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FDP beklagt "völlig zerrüttetes" Vertrauensverhältnis in der Großen Koalition

FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat die Forderung seiner Partei nach vorgezogenen Neuwahlen bekräftigt. Die Große Koalition habe keine Durchschlagskraft mehr, die gegenwärtige Finanzkrise verlange aber eine handlungsfähige Regierung. Daher wäre es sinnvoll, zusammen mit dem Europäischen Parlament auch den Bundestag neu zu wählen.

Dirk Niebel im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Zwischen den Parteien in Berlin herrscht Krach nach dem Motto "jeder gegen jeden". Die positive Kehrseite allerdings könnte lauten; "jeder kann mit jedem". Bei der Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Steffi Lemke, hört sich das so an:

    O-Ton Steffi Lemke: Wir haben Schnittmengen mit der SPD und wenn ich schaue, so finde ich natürlich auch Schnittmengen mit der FDP oder mit der Linkspartei, ich finde auch Schnittmengen mit der CDU, die geringsten wahrscheinlich mit der CSU.

    Liminski: Wenig Schnittmengen mit der CSU, das dürften auch viele in der FDP so empfinden. Dennoch muss man sich bei den Liberalen mit diesem Gedanken oder eben mit den Grünen anfreunden, wenn man in der nächsten Regierung mitmischen will. Ist das nur eine Frage der Programmatik, oder mehr noch des Wahlergebnisses, vielleicht auch der Personen? - Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich den Generalsekretär der FDP, Dirk Niebel. Guten Morgen, Herr Niebel.

    Dirk Niebel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Niebel, die Diskussion um vorgezogene Neuwahlen war wohl ein Sturm im wochenendlichen Bier- oder Weinglas. Jedenfalls haben führende Politiker der Großen Koalition der Kanzlerin zugestimmt, die Koalition bis zum Herbst fortzuführen. Nur die FDP fordert eine vorgezogene Neuwahl im Juni. Ist das überhaupt realistisch? Lohnt es sich, für drei Monate erneut die Verfassung auszutricksen? Haben wir mit der Krise nicht schon genug zu tun?

    Niebel: Nun gerade die Krise zeigt ja, wie notwendig es ist, dass man eine handlungsfähige Regierung hat, und es ist zwar schon seit langer Zeit so, dass diese Regierung nur noch auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gearbeitet hat, aber spätestens seit dem Wochenende sieht man offenkundig, dass das Vertrauensverhältnis völlig zerrüttet ist. Es ist ja nicht so, dass ein Oppositionspolitiker hier eine Regierungschefin angreift, sondern Regierungspolitiker greifen sich gegenseitig in einer Tonlage an, die also schon unterirdisch ist. Von daher wäre die Verfassung vollkommen korrekt ausgestattet, mit allem, was notwendig ist. Frau Kanzlerin bräuchte nur die Vertrauensfrage zu stellen und die SPD müsste nur wahrheitsgemäß darauf antworten.

    Aber im Ernst: Es ist tatsächlich so, dass wir am 7. Juni das Europäische Parlament wählen, und wenn eine Regierung nicht handlungsfähig ist, dann macht es schon Sinn, gleichzeitig den neuen Bundestag mit zu wählen. Dann könnten wir am 15. Juli eine neue handlungsfähige Regierung im Amt haben, noch vor der Sommerpause, und das ist das, was wir brauchen, um in dieser Krise tatsächlich erfolgreich sein zu können.

    Liminski: Glauben Sie denn selber, dass Union oder SPD den Bundestag früher auflösen wollen? Ihr Ansinnen hat etwas von einer wohlfeilen Forderung, die richtig ist, von der man aber weiß, dass sie nicht erfüllt werden kann, die man aber dennoch mal aufstellt, um Handlungswillen zu demonstrieren und so moralisch besser dazustehen.

    Niebel: Also ich glaube nicht, dass die Regierung die Kraft hat, den Wählerinnen und Wählern ihren Auftrag zurückzugeben. Das Einzige, was SPD und Union im Moment vereint, ist die gemeinsame Angst vor den Bürgern, und trotzdem stelle ich mit Interesse fest, dass fast alle Beobachter sagen, im Grunde ist diese Regierung am Ende, im Grunde ist diese Legislaturperiode fertig, da wird nicht mehr viel passieren. Auf der anderen Seite kommt dann die Schlussfolgerung, aber Neuwahlen darf es nicht geben, weil das einfach nicht sein darf. Ich finde das relativ schwach.

    Ich glaube, eine Regierung, die erkennt, dass sie keine Durchschlagskraft mehr hat, die sollte tatsächlich den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit der neuen Entscheidung geben. Aber es zeigt natürlich auch den Willen durchzuhalten, auch wenn nichts mehr passiert, dass diese Bundesregierung sich auf Weitermachen eingestellt hat, sowohl die Union als auch die SPD. Für die SPD ist die Große Koalition eigentlich die einzige Machtperspektive, und deswegen möchte sie gerne Juniorpartner bleiben, und die Bundeskanzlerin hat sich ganz gemütlich eingerichtet, denn die SPD ist handzahm, wohingegen die FDP etwas verändern will. Wir wollen eine Politik für die Menschen in der Mitte Deutschlands machen, und das ist viel unbequemer für Frau Merkel.

    Liminski: Halten Sie die Krise für so gravierend, dass jeder Tag zählt? Sie könnten ja in der Länderkammer eine Blockadepolitik ausüben und so versuchen, die großen Parteien zur Auflösung des Bundestages zu zwingen.

    Niebel: Nein, das geht nicht. Erstens haben wir diese Blockademehrheit nicht. Wir könnten im Höchstfall bei Grundgesetzänderungen blockieren. Wir haben keine eigene Mehrheit, weder im Bundestag, noch im Bundesrat. Und zum anderen gibt es nur zwei Möglichkeiten, das Parlament aufzulösen. Das eine wäre ein konstruktives Misstrauensvotum. Ich sehe nicht, wer hier eine Mehrheit im Haus bekommen würde. Und das andere ist eben die Vertrauensfrage, und wenn die Bundeskanzlerin selbige an ihre Regierung stellen würde, dann würde, wenn die SPD ehrlich antwortet, das Vertrauen nicht bestätigt werden und der Bundestag müsste aufgelöst werden. Allerdings wie gesagt, die Regierung hat sich auf Durchhalten eingestellt und die Wählerinnen und Wähler werden das nun zu bewerten haben.

    Liminski: Was könnte oder sollte eine handlungsfähige Regierung, wenn es denn dazu kommt, überhaupt tun? Hat die FDP so etwas wie ein 100-Tage-Programm gegen die Krise?

    Niebel: Wir haben gestern im Bundesvorstand unser Wahlprogramm für die kommende Bundestagswahl, wann auch immer sie kommt, verabschiedet und wir haben natürlich ein Programm, das dazu führt, dass diese Krisensituation bewältigt werden kann. Im Gegensatz zu den anderen, die auf sozialistische Planwirtschaft setzen, inklusive der unionsgeführten Bundesregierung, setzen wir als einzige auf eine deutliche Stärkung der sozialen Marktwirtschaft. Wir sind davon überzeugt, die soziale Marktwirtschaft als einziges lernendes System ist das beste Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, das es auf deutschem Boden jemals gegeben hat, und deswegen wollen wir sie stärken.

    Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger wieder stärken und nicht die Ränder der Gesellschaft nur in den Fokus unseres Regierungshandelns nehmen, denn die Mittelschicht in Deutschland (und nicht nur der deutsche Mittelstand, sondern auch die ganz normale Mittelschicht), das sind diejenigen, die dafür sorgen, dass unser Staat überhaupt funktionieren kann, aber die sind offenkundig aus dem Blickwinkel der Regierung verloren gegangen.

    Liminski: Ich höre da kritische Untertöne auch gegenüber der Kanzlerin. Mit welcher Partei, glauben Sie denn, ist Ihr Programm am ehesten zu verwirklichen oder umzusetzen?

    Niebel: Bei aller Kritik an der Kanzlerin und den Unionsparteien ist am meisten natürlich umzusetzen davon mit Union, mit CDU und CSU, und nur weil die Union hässlicher geworden ist, sind Grüne und SPD ja nicht hübscher geworden.

    Liminski: Bei der Kanzlerin finden Sie aber wenig Verständnis, wenn ich Ihnen mal eine Aussage vorspielen darf, die Frau Merkel am vergangenen Sonntag gemacht hat. Das klingt so:

    O-Ton Angela Merkel: Wofür ich kein Verständnis habe ist, dass zum Beispiel die FDP uns dann noch auch sozusagen Vorwürfe macht, dass wir da, wo nichts mehr zu enteignen ist, wo eigentlich nur noch Verluste sind, dann als Staat einschreiten. Das finde ich absurd.

    Liminski: Das sind keine netten Worte für den künftigen Koalitionspartner. Warum ist Frau Merkel dennoch Ihre Lieblingsoption?

    Niebel: Nun, das sind keine netten Worte, weil Frau Merkel ertappt worden ist. Eine unionsgeführte Regierung, die ein Enteignungsgesetz auf den Weg bringt, obwohl es nicht nötig ist. Ein Enteignungsgesetz (und sei es als aller-, aller-, aller-, allerletzte Möglichkeit) gibt immer das Signal an potenzielle Investoren, "Hier ist dein Geld nicht sicher". Wir haben im Deutschen Bundestag Alternativen vorgeschlagen, zum Beispiel das, was auch der Bundeswirtschaftsminister gewollt hat, nämlich ein modernes Insolvenzrecht, das die gleichen Maßnahmen ermöglicht, die die Bundesregierung tatsächlich braucht, die wir auch unterstützen, ohne in die Enteignung zu gehen. Die Enteignung ist kein Instrument der sozialen Marktwirtschaft, sondern der sozialistischen Planwirtschaft. Und dass die Bundeskanzlerin mit der FDP stärker ins Gericht geht als mit den Sozialdemokraten, zeigt zweierlei. Erstens: Der Zauber der Freiheit wirkt. Die FDP hat Zustimmung von Menschen, die von der Bundesregierung, insbesondere von der Union massiv enttäuscht sind. Und zweitens: Die Bundeskanzlerin hat sich auf Weitermachen eingerichtet. Das muss man zur Kenntnis nehmen und das kann man nur auf eine Art und Weise verhindern, indem die FDP so stark wird, dass man an uns nicht vorbei kann.

    Liminski: Was machen Sie denn, wenn es die Kanzlerin nach der Wahl lieber wieder in die Kuschelecke der Großen Koalition mit den bequemen Mehrheiten zieht? Bleiben Sie dann in der Opposition, oder können Sie sich doch eine Ampel vorstellen? Eben haben wir ja von der Grünen-Spitze gehört, dass es auch Schnittmengen mit den Grünen gibt.

    Niebel: Ich sehe keine realistische Gemeinsamkeit inhaltlicher Art mit den Grünen. Es ist ja auch bemerkenswert und geradezu putzig, dass man uns einerseits Regierungsunfähigkeit vorwirft, auf der anderen Seite aber unbedingt mit uns regieren will. Und diese ach so bürgerlichen Grünen waren doch die Ersten, die in Hessen mit den Kommunisten in die Regierung gegangen wären. Ich sage Ihnen, wenn es eine linke Mehrheit im Bundestag gibt, dann gibt es auch eine linke Regierung und deswegen ist unsere Aufgabe, so stark zu werden, dass man an uns nicht vorbei kann.

    Liminski: Konkret: Wenn es für schwarz/gelb aber nicht reicht, weil eben viele CDU-Wähler aus Frust zur Partei der Nichtwähler gehen, dann stellt sich für die FDP die Frage, ob man, um eine Art Volksfront (also rot/rot/grün) zu verhindern, nicht doch in eine Ampel einwilligt. Ist das aus staatspolitischer Räson sozusagen nicht doch eine Option?

    Niebel: Ich gehe fest davon aus, dass es nach der Bundestagswahl für schwarz/gelb reichen wird. Die Sorge ist nur, dass es vielleicht knapp reicht und sich bei ein bis zwei Mandaten Mehrheit die Bundeskanzlerin hinstellt und sagt, wir haben so große Probleme, da braucht man so große Mehrheiten und deswegen ist eine Regierung der nationalen Einheit dringend notwendig, und das ist der Punkt, wo wir sagen, wir müssen so viele Mehrheiten haben, so starke Mehrheiten haben durch eine starke FDP, dass sie sich das nicht innerparteilich und auch vor der Öffentlichkeit überhaupt nicht erlauben kann.

    Liminski: Gibt es denn Politiker, Herr Niebel, von denen Sie sagen würden, mit denen will ich nie am Kabinettstisch sitzen, zum Beispiel Herr Trittin oder Frau Roth?

    Niebel: Es gibt immer Politiker, mit denen man weniger gerne gemeinsam arbeitet, und welche, mit denen man lieber zusammenarbeitet, wie im richtigen Leben und jedem anderen Beruf auch. Es wäre, glaube ich, unpolitisch und ziemlich dumm, wenn man aufgrund einer persönlichen Animosität auf die Möglichkeit, Deutschland zu erneuern, verzichten würde.

    Liminski: Nicht die Person, das Programm entscheidet also. Was ist denn für Sie ein unverzichtbarer Punkt, eine "conditio sine qua non", der Verzicht auf den Atomausstieg, Steuersenkungen?

    Niebel: Ein unverzichtbarer Punkt für eine Koalitionsvereinbarung wird für die FDP die Festschreibung einer echten Steuerstrukturreform sein. Das ist auch schon mehrfach öffentlich gesagt worden. Wir werden bei unserem Bundesparteitag vor der Bundestagswahl, wo wir eine Koalitionsaussage verabschieden werden, auch deutlich machen, welche inhaltlichen Punkte für uns absolut notwendig sind.

    Liminski: Die FDP positioniert sich und fordert Neuwahlen. Das war ihr Generalsekretär Dirk Niebel. Besten Dank für das Gespräch, Herr Niebel.

    Niebel: Gerne, Herr Liminski.