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FDP-Europaabgeordneter kritisiert Ergebnisse des Merkel-Sarkozy-Treffens

Die von Nicolas Sarkozy und Angela Merkel in Paris verabredete Stärkung der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik fordere man im Europaparlament seit Jahren, so Wolf Klinz. Dabei habe man mit der EU-Kommission eine wirksame Exekutive, deren Rechte gestärkt werden sollten.

Wolf Klinz im Gespräch mit Jonas Reese | 18.08.2011
    Jasper Barenberg: Nein, einen Paukenschlag gab es nicht in Paris. Aber den hatte Angela Merkel vor ihrem Treffen mit Nicholas Sarkozy am Dienstag ja auch ausdrücklich ausgeschlossen. Auf dem Weg aus der Euro- und Schuldenkrise haben sich die Kanzlerin und der Präsident vielmehr auf Empfehlungen beschränkt: Eine europäische Wirtschaftsregierung gehört dazu, eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild und die Empfehlung einer Steuer auf Finanzgeschäfte. Was ist nun davon zu halten? Darüber hat mein Kollege Jonas Reese mit dem FDP-Europaabgeordneten Wolf Klinz gesprochen und ihn gefragt, ob er die Pariser Angebote wie Parteichef Rösler als ein starkes Signal für Europa betrachtet.

    Wolf Klinz: Ja, ich glaube, dass das, was Sarkozy und die Bundeskanzlerin vorgeschlagen haben, sicherlich den Weg weist, in die richtige Richtung geht, aber ich würde es nicht unbedingt als sehr starkes Signal bezeichnen. Denn so viel Neues ist da eigentlich nicht verkündet worden.

    Jonas Reese: Sondern, wie würden Sie es bezeichnen?

    Klinz: Ich würde sagen, es wird deutlich – und von den Beiden auch dem Publikum vermittelt –, dass sie einsehen, dass man so nicht weiter machen kann wie bisher, sondern, dass wir tatsächlich, wenn wir eine gemeinsame Währung und eine einheitliche Geldpolitik haben, und dieses auch in Zukunft so verteidigen möchten, dass wir dann sehr viel stärker als bisher Anstrengungen unternehmen müssen, um eine gemeinsame Wirtschafts-, Fiskal-, Steuer- und Budgetpolitik zu erreichen. Das ist eigentlich die Botschaft. Und das ist per se nicht sehr viel Neues. Eigentlich haben in Deutschland das schon sehr viele gesagt, bevor der Euro eingeführt worden ist. Sie haben gesagt: Wir müssen eigentlich erst mal eine Vertiefung der Integration erreichen, und wenn wir die haben, können wir eine gemeinsame Währung haben. Jetzt haben wir die Währung und stellen fest, dass in der Tat die Integration nicht so tief und so eng ist, wie sie sein muss, um diese gemeinsame Währung tatsächlich zu einem Erfolg zu führen.

    Reese: Sie sind also ein bisschen enttäuscht?

    Klinz: Ach, ich würde nicht sagen enttäuscht. Ich habe mir von dem Treffen gar nicht so viel mehr erwartet, weil es auch unglaubwürdig gewesen wäre. Wir haben am 21. Juli einen Gipfel der Regierungschefs gehabt, da sind ein paar Vorschläge nicht nur diskutiert, sondern konkrete Beschlüsse gefasst worden! An deren Umsetzung wird noch gearbeitet. Sie sind noch gar nicht in Kraft! Und da kann man nicht erwarten, dass, obwohl die noch nicht in Kraft sind, schon wieder das Nächste kommt. Das würde ja im Gegenteil meiner Meinung nach deutlich machen, dass die Regierungschefs gar nicht mehr dem, was sie selber beschlossen haben, vertrauen, sondern dass sie hopplahopp schon wieder zum nächsten Schritt eilen, und das würde meiner Meinung nach die Märkte eher verunsichern als beruhigen. Also, ich bin nicht enttäuscht, aber ich glaube, dass es nicht so viel Neues ist. Die Aussage oder die Tatsache, dass wir eine sehr viel enger verzahnte Wirtschafts- und auch Steuer- und Fiskalpolitik, also Steuerpolitik brauchen, das ist eine Erkenntnis, die eigentlich auch bei uns im europäischen Parlament schon seit geraumer Zeit vorhanden ist.

    Reese: Europa rückt näher zusammen, das hatte Präsident Sarkozy gestern nach der Bekanntgabe der Beschlüsse gesagt. Aber als Mitglied des Europaparlaments müssten Sie doch eigentlich auf eine stärkere Beteiligung des Parlaments beharren und dem jetzt nicht so ganz zustimmen, oder?

    Klinz: Mich stört an der Sache folgendes: dass es wiederum nur die Regierungschefs oder die entsprechenden Fachminister sein sollen, die dieses Zusammenrücken bewerkstelligen müssen. Auch, dass der Herr van Rompuy sozusagen nun zum Chef dieser sogenannten Wirtschaftsregierung wird, das stimmt für mich nicht. Ich habe keine europäische Wirtschaftsregierung, wenn die Regierungschefs oder auch die Fachminister zweimal im Jahr oder zweimal mehr im Jahr zusammentreten als jetzt. Nein, wir haben ja so etwas wie eine Art europäische Exekutive, das ist die Kommission. Und die müssen wir stärken, und der müssen wir dann auch die Voraussetzungen geben, dass Beschlüsse, die gefasst werden, dann tatsächlich auch eingehalten und umgesetzt werden. Was wir jetzt haben, ist einmal mehr, dass der Rat im Prinzip an allen anderen vorbei – am Europaparlament vorbei, an der Kommission vorbei und möglicherweise, das ist die große Gefahr, sogar an den nationalen Parlamenten vorbei – Entscheidungen treffen möchte. Und das lehnen wir ab, auch vom Europaparlament her. Das ist nicht der richtige Weg. Es kann auch nicht sein, und das haben wir ja schon gesehen bei Deauville, Sie erinnern sich, als der Präsident Frankreichs und die deutsche Bundeskanzlerin übereingekommen sind, dass im Prinzip, wenn Verstöße vorliegen, nicht die Kommission automatisch einen Sanktionsmechanismus auslösen kann, sondern dass die Regierungschefs dann zu befinden haben, ob tatsächlich jetzt ein Verstoß gegen die Verträge vorliegt oder nicht. …

    Reese: Und wie müsste also das Parlament da mit einbezogen werden?

    Klinz: Die Kommission und das Parlament müssen beide da mit einbezogen werden, und da können wir …

    Reese: Also Kontrollgremien?

    Klinz: Ja, sozusagen, ja! Wir müssen die Möglichkeit, einen Verstoß festzustellen, uneingeschränkt diese Möglichkeit der Feststellung der Kommission übertragen, und umgekehrt muss das europäische Parlament eine sehr viel stärkere Mitsprache in diesen Angelegenheiten bekommen, und wenn das nur der Rat unter sich wieder ausmacht – was bedeutet das konkret? Wir haben eine so genannte europäische Wirtschaftsregierung. Da verpflichten sich alle, dieses und jenes zu tun oder zu lassen. Dann stellt man fest nach einem halben Jahr oder nach zwölf Monaten, dass wiederum ein paar gesündigt haben. Wäre ja nichts Neues, passiert ja laufend! Und die selber, die gesündigt haben, treffen sich dann, um zu beschließen, wie es jetzt weitergeht. Na, und da gebe ich Ihnen Brief und Siegel, passiert das, was bisher immer passiert ist, dass nämlich die, die eigentlich zur Rechenschaft gezogen werden müssen, sich Verbündete suchen, um nachzuweisen, dass besondere Umstände oder dies oder das dazu geführt haben, und dass es doch nicht so schlimm sei, und dass man noch einmal alle Augen zudrücken müsse.

    Reese: Jetzt ist auch die Idee der Wirtschaftsregierung nicht neu. Lange war Frau Kanzlerin Merkel dagegen, weil sie eine Spaltung zwischen Euroländern und Nicht-Euroländern befürchtet. Müssen Sie diese Befürchtung nicht teilen?

    Klinz: Ja, wobei ich eine engere Abstimmung gerade der Länder in der Eurozone trotz alledem für richtig und auch für machbar halte. Wir müssen nur aufpassen, wie weit diese Integrationsstufe geht, und wo wir anfangen, tatsächlich dann den Spaltpilz in die europäische Union dazu tragen.

    Reese: Also Sie würden das jetzt nicht unterstreichen, dass kurzfristig gesehen wir auf dem Weg in eine Zweiklassengesellschaft in Europa sind: Eurostaaten/Nicht-Eurostaaten?

    Klinz: Sagen wir es so: Ich sehe durchaus die Gefahr, dass es in diese Richtung laufen könnte. Ich würde es mir nicht wünschen! Ich würde das für einen sehr hohen Preis halten, wenn wir die Eurozone nur erfolgreich überleben lassen können, wenn wir gewissermaßen diese Spaltung der Europäischen Union in Kauf nehmen. Das wäre ein hoher Preis, und ich würde mir wünschen, dass wir alles tun, um das zu vermeiden.

    Moderator: Der FDP-Politiker Wolf Klinz im Gespräch mit meinem Kollegen Jonas Reese.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.