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FDP für Mindestlohn in tariffreien Bereichen

Die FDP sei für eine Lohnuntergrenze in den Bereichen, in denen es jetzt gegenwärtig keine Tarifverträge gibt, sagt Pascal Kober (FDP). Flächendeckende und branchenübergreifende gesetzliche Löhne seien aber aufgrund regionaler Unterschiede, zum Beispiel bei der Kaufkraft, nicht zielführend.

Pascal Kober im Gespräch mit Dirk Müller | 20.02.2013
    Dirk Müller: Die Sozialdemokraten und auch die Linken, sie wussten es schon lange: Ein Mindestlohn muss oder soll her für Deutschland, gesetzlich festgelegt und das flächendeckend. Die Grünen haben das irgendwann auch so gesehen. Nur die Union nicht, nur die FDP nicht. Allerdings seit ein paar Monaten wissen auch CDU und CSU, dass sie nun für eine Lohnuntergrenze sind. Nur die Liberalen sträuben sich noch. Doch selbst das soll nun nicht mehr gelten.
    Die FDP ist also offenbar jetzt auch für den Mindestlohn. Darüber sprechen wollen wir nun mit Pascal Kober, Obmann der FDP-Fraktion im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Guten Tag!

    Pascal Kober: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Kober, seit wann wollen die Liberalen, dass Menschen, die arbeiten gehen, davon auch vernünftig leben können?

    Kober: Also dieser Grundsatz ist immer schon Ziel der Liberalen gewesen, dass Leistung sich lohnen muss und dass gerade auch die kleineren und mittleren Einkommen steuerlich entlastet sind und dass mehr zum Leben bleibt und mehr zum eigenverantwortlichen Leben. Wir müssen aber auch realisieren, dass sich Löhne nur dann darstellen lassen, am Markt, vom Arbeitgeber, in Aushandlung mit dem Arbeitnehmer im Idealfall, von den Tarifparteien also, wenn dann auch ein Kunde da ist, der bereit ist, diese Dienstleistung oder dieses Produkt zu dem Preis dann, den es dann kostet, auch abzunehmen.

    Müller: Sie sagen, Herr Kober, darstellen lassen. Das heißt, die Friseurin in Jena mit 4,50 Euro Stundenlohn hat dann eben Pech gehabt?

    Kober: Na ja, das Problem ist: Entweder gibt es dann jemand, der sich für den Preis X, den die Leistung dann kostet, den der Haarschnitt dann kostet, sich auch die Haare schneiden lässt oder nicht. Wenn nicht, hat sie ihren Arbeitsplatz komplett verloren. Und seit der Jahrtausendwende sind wir uns eigentlich alle einig in der deutschen Politik, dass es wichtig ist, dass Menschen den Einstieg in Arbeit finden und dass arbeiten besser ist als nicht arbeiten und dass ein Arbeitsplatz, auch wenn man am Anfang vielleicht gering entlohnt ist, zumindest mal Aufstiegsperspektiven bietet. Insofern sollte man das nicht zu sehr diskreditieren.

    Die Taxifahrer-Branche ist die Branche, in der es am geringsten entlohnte Stundenlöhne gibt, und nur weil wir dort einen Mindestlohn einführen, bedeutet das ja nicht, dass mehr Leute Taxi fahren. Das Gegenteil wird der Fall sein. Insofern muss man auch immer im Blick haben, dass eine Lohnerhöhung, in welchem Bereich auch immer, dieses Produkt oder die Dienstleistung teurer macht und dann die Frage eben im Raum ist, wird sie dann auch noch in dieser Menge abgefragt. Heißt auf gut Deutsch: Bleiben die Arbeitsplätze erhalten, oder gehen sie nicht vielleicht auch zum Teil verloren.

    Müller: Arbeitsplätze teurer machen, Produkte teurer machen, heißt das automatisch Arbeitsplätze verlieren?

    Kober: Nein, eben nicht. Es gibt da einen Spielraum und allgemein üblich in unserer Wirtschaft und in unserem Arbeitsmarkt ist es, dass Tarifparteien genau diese Lohnhöhe jeweils in Verhandlungen miteinander finden, wo einerseits gewährleistet ist, dass die Mitarbeiterinnen und Arbeiter Anteil haben an der Wertschöpfung und am Gewinn des Unternehmens und andererseits genügend übrig bleibt, damit wieder reinvestiert werden kann und die Dienstleistung oder das Produkt langfristig verbessert werden kann, dass die Kunden bei der Stange bleiben. Das ist Aufgabe der Tarifparteien, das funktioniert in den weit überwiegenden Fällen in Deutschland fabelhaft und da gibt es auch nichts zu kritisieren. Die Tarifpartner können das und die müssen das tun. Wir reden ja jetzt über einen Bereich, wo es diese Tarifparteien nicht gibt, da muss man eine andere Lösung finden.

    Müller: Darum geht es ja jetzt, inwieweit die Liberalen sich jetzt offenbar in diese Richtung bewegt haben, dort Zugeständnisse zu machen. Aber noch eine Frage vorweg, Herr Kober, wenn wir bei diesem Thema sind, beziehungsweise die Frage nach einer gerechten oder auch menschenwürdigen, moralethisch legitimierten Entlohnung. Wenn die Unternehmer selbst entscheiden können, weil sie beispielsweise aus der Tariflandschaft ausgestiegen sind, und der Arbeitnehmer darauf angewiesen ist, bei diesem Unternehmen zu arbeiten, dann hat er schlechte Karten?

    Kober: Genau um diese Bereiche des Arbeitsmarktes geht es. Es ist nicht das allgemein übliche im Arbeitsmarkt, aber es gibt die sogenannten weißen Flecken, von denen Sie sprechen, und genau für die müssen wir eine Lösung finden. Da trete ich schon länger innerhalb der FDP dafür ein und ich freue mich, dass wir jetzt insgesamt, nachdem wir einiges in dieser Legislaturperiode auch schon abgearbeitet haben, gemeinsam dieses Thema jetzt in Angriff nehmen wollen und mit der Union einen gangbaren Weg formulieren.

    Müller: Werden diese weißen Flecken, das heißt dort, wo Unternehmer und damit auch zum größten Teil die Beschäftigten, die Arbeitnehmer nicht tariflich organisiert sind, werden diese weißen Flecken immer größer in Deutschland?

    Kober: Ich glaube nicht, dass die immer größer werden, aber wir müssen auf jeden Fall in diesem Bereich etwas tun, damit die, die da schon sind, die da vorhanden sind, dass sich dort in diesen Bereichen einfach etwas verbessert im Sinne der Leistungsgerechtigkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und das ist unser Ziel.

    Müller: Sagen Sie uns wie konkret?

    Kober: Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Wir haben ja jetzt schon ein bestehendes Instrumentarium, beispielsweise das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Das kommt nicht in Anwendung gegenwärtig. Da muss man prüfen, was an diesem Gesetz so gestaltet ist, dass es nicht in Anwendung kommt: Kann man es vielleicht gängiger machen, kann man es erleichtern. Oder sollte man einen ganz neuen Weg beschreiten, wie ihn die Union sich vorstellt, dass eine Kommission eingesetzt wird. Wohl gemerkt: Im Mindestarbeitsbedingungengesetz gibt es ja auch eine Kommission, die heißt dort Hauptausschuss. Also soll man einen neuen Weg gehen, wie ihn die Union vorschlägt? Da sind wir offen ...

    Müller: Also für die einzelnen Branchen, wenn ich das richtig verstanden habe?

    Kober: Der Vorschlag der Union bedeutet, dass diese Kommission selbstständig und frei entscheiden kann, in welchen Branchen, in welchen Regionen sie welche Lohnuntergrenzen festlegt. Da ist die Kommission völlig frei.

    Müller: Aber spezifisch eben?

    Kober: Spezifisch. Aber sie kann natürlich auch in ganze Regionen übergreifende Lohnuntergrenzen für Branchen definieren und sie kann auch mehrere Branchen zusammenfassen. Das kann die Kommission laut Unions-Modell alles frei entscheiden. Nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz wäre es branchenspezifisch, da kann immer nur innerhalb einer Branche ein Antrag gestellt werden und eine branchenübergreifende Lösung wäre nicht möglich. Das muss man alles prüfen, was da der gangbarste Weg ist. Ziel muss sein Leistungsgerechtigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite dürfen nicht Arbeitsplätze verloren gehen oder die Einstiegshürden in den Arbeitsmarkt so hoch werden, dass Menschen dann vom Arbeitsmarkt dadurch ausgeschlossen werden.

    Müller: Wie wichtig ist das für die FDP, dieses umstrittene Thema in der Bundesrepublik mit deutlichen Umfragemehrheiten zu Gunsten von Mindestlöhnen jetzt im Vorfeld oder mitten im Wahlkampf, je nachdem, wie man das definieren will, abzustreifen beziehungsweise für sich zu definieren?

    Kober: Ich halte das für ein sehr wichtiges Thema für die FDP vor dem Hintergrund, dass wir für ein Gesellschaftsbild eintreten, wo Leistung sich lohnen muss, eine Gesellschaft, in der die Menschen, wenn sie etwas tun, auch davon einen Vorteil haben. Das gehört zu unserem Menschenbild, dass wir denen an der Seite stehen, die sich anstrengen, die morgens aufstehen, die wirklich rödeln und hart arbeiten. Die dürfen wir nicht allein lassen, das gehört zu unserem Gesellschaftsbild. Wir sind nicht etwa nur für bestimmte Klassen sozusagen der Gesellschaft da, sondern wir sind für alle da ...

    Müller: Das sagen Sie immer in der Politik, in der Praxis wird das ja häufig bezweifelt.

    Kober: Ja, das wird bezweifelt.

    Müller: Ihr Parteichef sieht das auch so, Herr Kober, damit wir das hier festhalten können? Wir können also durchaus jetzt sagen, die FDP ist für den Mindestlohn?

    Kober: Die FDP ist für einen Mindestlohn, für eine Lohnuntergrenze in den Bereichen, in denen es jetzt gegenwärtig keine Tarifverträge gibt. Das kann man festhalten und gleichzeitig kann man festhalten, dass die FDP es nicht für zielführend erachtet, dass wir flächendeckende gesetzliche, also von der Politik, vom Staat festgelegte Löhne wollen, auch nicht branchenübergreifend einheitlich, weil das auch nicht zielführend ist. Sie müssen ja sehen: Wenn die Opposition 8,50 Euro deutschlandweit über alle Branchen hinweg fordert, das ist ja ein Modell, das klingt auf den ersten Blick gut. Man muss sich aber klar machen, dass 8,50 Euro in meinem süddeutschen Wahlkreis beispielsweise eine ganz andere Kaufkraft haben, ein ganz anderes Leben ermöglichen als beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern. Dort können Sie mit 8,50 Euro unter Umständen wesentlich mehr anfangen. Das heißt, an der Stelle merken Sie ja schon, dass dieser einheitliche flächendeckende Mindestlohn eine Gerechtigkeitslücke jedenfalls nicht schließt, sondern er reißt eine neue auf, und das zeigt, dass das zumindest mal aus guten Gründen auch zu hinterfragen ist.

    Müller: Herr Kober, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch. Heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk Pascal Kober, Obmann der FDP-Fraktion im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Danke und auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.