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FDP fordert Stasi-Check

"Der Bundestag muss nicht nur bei den Lippenbekenntnissen einzelner Abgeordneter belassen", sondern eine Vorbildfunktion übernehmen, fordert der FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Waitz. Er vermute, dass "bei der Aufklärung der Beeinflussung von Bundestagsabgeordneten durch die Stasi doch noch einige unerwartete Ergebnisse auftauchen könnten". Daher rechne Waitz nicht mit einer Mehrheit für den FDP-Antrag.

Christoph Waitz im Gespräch mit Bettina Klein | 29.05.2009
    Bettina Klein: Ich begrüße Christoph Waitz, FDP-Bundestagsabgeordneter und im Ausschuss für Kultur und Medien. Guten Morgen, Herr Waitz!

    Christoph Waitz: Schönen guten Morgen!

    Klein: Rechnen Sie denn noch mit einer Mehrheit für den Antrag?

    Waitz: Also ich rechne nicht damit, dazu sind die Voraussetzungen aktuell nicht gegeben. Aber es ist eine sehr positive Entwicklung der letzten Tage, dass sehr viele Abgeordnete insbesondere aus Ostdeutschland sich sehr intensiv mit unserem Antrag auseinandergesetzt haben und signalisiert haben, dass sie gegen ihre Fraktion mit abweichenden Erklärungen stimmen werden.

    Klein: Ein zentrales Argument der Gegner dieses Antrages lautet ja, mit der Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes 2006 ist der Personenkreis klar eingegrenzt worden, der auf Stasi-Mitarbeit überprüft werden kann. Und diesem Antrag hat auch die FDP damals zugestimmt. Ihre Partei hatte also damals auch nur wenig Interesse an der Aufklärung.

    Waitz: Also wir sind in diesem Novellierungsverfahren diejenigen gewesen, die erst mal verhindert haben, dass überhaupt gar keine Überprüfung mehr grundsätzlich möglich ist. Und insoweit tragen wir einen Teil dieser Verantwortung, das ist vollkommen richtig. Aber wenn im Laufe der Zeit sich herausstellt, dass ein Gesetz nach wie vor Mängel hat und dass es einen Nachjustierungsbedarf gibt, dann muss man das also auch beantragen dürfen und muss den Finger in die Wunde legen.

    Und die Wunde ist in meinen Augen oder besteht in meinen Augen darin, dass es uns schon gelungen ist, deutlich zu machen, dass auch heute noch IMs in Bundesministerien vorhanden sind und dass zumindest in einem konkreten Fall, nämlich bezüglich der IM Helene, die im Bundeswirtschaftsministerium tätig ist, eben die Birthler-Behörde überhaupt gar keine Auskunft mehr geben kann. Und da haben wir einen konkreten Vorschlag gemacht, wie man in diesen Einzelfällen, wo ein konkreter Verdacht besteht, wie man das neu lösen könnte. Und darüber muss im Bundestag noch mal debattiert werden.

    Klein: Ja, Herr Waitz, dennoch, es ist so ein bisschen erstaunlich, zu welchem Sinneswandel Ihre Partei jetzt kommt. Also die Faktenlage ist ja, ich sag mal, 17 Jahre nach dem Umbruch in der DDR nicht eine so andere, wie jetzt nach 20 Jahren.

    Waitz: Also ich weiß nicht, inwieweit wir da also jetzt plötzlich zu einem Sinneswandel kommen. Unser Antrag ist ja auch kein Reflex jetzt auf das, was sich im Fall Kurras entwickelt hat, sondern unser Antrag ist jetzt schon über ein Jahr alt und ist das Resultat einer langen Arbeit an diesem Thema.

    Und ich denke, der Deutsche Bundestag muss hier, wenn es um Aufarbeitung geht, es nicht nur bei den Lippenbekenntnissen einzelner Abgeordneter belassen, sondern hier geht’s darum, dass also der Deutsche Bundestag eine Vorbildfunktion übernimmt und seine eigene Vergangenheit aufarbeitet und das klärt. Und das ist eine Basisarbeit, auf der dann die weitere zeitgeschichtliche Forschung aufbauen kann.

    Klein: Sehen Sie da Möglichkeiten, wie Sie die inhaltlichen Argumente der Gegner dieses Antrages jetzt zum Beispiel juristisch entkräften könnten? Gäbe es da Möglichkeiten?

    Waitz: Ja, da gibt es … Die Vorwürfe, die von der Gegenseite kommen, wir würden also hier nicht rechtsstaatlich agieren, sind vorgeschoben. Ich habe nicht den Eindruck, dass das sich an irgendeiner Stelle belegen lässt.

    Klein: Was sind denn die tatsächlichen Argumente dann dahinter, die Sie vermuten, wenn sozusagen ja wohl auch Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Thierse gegen diesen Antrag stimmen wollen?

    Waitz: Thierse geht unser Antrag zu weit. Herr Thierse ist einer derjenigen, die glauben, dass also hier die Aufarbeitung, zumindest was diesen Teil deutscher Geschichte anbelangt, abgeschlossen sein müsste. Ich vermute, dass aus politischer Sicht doch befürchtet wird, dass also bei der Aufklärung der Beeinflussung von Bundestagsabgeordneten durch die Stasi doch noch einige unerwartete Ergebnisse auftauchen könnten. Und ich denke, aus politischen Motiven versucht man das zu vermeiden.

    Klein: Sie haben jetzt, Herr Waitz, - ich glaube - zwei Beispiele genannt von konkreten Verdachtsmomenten. Ihr Antrag geht aber weiter. Was fordern Sie konkret, soll der Bundestag beschließen?

    Waitz: Der Deutsche Bundestag soll heute insbesondere beschließen, dass bezüglich der Legislaturperioden zwischen 1949 und 1989 aufgeklärt wird, in welchem Umfang die Staatssicherheit einzelne Abgeordnete als IMs angeworben hat. Das ist die wesentliche Basisarbeit.

    Darüber hinaus wollen wir, dass der Deutsche Bundestag veranlasst, dass in den Bundesministerien aufgeklärt wird, in welchem Umfang einzelne Beamte als Mitarbeiter der Staatssicherheit tätig gewesen sind. Wir wissen, dass in den beiden Fällen, die wir im letzten Jahr aufgedeckt haben, nach wie vor keinerlei Reaktionen der Behörden durchgeführt worden sind.

    Klein: Würden Sie sagen, dass, ich sag noch mal, 20 Jahre nach dem Ende der DDR und dem Ende der Stasi das Interesse in der Bundesrepublik alt und den Bundesbehörden sehr gering ist daran, dass man die Geschichte wirklich aufklärt?

    Waitz: Das kann man zumindest bis zum Fall Kurras sagen. In den letzten zehn Tagen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Problematik, die sich auch in unserem Antrag widerspiegelt, in der Bevölkerung angekommen ist, und dass die Bundesbürger es überhaupt nicht verstehen, dass der Deutsche Bundestag sich seiner eigenen Verantwortung in dieser Art und Weise zu entziehen versucht.

    Klein: Aber es ist schon erstaunlich, eine komplette systematische Aufklärung der Stasi-Aktivitäten im Westen wäre ja in den vergangenen zwei Jahrzehnten zumindest theoretisch denkbar und möglich gewesen?

    Waitz: Das ist richtig, die Frage ist nur, in welchem Umfang Sie denn die Möglichkeit haben, auf die Unterlagen der Birthler-Behörde Zugriff zu nehmen. Auch dort sind die Unterlagen dann also sehr, sehr selektiert und bearbeitet. Und wir haben nach wie vor die Situation, dass Teile der Archivbestände der Birthler-Behörde nach wie vor nicht zugänglich sind und noch nicht archivarisch bearbeitet sind.

    Klein: Das heißt, es würde aber dann auch erfordern, dass sozusagen das Gesetz zur Stasi-Unterlagenbehörde noch einmal verändert wird?

    Waitz: Ich sehe insbesondere die Verantwortung der Birthler-Behörde, dass die Archive schnellstmöglich aufgearbeitet werden und der Forschung zur Verfügung stehen, damit diese Zufallsfunde, wie sie jetzt im Fall Kurras aufgetaucht sind, möglichst der Vergangenheit angehören und wir ein tatsächliches Bild der Verhältnisse bekommen.

    Klein: Aber jetzt, wenn Sie sagen, Sie rechnen im Grunde genommen nicht mit einer Mehrheit im Deutschen Bundestag für Ihren Antrag, sehen Sie denn perspektivisch irgendeine Möglichkeit, auf einem anderen Wege, mit einem anders formulierten Antrag, wie auch immer, das Ziel einer nochmaligen Überprüfung und Aufklärung der Tätigkeit der Stasi im Westen in den vergangenen Jahrzehnten aufzuklären?

    Waitz: Also zu einen gibt es sicherlich die Möglichkeit, in der nächsten Legislaturperiode dieses Problem oder dieses Thema noch mal aufzugreifen, sicherlich dann also auch unter veränderten politischen Rahmenbedingungen mit neuen Koalitionsmöglichkeiten Vereinbarungen zu treffen.

    Der andere Punkt wird sicherlich der sein, dass man sich also auch als Partei seiner historischen Verantwortung stellen muss und möglichst auch versuchen muss, intern diese Geschichte, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Und da sind alle Parteien gefordert.

    Klein: Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag bringt heute einen Antrag ein mit dem Ziel, die Stasi-Verstrickungen im Deutschen Bundestag und in Bundesbehörden von 1949 bis 1989 aufzuklären. Wir sprachen mit dem Initiator des Antrages, Christoph Waitz, in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Waitz!

    Waitz: Ich danke Ihnen auch!