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FDP: Geltendes Versammlungsrecht völlig ausreichend

Nach Ansicht des FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhard reicht das geltende Recht völlig aus, am 8. Mai eine Neonazi-Demonstration am Brandenburger Tor zu verbieten. Er gab außerdem zu Bedenken, dass die NPD wieder "Oberwasser" gewinnen würde, wenn sich das verschärfte Versammlungsrecht als nicht verfassungsgemäß herausstellen würde.

Moderation: Wolfgang Koczian |
    Wolfgang Koczian: Der Bundestag hat am Vormittag eine Verschärfung des Versammlungsrechtes beschlossen. Vordergründig spricht die Staatsräson dafür, auf den zweiten Blick fordert die Verfassungsgemäßheit, nicht Freiheitsrechte zu opfern, nur damit sie die Feinde der Freiheit nicht missbrauchen können. Eine schwierige Gratwanderung also. Heribert Prantl, in Fachkreisen respektvoll der "dritte Senat des Bundesverfassungsgerichtes" genannt, bezeichnet es als das einzige Wunder der 13. Legislaturperiode, dass der Versuch der Union durch einen Paragraphen 190b Strafgesetzbuch, das Ansehen der Bundeswehr vor Meinungsfreiheit zu schützen, am Grundrechtverständnis des liberalen Koalitionspartners scheiterte. Was in diesem Konflikt leicht nachvollziehbar erscheint, gerät komplex, wenn der braune Sumpf als Nutznießer ausgemacht werden könnte. Am Telefon in Berlin begrüße ich den Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Wolfgang Gerhard. Wie wollen Sie dem Eindruck begegnen, mit der Gegnerschaft zur Verschärfung des Versammlungsrechtes fischten Sie um Sympathien am rechten Rand?

    Wolfgang Gerhard: Das ist ein so barer Unsinn, dass das von ernst zu nehmenden Menschen so nicht aufgenommen wird. Und der zweite Punkt ist, dass das geltende Recht nach unserer Überzeugung völlig ausreicht, um zum Beispiel am 8. Mai, wenn eine Demonstration angemeldet würde am Brandenburger Tor, die auch zu verbieten. Dazu gibt es im Übrigen aus einem anderen Gedenktag heraus auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Was gegen die Menschenwürde verstößt, kann nach Paragraph 15 Versammlungsgesetz verboten werden.

    Koczian: Aber wie erklären Sie sich, dass die anderen Parteien offenbar diese Auffassung nicht teilen?

    Gerhard: Das hat es auch schon bei anderen Gesetzen gegeben. Ich glaube, dass die Schärfe der Nachprüfung der jetzigen Möglichkeiten bei anderen Parteien nicht rechtzeitig vorgenommen worden ist. Und ich glaube auch, dass man sich mit dieser Verschärfung des Versammlungsrechts etwas entledigen will, der Niederlage, die man im NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten hat.

    Koczian: Blicken wir nun auf diese Vorstellung von Neonazi-Aufmärschen am Brandenburger Tor. Die Staatsräson muss doch da was dagegen haben.

    Gerhard: Ja natürlich haben wir was dagegen, wir wollen die dort auch nicht sehen. Aber es geht auch nach dem heutigen Versammlungsrecht, das zu verbieten. Das haben wir im Übrigen schon einmal erfolgreich durch das Bundesverfassungsgericht erlebt. Mich erinnert dieses Vorgehen an Aktionismus. Was sagen denn die, die jetzt mit Mehrheit beschlossen haben, wenn die jetzige Regelung, die eine Vielzahl von Stätten in den Ländern verbietet, als nicht verfassungsfest festgehalten wird? Dann hat die Seite, die wir maßgeblich bekämpfen wollen nach dem NPD-Verbotsverfahren, eher wieder Oberwasser. Das ist eine Frage der Zivilgesellschaft, die sich mit Nazis auseinander setzen muss, mit solchen Aufmärschen, mit solchen Entwicklungen in der Biografie eines Menschen. Das betrifft Elternhäuser, Familien, Schulen, Lehrer, jeden auf der Straße, jeden am Arbeitsplatz, aber doch nicht allein das Versammlungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland.

    Koczian: Faktisch heißt das auch, dass letztlich nach wie vor der Gang durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit über die Genehmigung einer Demonstration entscheiden wird. Wir kennen das ja: die untere Gerichtsebene, dann die nächst obere und dann zum Schluss wahrscheinlich das Bundesverwaltungsgericht. Kann das nicht vereinfacht werden oder wäre das bereits eine Gesetzesverletzung?

    Gerhard: Also das Demonstrationsrecht, das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut. Dass das natürlich von Gruppen in einer Demokratie genutzt wird, deren Meinungen uns nicht passen, das ist nun mal hinzunehmen. Aber wir können doch jetzt nicht wahllos überlegen, wie wir mit dem Versammlungsrecht umgehen. Eine Demokratie muss verrückte Auffassungen aushalten. Wenn sie menschenunwürdig sind, wenn sie das Ansehen Verstorbener nicht beachten, dann können wir das verbieten, da reicht das Rechtssystem aus. Und in einem Rechtsstaat ist es nun einmal so, dass Gerichte entscheiden.

    Koczian: Man sprach ja mal von der "Abstimmung mit den Füßen". Wäre es möglicherweise eine Lösung, wenn am 8. Mai sehr viel mehr andere auf der Straße wären auch in der Nähe des Brandenburger Tores als Neonazis?

    Gerhard: Ja natürlich. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich am 8. Mai vor dem Brandenburger Tor mich hinstelle, bin ich jederzeit dabei. Das ist aber nicht nur eine Frage des Stehens am Brandenburger Tor am 8. Mai, das ist ein Stehen einer Zivilgesellschaft in jedem Freundes- und Bekanntenkreis, in jedem privaten Gespräch, bei manchen nachlässigen Bemerkungen auch am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit von Kolleginnen und Kollegen bis hinein in Freundeskreise. Das ist nicht nur eine Frage des 8. Mai oder des Versammlungsrechts. Die Weimarer Republik hatte gute Grundlagen, aber die Gesellschaft muss auch sich selbst und die verfassungsrechtlichen Grundlagen tragen und wehrhaft sein.