ist eine alarmierende Zahl: Jeder zweite Grieche fühlt sich laut Meinungsumfragen "unter deutscher Besatzung". Erschreckend, aber kaum überraschend findet der Historiker Hagen Fleischer von der Universität Athen.

    "Das war einfach nur aus politischer Opportunität die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt, man kann das nicht auf die Dauer machen, irgendwann mal steigt der Dreck unter dem Teppich wirklich so hoch, dass man da nicht mehr darauf gehen kann. Und leider ist es so weit."

    Was da in letzter Zeit so unter dem Teppich hervorquillt und unschöne Verwerfungen bildet, ist die Zeit der deutschen Besatzung in Griechenland zwischen 1941 und '44. Das Spezialgebiet von Hagen Fleischer.

    "Die offizielle Vergangenheitspolitik sowohl auf der griechischen als auch auf der deutschen Seite, deren Aufarbeitung bestand darin, die Vergangenheit zuzuschütten, es gibt also das schöne oder traurige Zitat des Auswärtigen Amtes: Intention der deutschen Nachkriegspolitik in Griechenland ist die Liquidierung des Krieges und der mit ihm zusammenhängenden Erinnerungen - das Mitte der 50er-Jahre."

    Die Terminologie der Wehrmacht lebte also weiter fort - ein Jahrzehnt nach der deutschen Okkupation, die geprägt war von brutalen Massakern an der Zivilbevölkerung. Weder die deutsche noch die griechische Seite hatte ein Interesse daran, die Nazi-Verbrechen aufzuarbeiten. Denn nahtlos an die Befreiung Griechenlands schloss sich der griechische Bürgerkrieg zwischen Linken und Rechten an, den die Nazis mit befeuert hatten. Daraus ging 1949 die Mitte-Rechts-Koalition siegreich hervor, unter ihnen auch ehemalige Kollaborateure der Besatzer. Sie sahen sich auf der Gewinner-Seite der Geschichte.

    "Sie sagten: Es hat sich doch herausgestellt: Die Kommunisten sind der wahre Feind oder der langfristige Feind. Die Deutschen sind von der Bildfläche verschwunden, aber die kommunistische Weltgefahr besteht weiter."

    Geeint waren Griechenland und die Bundesrepublik nach dem Krieg außerdem im Interesse, ihre wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Offizielle Erinnerungen an Gräueltaten wie an das Massaker in Kalavryta, hätten dabei nur gestört. Kalavryta - dort wurden rund 700 unbeteiligte Griechen in einer sogenannten "Vergeltungsaktion" erschossen, um den Mord an deutschen Soldaten durch griechische Partisanen zu rächen. Der Ort musste bis 1964 auf ein Denkmal warten, berichtet die griechische Historikerin Anna-Maria Droumpouko. Sie zitiert Akten des Auswärtigen Amtes von 1953, wo es heißt:

    "Die Errichtung eines Denkmals wäre schädlich für die Beziehung zwischen beiden Ländern."

    Die brutalen Massaker an der Zivilbevölkerung werden beschrieben als:

    "… tragische Kettenfolgen eines Partisanenkrieges. Folglich dürfte eine eventuelle deutsche Hilfe nicht die Form einer Wiedergutmachung haben, sondern wäre die Folge reinen Mitgefühls des wirtschaftlich Stärkeren an seinen ehemaligen Rivalen."

    Diese Sicht mag auch erklären, weshalb es nie zu einer gerichtlichen Verfolgung der Schuldigen kam. Bis Mitte der 80er-Jahre schweigt die deutsche Politik die deutschen Vergehen tot. Erst Bundespräsident von Weizsäcker gedenkt bei einem Athenbesuch der Opfer der Massaker. Von deutscher Schuld oder einer Entschuldigung jedoch bis heute kein Wort. Dafür Schönwetter-Erklärungen sämtlicher Regierungen von Kohl, über Schröder bis Merkel, beobachtet Hagen Fleischer:

    "Also die diachronischen guten deutsch-griechischen Beziehungen, die für ein paar Jahre kurz getrübt waren, wo dann oft nicht mal definiert wird: Warum getrübt, und wie getrübt und wer hat die Wolken verursacht? Keine Bereitschaft zu der Aufarbeitung und auch keine Bereitschaft zur Begleichung alter Schulden, alter Schuld und zur Heilung der Wunden, die immer noch da sind."

    Durch die Griechen-Schelte in den deutschen Medien seien die Stereotypen des unbußfertigen Deutschen wieder an die Oberfläche gespült worden. Die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Erinnerungskultur sieht Hagen Fleischer um Jahrzehnte zurückgeworfen.
    Von der Verdrängung historischer Wunden und deren unheilsamen Folgen für die Gesellschaft berichtet auch die griechische Historikerin Rena Molho aus Thessaloniki. Sie erforscht die Geschichte der griechischen Juden, die die Nazis nahezu vollständig vernichteten. Ihre Dissertation befasst sich mit den Juden von Thessaloniki - vor dem Zweiten Weltkrieg bekannt als "Jerusalem des Balkans" wegen ihrer großen jüdischen Gemeinde.

    "Das war eine pluralistische Gesellschaft, es gab 50 jüdische Zeitungen, so viele gibt es heute nicht mal in New York. Die Juden bildeten das Rückgrat von Thessaloniki."

    Die 56.000 Juden aus Thessaloniki wurden fast alle nach Ausschwitz deportiert und dort ermordet. Nur 2000 überlebten. Des Holocausts gedachten sie 50 Jahre lang hinter verschlossenen Türen in der Gemeinde. Der Großteil der nicht-jüdischen Griechen zeigte dafür kein Interesse. Erst seit 2006 erinnern sich die Griechen offiziell des Völkermords an den Juden:

    "Die EU hat den 27. Januar zum Internationalen Holocaust Gedenktag erklärt und da musste Griechenland nolens volens mitziehen. Es ist politisch korrekt und so erinnerte man sich plötzlich – auf Druck von Europa."

    Auch auf europäische Initiative geht zurück, dass der Holocaust heute an griechischen Schulen mehr als nur gestreift wird.
    "Griechenland war das letzte Land, das der 'Task Force für internationale Kooperation bei Holocaust Bildung' beitrat. Die Griechen haben keine Ahnung vom Holocaust, sie glauben bis heute, dass der Holocaust uns nichts angeht, und verstehen nicht, dass er das extremste Beispiel dafür ist, was in einem rassistischen, faschistischen Unrechtsstaat passieren kann."

    Seit den Wahlen im Juni sitzen übrigens auch 21 Abgeordnete der faschistischen Partei "Goldene Morgenröte" im griechischen Parlament. Verdanken sie ihren Erfolg nur den Protestwählern in der Krise oder ist er auch ein Zeichen der griechischen Geschichtsvergessenheit?