Jürgen Zurheide: Bei den Koalitionsverhandlungen, da liegen im Gegensatz zu den wichtigen wirtschaftspolitischen Dingen die Ergebnisse ja schon auf dem Tisch. Die FDP, so sieht es zumindest auf den ersten Anschein aus, hat sich da weitgehend durchgesetzt. Über dieses Thema wollen wir reden mit dem früheren Innenminister der FDP, Gerhart Rudolf Baum, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen, Herr Baum!
Gerhart-Rudolf Baum: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Baum, zunächst einmal, bevor wir auf die aktuellen Dinge und die Bewertungen kommen: Sie als alter Hase und alter Fuchs, der ja früher in den 70er-Jahren Koalitionsverhandlungen intensiv damals mit der SPD auch miterlebt hat, erzählen Sie uns ein bisschen was über die Dynamik von Koalitionsverhandlungen am Schluss, wenn die Elefantenrunden da zusammensitzen. Läuft das so nach dem Motto, du bekommst den Gesundheitsfonds und dafür ich etwas höhere Steuern?
Baum: Ja, ja, es gibt eine gewisse Dramatik, nicht wahr, es werden auch Krisen nicht auszuschließen sein und man unterbricht die Sitzungen, und dann gibt der eine auf dem einen Felde nach, der andere auf dem anderen Felde. Es ist das ein Geben und Nehmen, aber es spitzt sich zu dann wie bei Tarifverhandlungen, in immer kleineren Runden wird verhandelt. Also das ist eine innere Dramatik, die diesen Koalitionsverhandlungen innewohnt, insbesondere wenn man sich einen Schlusstermin setzt.
Zurheide: Wie wichtig ist eigentlich so eine Überschrift über einen Koalitionsvertrag? Ich hab mal so mich selbst in meiner eigenen Erinnerung gefragt, und mir ist so hängengeblieben die Überschrift "Mehr Demokratie wagen" von Willy Brandt. Ist so eine Überschrift zentral und wichtig, muss die am Anfang stehen oder steht die am Ende? Wie sehen Sie das?
Baum: Also ich halte sie nicht für so wichtig. Also "Mehr Demokratie wagen", das zitiere ich sehr oft, weil das sehr gut kennzeichnet die Politik der damaligen sozialliberalen Koalition. Ansonsten messe ich diesen programmatischen Sätzen keine sehr große Bedeutung bei. Es kommt doch darauf an, was daraus wird.
Zurheide: Dann kommen wir mal zum Aktuellen. Gerade innere Sicherheit, ich hab es gesagt, das sind so die Bewertungen auch heute der meisten Kollegen, die kommentieren, die FDP hat da Akzente gesetzt bei der inneren Sicherheit, das eine oder andere ist leicht zurückgedreht worden. Erst mal die Frage an Sie beim BKA-Gesetz: Sind Sie mit dem, was Ihre Parteikollegen erreicht haben, zufrieden?
Baum: Ja, also ich bin insgesamt zufrieden. Das ist ein achtbares Ergebnis. Einiges wird man erst beurteilen können, wenn man die Details kennt, aber es ist eine deutliche Richtungsänderung: Nicht mehr weiter so! Und man muss sich vorstellen, die Große Koalition hätte ja einfach weitergemacht. Nichts von dem, was jetzt hier vereinbart worden ist – es ist eine große Liste vereinbart worden –, wäre geschehen, wenn jetzt hier nicht so erfolgreich verhandelt worden ist. BKA-Gesetz werde ich meine Beschwerde aufrechterhalten, da sind zwar Verbesserungen erzielt worden bei der Onlinedurchsuchung, aber es bleiben Bedenken, auch eben verfassungsrechtliche Bedenken. Bei deren Berufsgeheimnisträgern sind zwar die Anwälte jetzt geschützt, aber nicht die Journalisten und nicht die Ärzte. Also die ganze Sicherheitsarchitektur des BKA-Gesetzes bleibt problematisch. Auch die Vorratsdatenspeicherung ist ja ausdrücklich an die Entscheidung von Karlsruhe geknüpft worden jetzt, die werden wir fortführen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass allein die Speicherung von allen Daten, die wir in das Netz geben, ein verfassungswidriger Grundrechtseingriff ist. Aber nichtsdestotrotz, es ist sehr Vieles revidiert worden und es ist eine Menge, was jetzt überprüft werden soll, und einiges soll überhaupt nicht gemacht werden - zum Beispiel die Ausweitung der Onlinedurchsuchung auf andere Behörden wird nicht kommen. Und das, was Rot-Grün vorhatte mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern, ist ausdrücklich ausgeschlossen worden. Also hier tut sich, ist doch eine Menge geschehen. Ich würde sagen, es ist eine Richtungsentscheidung.
Zurheide: Das heißt, zum ersten Mal sind Sicherheitsgesetze auch wieder ein Stück weit zurückgedreht worden, oder ist es so, dass wir, weil ja zum Beispiel verabredet worden ist, dass man das in einem Jahr überprüft, ist es nur ein Innehalten? Was erwarten Sie?
Baum: Ich glaube, dass zum Beispiel in einem Jahr überprüft man diese Internetsperren, die aber jetzt nicht praktiziert werden. Und ich glaube, dass diese Internetsperren damit vom Tisch sind. Sie sind der Anfang einer Netzzensur, und deshalb haben sich auch vor allen Dingen junge Leute – ich nenne nur die Piratenpartei – vehement gegen diesen Eingriff gewehrt. Wir müssen allerdings jetzt definieren, wie weit die Freiheit im Netz geht, das ist ein völlig neues Gebiet, und das gehört in den Zusammenhang mit einer allgemeinen Reform des Datenschutzrechtes, die dringend notwendig ist, in allen Aspekten, auch mit dem Aspekt des Arbeitnehmerdatenschutzes. Das ist vereinbart worden und das ist jahrelang verschlafen worden. Man hat den Datenschutz nach dem 11. September abgebaut und nicht aufgebaut.
Zurheide: Wie wollen Sie verhindern, dass das sozusagen als Freiheit für Kinderpornografie gilt, was da jetzt zurückgebaut wird? Das ist ja, was Sie auch nicht wollen. Aber wie gehen Sie mit dem Argument um, dass da möglicherweise jetzt weniger Sicherheit ist?
Baum: Das ist es nicht, das kann man im Einzelnen darlegen. Diese Sperren bringen gar nichts, man muss löschen. Das Wichtige ist – und das ist jetzt vereinbart worden –, man muss alles national und international unternehmen, um diese widerlichen Dinge im Netz zu löschen und nicht Internetzugangssperren aufzubauen, die sehr viel mehr betreffen als nur diese Internetangebote. Also hier ist wirklich jetzt ein Innehalten und eine Revision im Gange, die ich für ganz wichtig halte. Es ist auch etwas vereinbart worden zu den eingetragenen Partnerschaften, die sollen mehr Rechte bekommen. Im Sexualstrafrecht sind Reformen anderer Art vereinbart worden. Bei der Visa-Vergabe sollen nicht mehr alle Bürger, die Ausländer einladen, in eine Datei kommen, sondern nur noch wenige, eine sogenannte Warndatei soll errichtet werden. Also die Pressefreiheit ist auch gestärkt, die Journalisten werden nicht mehr verfolgt, um auf diese Weise Informanten zu ermitteln. Also es ist eine Fülle von Maßnahmen getroffen worden, die das Urteil zulassen, dass es doch ein sehr achtbares Ergebnis ist, auch in meinen Augen, obwohl – das muss man auch ehrlich sagen – einiges, was ich mir gewünscht hätte, also etwa der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung, nicht erreicht worden ist. Wenn ich jetzt höre, dass die Vorratsdatenspeicherung so gut wie nie angewandt wird, und wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass das Gericht, das Verfassungsgericht der Meinung war, man braucht sie eigentlich nicht, dann hätte man noch einen Schritt weitergehen müssen.
Zurheide: Das war Gerhart Rudolf Baum, früherer Bundesinnenminister der FDP, zu den Koalitionsverhandlungen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Baum! Danke schön!
Baum: Guten Morgen!
Gerhart-Rudolf Baum: Guten Morgen!
Zurheide: Herr Baum, zunächst einmal, bevor wir auf die aktuellen Dinge und die Bewertungen kommen: Sie als alter Hase und alter Fuchs, der ja früher in den 70er-Jahren Koalitionsverhandlungen intensiv damals mit der SPD auch miterlebt hat, erzählen Sie uns ein bisschen was über die Dynamik von Koalitionsverhandlungen am Schluss, wenn die Elefantenrunden da zusammensitzen. Läuft das so nach dem Motto, du bekommst den Gesundheitsfonds und dafür ich etwas höhere Steuern?
Baum: Ja, ja, es gibt eine gewisse Dramatik, nicht wahr, es werden auch Krisen nicht auszuschließen sein und man unterbricht die Sitzungen, und dann gibt der eine auf dem einen Felde nach, der andere auf dem anderen Felde. Es ist das ein Geben und Nehmen, aber es spitzt sich zu dann wie bei Tarifverhandlungen, in immer kleineren Runden wird verhandelt. Also das ist eine innere Dramatik, die diesen Koalitionsverhandlungen innewohnt, insbesondere wenn man sich einen Schlusstermin setzt.
Zurheide: Wie wichtig ist eigentlich so eine Überschrift über einen Koalitionsvertrag? Ich hab mal so mich selbst in meiner eigenen Erinnerung gefragt, und mir ist so hängengeblieben die Überschrift "Mehr Demokratie wagen" von Willy Brandt. Ist so eine Überschrift zentral und wichtig, muss die am Anfang stehen oder steht die am Ende? Wie sehen Sie das?
Baum: Also ich halte sie nicht für so wichtig. Also "Mehr Demokratie wagen", das zitiere ich sehr oft, weil das sehr gut kennzeichnet die Politik der damaligen sozialliberalen Koalition. Ansonsten messe ich diesen programmatischen Sätzen keine sehr große Bedeutung bei. Es kommt doch darauf an, was daraus wird.
Zurheide: Dann kommen wir mal zum Aktuellen. Gerade innere Sicherheit, ich hab es gesagt, das sind so die Bewertungen auch heute der meisten Kollegen, die kommentieren, die FDP hat da Akzente gesetzt bei der inneren Sicherheit, das eine oder andere ist leicht zurückgedreht worden. Erst mal die Frage an Sie beim BKA-Gesetz: Sind Sie mit dem, was Ihre Parteikollegen erreicht haben, zufrieden?
Baum: Ja, also ich bin insgesamt zufrieden. Das ist ein achtbares Ergebnis. Einiges wird man erst beurteilen können, wenn man die Details kennt, aber es ist eine deutliche Richtungsänderung: Nicht mehr weiter so! Und man muss sich vorstellen, die Große Koalition hätte ja einfach weitergemacht. Nichts von dem, was jetzt hier vereinbart worden ist – es ist eine große Liste vereinbart worden –, wäre geschehen, wenn jetzt hier nicht so erfolgreich verhandelt worden ist. BKA-Gesetz werde ich meine Beschwerde aufrechterhalten, da sind zwar Verbesserungen erzielt worden bei der Onlinedurchsuchung, aber es bleiben Bedenken, auch eben verfassungsrechtliche Bedenken. Bei deren Berufsgeheimnisträgern sind zwar die Anwälte jetzt geschützt, aber nicht die Journalisten und nicht die Ärzte. Also die ganze Sicherheitsarchitektur des BKA-Gesetzes bleibt problematisch. Auch die Vorratsdatenspeicherung ist ja ausdrücklich an die Entscheidung von Karlsruhe geknüpft worden jetzt, die werden wir fortführen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass allein die Speicherung von allen Daten, die wir in das Netz geben, ein verfassungswidriger Grundrechtseingriff ist. Aber nichtsdestotrotz, es ist sehr Vieles revidiert worden und es ist eine Menge, was jetzt überprüft werden soll, und einiges soll überhaupt nicht gemacht werden - zum Beispiel die Ausweitung der Onlinedurchsuchung auf andere Behörden wird nicht kommen. Und das, was Rot-Grün vorhatte mit dem Einsatz der Bundeswehr im Innern, ist ausdrücklich ausgeschlossen worden. Also hier tut sich, ist doch eine Menge geschehen. Ich würde sagen, es ist eine Richtungsentscheidung.
Zurheide: Das heißt, zum ersten Mal sind Sicherheitsgesetze auch wieder ein Stück weit zurückgedreht worden, oder ist es so, dass wir, weil ja zum Beispiel verabredet worden ist, dass man das in einem Jahr überprüft, ist es nur ein Innehalten? Was erwarten Sie?
Baum: Ich glaube, dass zum Beispiel in einem Jahr überprüft man diese Internetsperren, die aber jetzt nicht praktiziert werden. Und ich glaube, dass diese Internetsperren damit vom Tisch sind. Sie sind der Anfang einer Netzzensur, und deshalb haben sich auch vor allen Dingen junge Leute – ich nenne nur die Piratenpartei – vehement gegen diesen Eingriff gewehrt. Wir müssen allerdings jetzt definieren, wie weit die Freiheit im Netz geht, das ist ein völlig neues Gebiet, und das gehört in den Zusammenhang mit einer allgemeinen Reform des Datenschutzrechtes, die dringend notwendig ist, in allen Aspekten, auch mit dem Aspekt des Arbeitnehmerdatenschutzes. Das ist vereinbart worden und das ist jahrelang verschlafen worden. Man hat den Datenschutz nach dem 11. September abgebaut und nicht aufgebaut.
Zurheide: Wie wollen Sie verhindern, dass das sozusagen als Freiheit für Kinderpornografie gilt, was da jetzt zurückgebaut wird? Das ist ja, was Sie auch nicht wollen. Aber wie gehen Sie mit dem Argument um, dass da möglicherweise jetzt weniger Sicherheit ist?
Baum: Das ist es nicht, das kann man im Einzelnen darlegen. Diese Sperren bringen gar nichts, man muss löschen. Das Wichtige ist – und das ist jetzt vereinbart worden –, man muss alles national und international unternehmen, um diese widerlichen Dinge im Netz zu löschen und nicht Internetzugangssperren aufzubauen, die sehr viel mehr betreffen als nur diese Internetangebote. Also hier ist wirklich jetzt ein Innehalten und eine Revision im Gange, die ich für ganz wichtig halte. Es ist auch etwas vereinbart worden zu den eingetragenen Partnerschaften, die sollen mehr Rechte bekommen. Im Sexualstrafrecht sind Reformen anderer Art vereinbart worden. Bei der Visa-Vergabe sollen nicht mehr alle Bürger, die Ausländer einladen, in eine Datei kommen, sondern nur noch wenige, eine sogenannte Warndatei soll errichtet werden. Also die Pressefreiheit ist auch gestärkt, die Journalisten werden nicht mehr verfolgt, um auf diese Weise Informanten zu ermitteln. Also es ist eine Fülle von Maßnahmen getroffen worden, die das Urteil zulassen, dass es doch ein sehr achtbares Ergebnis ist, auch in meinen Augen, obwohl – das muss man auch ehrlich sagen – einiges, was ich mir gewünscht hätte, also etwa der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung, nicht erreicht worden ist. Wenn ich jetzt höre, dass die Vorratsdatenspeicherung so gut wie nie angewandt wird, und wenn ich mir in Erinnerung rufe, dass das Gericht, das Verfassungsgericht der Meinung war, man braucht sie eigentlich nicht, dann hätte man noch einen Schritt weitergehen müssen.
Zurheide: Das war Gerhart Rudolf Baum, früherer Bundesinnenminister der FDP, zu den Koalitionsverhandlungen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Baum! Danke schön!
Baum: Guten Morgen!