Breker: Aber dabei hatte sich doch ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki schon auf seine Zeit als Oppositionsführer gefreut in Kiel.
Brüderle: Natürlich können wir auch die Oppositionsrolle gut wahrnehmen, aber es geht jetzt primär darum, wie man das Land handlungsfähig kriegt und weiteren Schaden für das Ansehen der Parteien insgesamt zu vermeiden. Es ist doch heute schon so, dass bei den demoskopischen Instituten gut die Hälfte der Bevölkerung allen Parteien insgesamt nichts Rechtes mehr zutraut. Man kann nicht diese Machtspiele weiterlaufen lassen. Ich bin überzeugt, der sauberste Weg wäre Neuwahl, klare Verhältnisse und Wegkommen von all diesen merkwürdigen Konstruktionen. Und was sich jetzt abzeichnet, dass sie vielleicht versuchen, eine Große Koalition hinzudeichseln - wissen Sie, wenn so viele sich in den Armen liegen in Großen Koalitionen, haben die nicht die Hände zum Arbeiten frei.
Breker: Wenngleich natürlich Große Koalitionen, Herr Brüderle, für kleine Parteien immer von Vorteil sind, da gewinnen sie Stimmen.
Brüderle: Ja aber all diese Kalküle, ob jetzt der eine hier oder da was gewinnt, tritt doch in den Hintergrund der Situation, wo Deutschland sieben bis acht Millionen Arbeitslose hat, wo das Ansehen der Parteien doch sehr schwer beschädigt ist und die Menschen wieder einen Weg sehen wollen, wie man Handlungsfähigkeit herkriegt. Denen hängt zum Halse raus dieses Machtkalkül, diese vier Wahlgänge. Ich verstehe auch nicht, dass die Frau Simonis, die ja eine respektable politische Lebensleistung erbracht hat, sich das angetan hat und ihr Weg praktisch so endet. Das war doch eine Beerdigung dritter Klasse.
Breker: Ihr Parteivorsitzender, Guido Westerwelle, sieht schon das Ende von rot-grünen Mehrheiten überhaupt in diesem Lande. Muss man da nicht auch die Frage nach Alternativen stellen, Herr Brüderle, gerade angesichts der derzeitigen Situation in Kiel, dass eben Schwarz-Gelb auch keine Mehrheit hat, zumindest keine Mehrheit der Mandate?
Brüderle: Deshalb Neuwahl, um klare Mehrheitsverhältnisse zu schaffen. Es zeigt sich in Schleswig-Holstein quasi eine Art politische Leichenstarre von Grün-Rot; in NRW ist die letzte Bastion, die sie haben. Und wenn ich die Stimmung richtig einschätze, sind das auch sehr hohe Wahrscheinlichkeiten, dass auch dort Rot-Grün wegfliegt. Und deshalb nicht mehr Hin- und Herfummeln, das schadet auch der SPD und den Grünen. Sie sollen den Weg freimachen, dass durch Neuwahl klare Mehrheitsverhältnisse geschaffen werden, wieder Vertrauen wächst in Deutschland, in die Politik. Diese Vertrauensstörung wirkt sich auch in die wirtschaftspolitische Landschaft hinein aus.
Breker: Muss man da nicht vielleicht doch mal die Frage nach den politischen Lagern stellen? Wieso eigentlich grundsätzlich Schwarz-Gelb und grundsätzlich Rot-Grün? Sind nicht auch andere Konstellationen denkbar? Sie kommen aus Rheinland-Pfalz.
Brüderle: Ja, wir haben in Rheinland-Pfalz seit drei Perioden eine erfolgreiche Koalition mit der SPD. Aber es war ja Rot und Grün, die ja schon ein Jahr nach der letzten Bundestagswahl öffentlich schon festgelegt haben, sie wollen auf jeden Fall bei der nächsten Bundestagswahl wieder zusammen, Hand in Hand, quasi mit politischen Zungenkuss, in die Formation hineingehen. Bei einer solchen Konstellation, einer so extrem frühen Festlegung des Kanzlers, ist die klare Antwort, die Alternative zu Grün-Rot - und die Grünen mit ihrer Luxusagenda, mit Nebenthemen wie Dosenpfand, Gentechnik-Verhinderungsgesetz, Anti-Diskriminierungsgesetz, sind ja geradezu eine Zusatzblockade für mehr Arbeitsplätze in Deutschland, für Wachstum in Deutschland. Das sind die Brot-und-Butter-Themen, um die es geht. Das muss für sie Priorität haben. "Vorfahrt für Arbeit", wie der Bundespräsident sagt. Aber wenn die eng umschlungen jenseits einer falsch ausgerichteten Politik weitermachen, gibt es nur eine Alternative und die heißt Schwarz-Gelb. Und dafür muss man dann energisch eintreten, weil das Land nicht weiter leiden darf, weil man politisch keine Handlungsfähigkeit hat. Und mit Bummelzug-Ansätzen wie bei dem Jobgipfel kann man die Probleme, den Befreiungsschlag für Deutschland nicht schaffen.
Breker: Fördert dieses Lagerdenken, Herr Brüderle, nicht andererseits auch das Bedürfnis der Bürger nach einer Großen Koalition? Wenn wir uns jetzt diesen Jobgipfel in Berlin gestern angeschaut haben: Das war doch eine verdeckte Große Koalition, die da gewirkt hat.
Brüderle: Das war es, ja. Aber gerade dieser Reformgipfel zeigt doch, dass sie die Probleme nicht lösen können. Das hat ja die Vergangenheit gezeigt, das hat es in Baden-Württemberg gezeigt, selbst in Bremen zeigt es, permanent in Berlin, dass das die Lösung nicht ist. Die Großen Koalitionen haben den kleinsten gemeinsamen Nenner. Was haben die gestern zustande gekriegt? Das war ein Schmalspuransatz. Sie machen so ein Münchhausen-Theorem, in dem sie nominell bei den Großen die Körperschaftssteuer senken wollen, aber gleichzeitig die Bemessungsgrundlagen und Verlustvortragen anders reduzieren. Das ist keine steuerliche Entlastung unter dem Strich, das ist so eine Art Münchhausen-Theorem, dass man durch Umbuchungen die Probleme löst. Nein, es muss unter dem Strich eine steuerliche Entlastung sein, und den Jobmotor der deutschen Wirtschaft, den Mittelstand, hat man außen vor gelassen. Für den gibt es ein paar Kredite bei der KfW, aber der braucht andere Bedingungen. Bürokratieabbau findet nicht statt, sie haben am Arbeitsmarkt keine Reform angepackt, sie haben nicht die Frage der Starre des Arbeitsmarktes, des Tarifkartells, der Öffnung damit angepackt. Das sind doch alles Minischrittchen, eine riesenmediale Inszenierung. Es werden Hoffnungen geweckt von Millionen Menschen, die keinen Arbeitsplatz haben, oder anderen, die Angst um ihre Arbeitsplatz haben. Am Schluss kommt wieder ein kleines Mäuschen raus und Schaden leidet die ganze politische Struktur, das ganze politische System.