FDP in der Krise
Hat der Liberalismus eine Zukunft?

Die FDP ist nach der Bundestagswahl in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Nun soll Christian Dürr als Vorsitzender die Partei aus dem Umfragetief führen. Wie kann Liberalismus wieder attraktiv werden – und kann dies die FDP leisten?

    Männer in Anzügen stehen nachdenklich im Gespräch beieinander: Christian Dürr, designierter FDP-Parteichef, und Marco Buschmann, FDP-Generalsekretär, beim Bundesparteitag der FDP.
    Der neue FDP-Parteichef Christian Dürr (Mitte) im Gespräch mit Marco Buschmann: Beim ersten Parteitag der Freien Demokraten nach dem Scheitern bei der Bundestagswahl soll über den weiteren Kurs der Partei abgestimmt werden. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die FDP war bis zum Bruch der Ampelkoalition im Herbst 2024 mit an der Regierung. Bei der darauffolgenden Wahl flog sie dann aus dem Bundestag. In Umfragen steht sie bei knapp vier Prozent. Die Partei scheint, in die politische Irrelevanz abgedriftet zu sein.

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    „Der Liberalismus ist in einer tiefen Krise. Die FDP ist an einer tiefen Krise“, sagt auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, stellvertretende Vorsitzende der FDP nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, früher Justizministerin und seit über 45 Jahren Parteimitglied.
    Zieht die liberale Idee in Deutschland im Jahr 2025 einfach nicht mehr oder hat die FDP die Idee nur nicht überzeugend umgesetzt?

    Für welche Form von Liberalismus steht die FDP?

    Die FDP schien bis vor Kurzem auf eine Person hinauszulaufen: Parteichef Christian Lindner. Und auf ein Thema: Schuldenbremse. Die Partei fokussierte sich also vor allem auf wirtschaftsliberale Inhalte. Das Image der FDP war zuletzt das einer Partei für Besserverdiener, Apotheker, Zahnärzte, Porsche-Fahrer.
    Aus Sicht des Politikwissenschaftlers Wolfgang Schröder hat die FDP die Idee des Liberalismus nicht überzeugend vertreten und sich „wenig um die Weiterentwicklung der liberalen Idee und Praxis gekümmert“. Stattdessen habe die Partei eine zutiefst dogmatische, fast orthodoxe Positionierung im ökonomischen Bereich praktiziert und damit der liberalen Idee einen Bärendienst erwiesen.
    Aber auch etablierte liberale Politiker kritisieren den bisherigen Kurs der Partei. Wie beispielsweise Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Liberalismus dürfe nicht nur als eine wirtschaftliche wichtige Entwicklung gesehen werden, betont sie. „Sondern er hat nur einen Platz, wenn man Wirtschaft und Bürgerrechte zusammennimmt und das als ein Konzept vertritt.“
    Ähnlich sah dies Gerhart Baum. Der im Februar 2024 verstorbene Politiker war eine der prägendsten Figuren der FDP und einer der letzten lautstarken Vertreter des linksliberalen Flügels der Partei. Bereits vor zwei Jahren mahnte er: „Wir waren einer Meinung, dass dieser Staat ein Sozialstaat ist, dass wir einen sozialen Liberalismus vertreten müssen.“ Sein Appell: „Wir brauchen auch ein Zusammenhaltsgefühl, ein Miteinander. Neben allen rationalen Überlegungen müssen die Menschen das Gefühl haben, dass wir ihre Lage verstehen.“

    Was steckt überhaupt hinter der liberalen Idee?

    Judith Nisse Shklar, eine der bedeutendsten Liberalismus-Theoretikerinnen des 20. Jahrhunderts, erklärte die Idee so: Jeder erwachsene Mensch sollte in der Lage sein, ohne Furcht und Vorurteil so viele Entscheidungen über sein Leben zu treffen, wie es mit der Freiheit eines anderen vereinbar ist.
    Der politische Liberalismus stellt also die individuelle Freiheit jedes einzelnen Menschen in den Vordergrund – dazu gehören Eigenverantwortung sowie freie Entfaltung. Außerdem soll eine Bevormundung durch staatliche Einrichtungen minimiert werden. Der Wirtschaftsliberalismus betont außerdem die Selbstregulierung der Wirtschaft auf der Basis persönlichen Eigentums.
    Der Philosoph Berthold Oelze verweist in dem Zusammenhang auf zwei Sichtweisen auf liberale Ideen. Man könne den Liberalismus einerseits als eine Rationalisierung verstehen, „die nur dazu dient, zu bemänteln, dass die Menschen von Habgier getrieben sind und nur ihre eigennützigen Ziele verfolgen“. Denn im Liberalismus werde natürlich gelehrt, dass Eigennutz und Gemeinnutz sich nicht ausschließen.
    „Auf der anderen Seite verdanken wir dem Liberalismus Freiheit, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Toleranz.“ Und die schärfste Kritik am Totalitarismus sei von Liberalen geäußert worden. Viele andere Intellektuelle seien dagegen „nicht nur auf den Nationalsozialismus hereingefallen und haben sich ihm angedient. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich ja auch viele dem Kommunismus angedient und den Stalinismus verharmlost. Und der Liberalismus – was immer man von ihm hält – bietet ein Bollwerk gegen den Totalitarismus, ob er nun von links oder von rechts kommt.“

    Steckt der Liberalismus in der Krise und wie kann er politisch fortbestehen?

    Basierend auf philosophischen Denkern wie John Locke, Montesquieu und Immanuel Kant ist der Liberalismus eine rationalistische Theorie, die vor allem auf pragmatische Vernunft setzt.
    Darin sieht der Grünen-Politiker und Gründer des Thinktanks „Zentrum für liberale Moderne“ Ralf Fücks eines der tieferliegenden Probleme: Der Liberalismus habe bisher „keine Antworten auf Gefühle in der Politik und auf die Macht der Emotionen gefunden“. Politik aber werde – verstärkt durch die sozialen Medien – immer mehr durch Emotionen, durch Populismus bestimmt. Weltweit erstarken antiliberale Kräfte – beispielsweise in China, Russland, der Türkei, aber auch in den USA.
    Auch in Deutschland besteht eine Gefahr für die liberale Demokratie, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder. „Weil es so eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen gibt, weil es eine Sehnsucht nach autoritären Dispositionen gibt.“
    Ähnlich sieht es die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. „Ich glaube, diese Bedeutung von Freiheit, für die ja über Jahrhunderte unglaublich gekämpft werden musste, wird heute gar nicht so wertgeschätzt“, sagt sie. Stattdessen würde diese Errungenschaft als selbstverständlich hingenommen. „Und wenn man Gefahren sieht, dann wird zuallererst an den Staat gedacht oder an eine starke Persönlichkeit: an den, der sich durchsetzt, mit großen Ellenbogen. Und das ist natürlich eine vollkommen falsche Entwicklung.“ Deswegen würde gerade jetzt liberale Politik dringend benötigt.
    Doch kann dies die FDP bieten? So wie die Partei bisher aufgestellt ist – wohl kaum, meint zumindest der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder. „Die FDP in der Form, wie sie in der Regierung agiert hat und wie sie sich um die Weiterentwicklung der Liberalität gekümmert hat, ist komplett überflüssig.“ Er plädiert stattdessen für „eine Stärkung der liberalen Kräfte in den Parteien der Mitte“.

    Wohin steuert die FDP?

    Die FDP hat auf ihrem Parteitag in Berlin nun eine neue Führung gewählt. Der bisherige Vorsitzende Christian Lindner gibt das Amt nach zwölf Jahren ab. Sein Nachfolger ist der frühere Fraktionsvorsitzende Christian Dürr.
    Lange hatte Dürr nach der passenden Besetzung für den Posten des Generalsekretärs gesucht. Nun soll die Unternehmerin Nicole Büttner das Amt übernehmen. Die Managerin aus dem KI-Bereich ist zwar seit etwa 20 Jahren Parteimitglied, hat aber keine Erfahrung in struktureller Parteiarbeit.
    Neben dem großen personellen Wechsel soll auch eine programmatische Neuausrichtung durch den Bundesvorstand geben. Dazu sagte Dürr im ZDF, die FDP wolle sich an Familien der Mitte richten, die extrem hart arbeiteten. Man wolle mit einem neuen Grundsatzprogramm die Frage beantworten, wie diese Familien sich etwas leisten könnten. „Wir müssen schauen: Was bewegt die Menschen - und eine Antwort finden“, betonte auch FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
    Doch steht Dürr wirklich für einen Neuanfang? Auch er war jedenfalls Teil des gescheiterten Lindner-Teams.

    lkn