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FDP-Europapolitiker plädiert für Aufteilung der EU-Verfassung

Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff hält eine Aufteilung der EU-Verfassung in eine Grundrechte-Charta und einen Teil für Fragen ohne Verfassungsrang für sinnvoll. Der Grundlagenvertrag könnte dann der europäischen Bevölkerung mit den Europawahlen 2009 zur Abstimmung vorgelegt werden. Über die "so genannten einfachgesetzlichen Dinge" sollte nicht abgestimmt werden müssen, so Lambsdorff.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: "Selbst für EU-Verhältnisse überdurchschnittlich unscharf formuliert" - kein tolles Prädikat, mit dem Beobachter in Brüssel jene Erklärung des Gipfeltreffens bedenken, mit der die Europäische Union ihren weiteren Weg zu einer gemeinsamen Verfassung beschrieben hat. Man könnte es auch härter formulieren: So wird das nichts. Das ist die pessimistische Betrachtung. Optimistisch formuliert es wieder einmal die deutsche Kanzlerin. Sie sieht neue Chancen durch den Zeitplan, auf den sich die Staats- und Regierungschefs geeinigt haben. Eine große Herausforderung also für die am 1. Januar beginnende deutsche Ratspräsidentschaft, die für sich eigentlich nur ein Fensterchen sieht, um substanziell etwas in Richtung Verfassung zu bewegen: Jene Zeit zwischen den Wahlen in Frankreich und den Niederlanden im nächsten Frühjahr und dem Ende dem Ende der Ratspräsidentschaft am 30. Juni. Ein Fenster von wenigen Wochen also. Über diese Herausforderung möchte ich jetzt sprechen mit dem Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff, er gehört der Fraktion der Liberalen an. Schönen guten Tag.

    Alexander Graf Lambsdorff: Schönen guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Wie muss der neue Anlauf aussehen, den die Bundesregierung jetzt nehmen muss?

    Lambsdorff: Dieser Anlauf muss so aussehen, dass man klarmacht, in welche Richtung es gehen soll mit der Verfassung. Und in dem Bericht ist ja eben schon einmal angeklungen, dass hier gangbare Wege bereits diskutiert werden. Ich halte diesen Weg für am sinnvollsten, der tatsächlich die Teile, die Konsens sind, nämlich die Grundrechte-Charta und die Weiterentwicklung der Institutionen, diese zusammengefasst werden in eine Art Grundlagenvertrag und dann der Bevölkerung gleichzeitig mit den Europawahlen 2009 zur Abstimmung vorgelegt wird. Dies wäre der richtige Weg. Das müsste die Bundeskanzlerin in der deutschen Präsidentschaft vorbereiten. Es wird ja einen großen Sondergipfel zum 50. Geburtstag der EU geben im März. Leider ist der vor den französischen Präsidentschaftswahlen, so dass Präsident Chirac daran noch teilnehmen wird. Der eigentliche Befreiungsschlag - und das ist auch schon angedeutet worden eben - kommt erst mit der französischen Präsidentschaftswahl, wo zu hoffen ist, dass dann ein frischer, neuer französischer Präsident auch den Mut aufbringen wird, ernsthafte Schritte nach vorne für Europa wieder zu tun.

    Klein: Was genau muss bis Ende der deutschen Ratspräsidentschaft, also bis Ende Juni 2007 passiert sein?

    Lambsdorff: Es muss ganz klar gesagt werden, welche Teile des Vertrages Teil der Verfassung werden sollten, also des Grundlagenvertrages. Es muss ganz klar gesagt werden, für welche Teile das nicht gilt. In meinen Augen muss eben in Teil eins, müssen die Grundlagen rein, die wirklich Verfassungsrang haben, und in Teil zwei kommen die so genannten einfachgesetzlichen Dinge, also all die Fachpolitiken, die wirklich nicht Verfassungsrang haben. Dann muss ein Zeitplan festgelegt werden, wie die Verhandlungen im Einzelnen zu führen sind, denn das ist ja keine einfache Materie, das muss ja durchverhandelt werden, damit da ein anständiger Rechtstext am Ende steht. Und dann muss ganz klar gesagt werden: Am Tag der Europawahlen 2009, im Juni 2009 wird es in ganz Europa eine Volksbefragung dazu geben, bei der alle Europäerinnen und Europäer aufgefordert sind, sich zum Grundlagenvertrag - nicht zu den Fachpolitiken, aber zum Grundlagenvertrag - zu äußern.

    Klein: Und das ist Ihrer Meinung nach alternativlos, dieser Weg?

    Lambsdorff: Nein, es gibt sicher Alternativen. Die Frage ist nur, ob sie besser sind. Eine Möglichkeit wäre, und das hört man aus Frankreich vom einen oder anderen, den Vertrag vollständig neu zu verhandeln. Da muss man dann sich natürlich ernsthaft die Frage stellen, ob man der Meinung ist, dass da wirklich substanziell etwas anderes dabei herauskommt. Andere sagen, wir sollten diese Pause noch erheblich weiter verlängern, wir brauchen keine Verfassung, wir machen einfach eine graduelle Anpassung des Vertrages von Nizza, auf dessen Grundlage die Europäische Union im Moment arbeitet, beispielsweise um den Beitritt Kroatiens eines Tages zu ermöglichen, denn das ist auf der Grundlage von Nizza gar nicht denkbar. Diese Alternativen halte ich aber nicht für besser als die Zweiteilung des Vertrages in einen Verfassungsteil und einen, der einfach gesetzlichen Rang hat.

    Klein: Die Hoffnung besteht also, ja wahrscheinlich nicht nur bei Ihnen, dass dieser Weg so zu beschreiten ist. Die Frage ist: Wie realistisch ist das? Es seien die nationalen Interessen, die bei den meisten Staaten einfach Vorrang haben und die Europa am Ende kaputtmachen, so deutlich hat es Martin Schulz heute Morgen im Deutschlandfunk formuliert, der Fraktionsvorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Ja, eine Diagnose, eine Mahnung, die Sie unterschreiben würden?

    Lambsdorff: Ja, absolut. Also Martin Schulz hat da den Nagel auf den Kopf getroffen - und das sage ich, obwohl er einer konkurrierenden Partei angehört. Aber der Punkt ist ja folgender: Was wir hier sehen, ist die Ratlosigkeit im Rat. Das heißt die Vertreter der Mitgliedstaaten, die es nicht schaffen, tatsächlich jetzt schon einen konstruktiven Weg nach vorne aufzuzeigen, sondern die Denkpause unter einem anderen Etikett weiter verlängern. Das ist der aktuelle Stand im Rat bei den Mitgliedstaaten. Im Europäischen Parlament sind die Diskussionen erheblich weiter, wo nicht so sehr das einzelne nationale Interesse, sondern mehr das gesamteuropäische Interesse gesehen wird. Und ich glaube, dass der Kollege Schulz und ich, aber genauso die Kollegen auch von der Union da konform gehen, wenn wir den Rat hier kritisieren. Schauen Sie mal, was in den letzten Tagen passiert ist, ist ja schon bemerkenswert. Jean-Claude Juncker ist eigentlich ein bedächtiger Mann, aber was er gegen die Briten da geäußert hat, das grenzt schon an politischen Verbal-Hooliganismus.

    Klein: Er sagt ja, er könne sich eine EU auch ohne Großbritannien...

    Lambsdorff: Richtig.

    Klein: ... notfalls vorstellen.

    Lambsdorff: Ich meine, schauen Sie, das ist für europäische Maßstäbe schon ein wirklich starker Tobak. Nehmen Sie die Äußerungen des dänischen Ministerpräsidenten gegenüber Holland und Frankreich, der in sehr scharfer Form diesen beiden Ländern die Aufgabe gestellt hat, sie müssten jetzt die Lösung präsentieren. Das ist falsch. Das ist wirklich dieses nationale Klein-Klein. Was wir brauchen, ist eine gesamteuropäische Lösung. Und die zu entwickeln ist der Rat aufgerufen. Nicht, dass der eine Regierungschef dem anderen vorschreibt, was er zu tun hat, oder Erklärungen darüber abgibt, welches Land seiner Ansicht nach auch aus der Europäischen Union ausscheiden könne. So kommen wir mit Europa nicht weiter. Das Europa wird dann weiterkommen, wenn auch im Rat wieder das gesamteuropäische Interesse gesehen wird, das legitimerweise neben dem nationalen seinen Rang haben muss, denn es ist wirklich die Grundlage des Erfolgs der Europäischen Union.