Archiv


"FDP ist derzeit in einer ziemlich desaströsen Lage"

Die FDP werde derzeit in der Öffentlichkeit als zerstritten wahrgenommen, sagt der Politologe Everhard Holtmann. Das sei "eine denkbar schlechte Voraussetzung, um bei Wahlen Erfolg zu haben". Der Partei fehle darüber hinaus mit Guido Westerwelle der Außenamtsbonus, da der Außenminister von vielen FDP-Mitgliedern als "Problem" empfunden werde.

Everhard Holtmann im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wir bleiben beim Thema Mecklenburg-Vorpommern, beim Sieg der SPD, bei der Niederlage der CDU und bei einem desaströsen Wahlabend für die FDP. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Politikwissenschaftler Professor Everhard Holtmann von der Universität in Halle. Guten Morgen!

    Everhard Holtmann: Schönen guten Morgen.

    Müller: Herr Holtmann, wir haben es leider nicht geschafft, an diesem Morgen jemanden von der FDP zu finden für dieses Interview. Dafür sind Sie jetzt da. Herzlichen Dank noch einmal, dass Sie so schnell eingesprungen sind. – Wie geht das weiter mit der FDP?

    Holtmann: Nun, die FDP ist derzeit in einer ziemlich desaströsen Lage. Sie wird ja nicht zu Unrecht von dem überwiegenden Teil der Bevölkerung als zerstritten wahrgenommen, und das ist nach den Regularien der politischen Kultur in Deutschland immer eine denkbar schlechte Voraussetzung, um bei Wahlen Erfolg zu haben. Und es ist auch nicht recht absehbar, wie die FDP sich aus diesem ihrem Tief, was ja nicht zuletzt mit ihrer mangelnden Glaubwürdigkeit als Partei, als Verkünder von sachlichen Botschaften zusammenhängt, wieder befreien kann. Sie muss gewissermaßen wahrscheinlich jetzt auch erst mal bis zum Ausgang der nächstfolgenden Landtagswahlen in Berlin auf der Stelle treten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jetzt zu einer Auswechslung von prominentem Personal oder einem hastigen Umsteuern kommen wird. Also: Die Ratlosigkeit ist sicherlich allenthalben spürbar.

    Müller: Sie sagen, der Streit ist einer der entscheidenden Gründe. Es gibt aber auch einen Kompetenzverlust, einen Vertrauensverlust.

    Holtmann: So ist es.

    Müller: Warum ist die FDP so weit gegangen?

    Holtmann: Nun, sie hat sich gewissermaßen im Nachgang der letzten Bundestagswahlen ja doch sehr stark als Steuersenkungspartei profilieren wollen. Das barg in sich schon das Risiko, dass man gewissermaßen zur Ein-Themen-Partei in der öffentlichen Wahrnehmung mutiert, und diese Forderung in einer Gesamtsituation erheben, die bekanntermaßen durch die Folgen der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise mit den Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte gar nicht dazu angetan sein kann, über Steuersenkungen ernsthaft nachzudenken, damit hat sie sich gewissermaßen in eine Sachkompetenzfalle manövriert, aus der sie auf absehbare Zeit so jedenfalls nicht wieder hinauskommt. Das zeigen ja auch die fast hilflosen Versuche, etwa jetzt am Soli herumzudeuteln, und Ähnliches mehr. Das Veto, was der Bundesfinanzminister in diesem Punkt sozusagen unter minimaler Berücksichtigung der Koalitionsräson eingelegt hat und weiter einlegen wird, das wird für die Durchsetzung dieser Forderung sicherlich eine hohe Sperre sein.

    Müller: Ist Philipp Rösler kaum im Amt auch schon wieder ein Problem für die FDP?

    Holtmann: Ein Problem allenfalls daran, dass er sich an seinen selbst gesetzten Forderungen, liefern zu wollen, und das heißt ja, doch auch die FDP wieder ein Stück aus dem demoskopischen Tal heraufzuholen, messen lassen muss. Das ist ihm bisher nicht gelungen. Auf der anderen Seite: Wer soll es denn nach Rösler machen? Das Personaltableau der FDP ist, was nachrückende Führungsgenerationen, die vorzeigbar sind im Sinne der positiven öffentlichen Wahrnehmung und des Bekanntheitsgrades, denkbar dünn.

    Müller: Ist Guido Westerwelle immer noch ein Problem?

    Holtmann: Ich denke, dass er in einem wachsenden Teil der FDP als ein solches gesehen wird. Das hat damit zu tun, dass ja normalerweise, wenn wir also in längeren Zeiträumen denken, der kleine Koalitionspartner, der ja auch häufig dann das Außenamt hatte, in diesem Außenamt mit der dortigen Person hat punkten können. Das ist bei Guido Westerwelle nicht der Fall. Also der Außenamtsbonus fehlt der FDP ganz sicher, und von daher ist nicht auszuschließen, dass es auch hier zu Änderungen kommt, wie sich ja in den vorangegangenen innerparteilichen Konflikten auch schon anzubahnen schien. Ich denke aber, der Zeitpunkt dafür ist frühestens nach den Landtagswahlen in Berlin.

    Müller: Dann ist das politisch opportuner, eventuell erfolgreicher, ihn dann erst abzusetzen, oder eventuell mit einem neuen Mann in die nächsten Wahlen zu gehen?

    Holtmann: Ja, das ist der Fall. Politik kann ja manchmal auch eine sehr harte Angelegenheit für die beteiligten Akteure sein. Der Zeitpunkt nach der Wahl in Berlin – auch dort ist es ja so, dass die FDP unter der Fünfprozentmarke derzeit in den Umfragen rangiert. Man kann also dann, wenn es erst zu diesem Zeitpunkt zu einem Personenwechsel kommt, die Verantwortung für alle diese desaströsen Ergebnisse dann gleich bei derselben Person mit abladen.

    Müller: Wie groß, Herr Holtmann, ist das Problem bei der CDU beziehungsweise Union?

    Holtmann: Nun, für die Union ist es zunächst einmal ein nach dem gestrigen Wahltag regionales Problem, eine Kette, kann man sagen, von regionalen Problemen, die ja bisher noch nicht auf den Bundestrend umschlagen. Wir erleben ja derzeit demoskopisch eine Schere zwischen wachsender Zustimmung für die Union auf der Bundesebene. Das hat möglicherweise auch etwas mit dem alten Mechanismus, dem alt bekannten Mechanismus zu tun, dass in Zeiten der Krise (in diesem Falle Stichwort Eurokrise) sich die Bevölkerung doch eher stark um die Exekutive, also um die Regierung schart. Aber Angela Merkel wird mit jeder Landtagswahl, die sie verliert, auch ein innerparteiliches, ein stärkeres innerparteiliches Problem bekommen, denn die CDU-Basis ist mit Sicherheit unruhig, nicht nur in den Ländern, wo Wahlniederlagen zu verdauen sind, sondern bestimmte politische Kehrtwenden, Stichwort Atomenergie, oder auch die sich abzeichnende Verabschiedung von einem bildungspolitischen Fundamentalbekenntnis zum gegliederten Schulsystem, alles dieses verunsichert die Partei. Und, wenn dann noch die psychologischen Effekte von Wahlniederlagen hinzukommen, dann bekommt die Parteivorsitzende mit Sicherheit ein Problem.

    Müller: Wenn wir beim Thema Krisenbewältigung zum Schluss des Interviews bleiben, Professor Holtmann, macht die Kanzlerin ein gutes Krisenmanagement?

    Holtmann: Nun, ich bin nicht sozusagen berufen und befugt, der Kanzlerin Noten zu erteilen.

    Müller: Können Sie doch mal machen heute Morgen.

    Holtmann: Ich denke, dass in der Kontinuität der bisherigen auch erfolgreichen Versuche, die ja bis in die Zeit der Großen Koalition zurückreichen, dieses ungeheuer schwierige Geschäft, in dieser Situation, in dieser europäischen Krise auf Kurs zu bleiben, bisher von Deutschland ganz gut gemanagt worden ist. Ich denke, da muss es auch nicht immer zu spektakulären öffentlichen Aktionen wie in anderen Ländern und bei anderen Staatsoberhäuptern der EU kommen müssen, um Effektivität nachzuweisen, und so gesehen, denke ich, kann man der Kanzlerin in diesem Punkt bisher nicht unbedingt hart am Zeuge flicken.

    Müller: Der Politikwissenschaftler Professor Everhard Holtmann von der Universität in Halle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Holtmann: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.