Dienstag, 19. März 2024

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FDP-Parteitag
Politologe Jun: FDP wird eher von Männern bestimmt

Nach wie vor ist der Frauenanteil in der FDP-Bundestagsfraktion relativ gering, kritisierte Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier, im Deutschlandfunk. Wenn auch nicht mehr so stark, nehme Christian Lindner noch immer eine relativ dominante Stellung innerhalb der Partei ein.

Uwe Jun im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.09.2020
FDP-Chef Christian Lindner auf dem FDP-Bundesparteitag am 19.09.2020
Eine missglückte Regierungsbildung wie im Jahr 2017 könne sich die FDP kein zweites Mal leisten, sagte Uwe Jun. (dpa / Bernd von Jutrczenka)
Nach dem missglückten Versuch der Regierungsbildung 2017 leuchtet der Stern Christian Lindner in der FDP nicht mehr so hell, sagte Uwe Jun. Ein Ablehnen eines Regierungsbündnisses werde sich die Parteiführung nicht ein zweites Mal leisten können.
Die FDP müsse zudem erkennen, so der Politologe, dass die Grünen ein möglicher Koalitionspartner seien, wenn sie denn die Chance haben wolle, in Regierungsverantwortung zu gelangen.
Über den neuen Generalsekretär der FDP, Volker Wissing, sagte Jun: "Wissing ist auf jeden Fall rhetorisch sehr gewandt, und er ist ein guter Wahlkämpfer." Schließlich habe Wissing in Rheinland-Pfalz eine Ampelkoalition wesentlich mitinstalliert und könne für eine Öffnung der FDP hin auch zu anderen Koalitionskonstellationen stehen.
Lage der FDP - "Nicht alles an Christian Lindner abladen"
FDP-Chef Christian Lindner habe Thüringen "vermasselt", sagte die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Dlf. Es habe "falsche Entscheidungen oder Einschätzungen" gegeben. Aber Lindner solle jetzt die Chance haben, sich in einem Team in eine bessere Position zu bringen.
Christiane Kaess: Wir können jetzt sprechen mit Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier. Guten Tag, Herr Jun!
Uwe Jun: Guten Tag, Frau Kaess!
Kaess: Es steht nicht gut in den Umfragen für die FDP – was kann dieser Parteitag bewirken?
Jun: Nun ja, er ist so eine Art Auftakt für den Wahlkampf der Partei. Man kann ja sagen, dass die Parteien so langsam in den Wahlkampfmodus schon übergehen – wir haben ja noch mal ein Jahr nur noch Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl. Er soll jetzt so eine Art Aufbruchstimmung signalisieren mit der Wahl des neuen Generalsekretärs, auch mit neuer Führungsspitze um Christian Lindner herum, und er soll zeigen, dass die FDP eben die Partei der Wirtschaftskompetenz ist und, wie es ja auch schon in dem Bericht zum Ausdruck kam, der wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Solidität.
Der Politikwissenschaftler Uwe Junt
Der Politikwissenschaftler Uwe Jun (picture alliance / dpa: Birgit Reichert)
Kaess: Volker Wissing, der eben wohl neuer Generalsekretär wird, der hat gesagt: "Der Kern unserer politischen Idee ist der Schutz der Entscheidungsfreiheit des Individuums, wir müssen die Menschen für diesen Kern begeistern." Ist es wirklich der Liberalismus, der der FDP fehlt?
Jun: Na ja, es ist natürlich jetzt ein Grundsatzbekenntnis, das Volker Wissing hier zum Individualismus, zum Individuum ausspricht. Das ist etwas, was man von der FDP schon kennt, und es fehlt ihr eigentlich nicht, denn das hat auch schon Christian Lindner in der Vergangenheit hervorgehoben, dass das eben den Kern der FDP-Politik ausmacht. Insofern ist das nichts grundlegend Neues, was Volker Wissing uns hier verrät, aber er will natürlich darauf aufmerksam machen, dass gerade in solcher Krisenzeit, wie wir sie derzeit erleben, dem Individuum möglichst mehr Freiheitsspielraum gegeben werden soll. Das heißt eben aus Sicht der FDP nicht so viel staatliche Gängelung, und das konnten wir hören eben, dass Lindner auf jeden Fall einen zweiten Shut- oder Lockdown vermeiden möchte, also sich dagegen ausspricht.
Jun: Teuteberg habe nicht das erbracht, was sich Lindner erhofft hat
Kaess: Glauben Sie, das wäre die Botschaft, die beim Wähler ankommt?
Jun: Ja, sie ist etwas schwierig formuliert. Die FDP wird da sicherlich noch etwas gängigere Slogans finden müssen, in denen sie das umsetzt, nicht so sperrige Formulierungen, wie sie da Herr Wissing verwendet. Am Ende wird es darum gehen, zu zeigen, dass man für Modernität steht – das hat ja Lindner mit der Digitalisierung mal wieder zum Ausdruck gebracht –, und dass man eben für finanz- und wirtschaftspolitische Solidität steht, und das muss man in entsprechende Slogans natürlich fassen.
Kaess: Es geht jetzt im Moment viel um Personalien. War Linda Teuteberg tatsächlich die Falsche als Generalsekretärin?
Jun: Teuteberg hat nicht das erbracht, was sich Christian Lindner von ihr erhofft hat. Da waren Wahlniederlagen im Osten, und da hat man sie ja wesentlich auch dafür in die Verantwortung genommen, dass das nicht so gut lief. Sie hat auch der FDP keine klare Kontur geben können, eben gerade, was das Wirtschaftspolitische, Finanzpolitische betrifft. Da war sie eben nicht so gut aufgestellt, das war nie so ihr spezielles Feld. Das hat Lindner dann erkannt, dass sie damit eben kein Zugpferd für die Partei darstellt.
Neuer FDP-Generalsekretär - Christian Lindners Ein-Mann-Show
Nach nur 16 Monaten im Amt setzt FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner seine Generalsekretärin vor die Tür. Linda Teuteberg war eine Fehlbesetzung, kommentiert Klaus Remme. Ein gutes Jahr vor der Wahl stehe die FDP alles andere als auf sicheren Füßen. Das liege aber nicht in erster Linie an Teuteberg.
Kaess: Und der Vorwurf war auch, sie sei nicht genügend angriffslustig gewesen. Kann Volker Wissing das besser?
Jun: Wissing ist auf jeden Fall rhetorisch sehr gewandt, und er ist ein guter Wahlkämpfer, das hat er in Rheinland-Pfalz gezeigt. Er ist jemand, der durchaus zugespitzt formulieren kann, der gut in Wahlkämpfen auftreten kann und der eben genau dieses Themenfeld – Wirtschafts- und Finanzpolitik – besetzt. Das sind die Vorzüge, die er aufbietet, und er hat Exekutiverfahrung. Und noch was Weiteres kommt hinzu: Er hat ja in Rheinland-Pfalz, in Mainz, eine Ampelkoalition wesentlich mitinstalliert, und er könnte für eine Öffnung der FDP hin auch zu anderen Koalitionskonstellationen stehen.
"Der Frauenanteil in der Bundestagsfraktion ist relativ gering"
Kaess: Da können wir gleich noch ein bisschen weiter drüber sprechen, aber eine Frage möchte ich noch im Zusammenhang mit Linda Teuteberg stellen: Dieser erzwungene Rückzug, der hatte ja auch eine Diskussion darüber ausgelöst, welche Rolle die Frauen in der FDP spielen. Kann man sagen, die FDP ist eine eher männliche Partei?
Jun: Ja, das zeigt sich ja auf allen Ebenen. Sie wird wesentlich von Männern in der Führungsebene bestimmt. Der Frauenanteil in der Bundestagsfraktion ist relativ gering, sodass man insgesamt schon sagen kann, dass die FDP – zumal der Parteivorsitzende eine relativ dominante Stellung innerhalb der Partei einnimmt – eher von Männern bestimmt wird.
Kaess: Dominante Stellung, sagen Sie – ist Christian Lindner alleiniger Bestimmer?
Jun: So weit würde ich nicht gehen, aber er ist halt die Figur, die die FDP aus dem tiefen Tal der Tränen herausgeführt hat – wir erinnern uns, es ist ja noch nicht so lange her, dass sie aus dem Bundestag herausgeflogen ist. Er hat sie zurückgeführt dahin, er hat ein gutes Wahlergebnis 2017 eingefahren, das alles danken ihm ja auch noch immer viele, aber man muss sagen, dass nach der missglückten Regierungsbildung 2017 sein Stern halt nicht mehr so hell leuchtet. Das beobachten wir schon wie gesagt seit dem missglückten Versuch der Regierungsbildung 2017.
Kaess: Den Punkt Koalitionsmöglichkeiten haben Sie schon angesprochen. Nun ist es so, dass nach der Bundestagswahl 2017 Volker Wissing zusammen mit Christian Lindner an den Verhandlungen für eine Koalition mit CDU und Grünen teilgenommen hat, bis dann zum Ausstieg aus diesem Jamaika-Bündnis, das ja eigentlich schon in greifbarer Nähe war. Was heißt das jetzt, was für ein Signal ist das an die Bundespolitik? Kann man das auch so interpretieren, dass man sagt, auf einen neuen Versuch führt Jamaika nach der nächsten Bundestagswahl, auch wenn das Wahlergebnis das nahelegen sollte, darauf sollte man nicht setzen?
Jun: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die FDP kann sich ein solches Verhalten wie 2017 kein zweites Mal leisten. Sie muss auch erkennen auf Bundesebene, wie sie es ja auf Landesebene schon seit längerer Zeit erkannt hat, dass die Grünen einen Koalitionspartner in spe sind. Sie muss versuchen, mit den Grünen zusammenzuarbeiten, ob in einer Jamaika-Koalition oder, wie es vielleicht vom SPD-Spitzenkandidaten Scholz gewünscht würden könnte, in einer Ampelkoalition. Auf jeden Fall muss die FDP akzeptieren, dass die Grünen ein möglicher Koalitionspartner sind, wenn sie denn die Chance haben will, in Regierungsverantwortung zu gelangen.
Kaess: Aber sehen Sie das tatsächlich nach dieser Vorgeschichte mit den Verhandlungen zu einem Jamaika-Bündnis, die dann gescheitert sind, und auch wenn man sich Äußerungen jetzt ansieht von Christian Lindner, zum Beispiel zum SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, von dem er sagt, der wirbt mit höheren Steuern, mehr Schulden, mit neuen bürokratischen Fesseln. Christian Lindner hat auch gesagt über Olaf Scholz, das Programm von ihm klinge leider manchmal mehr nach Lafontaine als nach Schmidt.
Jun: Es ist eindeutig so, dass die FDP mit der SPD nicht unbedingt koalieren möchte. Das ist eindeutig so, wie Sie es auch gerade in Ihren Worten formuliert haben. Das wäre mehr ein Notbündnis, aber wie gesagt, die FDP muss sich ja überlegen, welche Regierungsoptionen sie hat. Es ist nachvollziehbar, dass Christian Lindner 2017 nach dem Wiedereinzug in den Bundestag erst einmal auf Konsolidierung gesetzt hat und gesagt hat, wir müssen erst mal gucken, dass wir im Bundestag bleiben, aber 2021 kann das nicht mehr als Begründung herhalten. Die FDP-Wählerschaft erwartet ja auch von ihrer Partei, dass sie regiert. Sie können ja den Entzug der Gunst der Wählerschaft genau daran festmachen. Das zieht sich nämlich schon seit der Weigerung Lindners, an der Regierung teilzunehmen. Seitdem ist die FDP in der Wählergunst gesunken und kommt auch nicht mehr hoch. Das ist etwas, was sich eben die Parteiführung nur einmal leisten konnte, das Ablehnen eines Regierungsbündnisses wird sie ein zweites Mal sich nicht leisten können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.