Mario Dobovisek: Es war ein finanzieller Paukenschlag vergangene Nacht in den USA, denn dort hat die US-Notenbank Fed in einem radikalen Schritt den Leitzins praktisch auf null gesetzt. Er liegt nun in einem Korridor zwischen 0 und 0,25 Prozent. Die New Yorker Wall Street reagierte fast euphorisch. Um gut 4 Prozent stieg der Dow Jones. Banken bekommen Kredite fast geschenkt. Sparer allerdings werden am Ende leer ausgehen, denn der Leitzins wird sich auch auf den Zinssatz für Spareinlagen auswirken. Klar ist: die US-Notenbank hat sich gestern offenbar von der traditionellen Zinspolitik verabschiedet.
Die traditionelle Munition geht in den USA also aus, sagt deren designierter Präsident Barack Obama. Wir haben es im Bericht aus den USA gehört. Der deutsche Aktienmarkt reagierte kaum auf die Zinssenkung. Der DAX verlor sogar etwas und steht im Augenblick bei Minus 0,8 Prozent. In Deutschland, um im Bild zu bleiben, scheint die Munition im Kampf gegen die Rezession noch nicht ganz verschossen zu sein. 500 Milliarden Euro als Bürgschaften und Hilfen für die Banken, 31 Milliarden als Konjunkturprogramm, das keiner so nennen darf, und jetzt wird in Berlin laut über ein zweites Konjunkturpaket nachgedacht.
Voraussichtlich noch im Januar will das Bundeskabinett über ein zweites Konjunkturpaket entscheiden. - Am Telefon begrüße ich den FDP-Politiker Otto Fricke. Er ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag. Guten Tag, Herr Fricke.
Otto Fricke: Einen schönen guten Tag nach Köln.
Dobovisek: Barack Obama sagt, die traditionelle Munition im Kampf gegen die Rezession sei in den USA verschossen. Welche Munition steht der Bundesregierung noch zur Verfügung?
Fricke: Der Bundesregierung selber steht die Munition, die in den USA die Fed jetzt verschossen hat, natürlich nicht zur Verfügung. Da ist die EZB unabhängiger und hat auch andere Ziele. Das kann die EZB noch machen.
Die Bundesregierung selber hätte immer noch die Munition, mit einem Ruck, mit einer klaren, groß angelegten Entscheidung zu sagen, ich entlaste jetzt diejenigen klar, deutlich, erkennbar, berechenbar, die den Karren wörtlich gesprochen aus dem Dreck wieder rausholen werden, also diejenigen, die arbeiten, die Jobs haben, die auch neue Jobs kreieren können. Das wäre jetzt die Aufgabe.
Dobovisek: Wie soll dieser Ruck genau aussehen?
Fricke: Ich glaube, dass er nur über das Steuersystem erfolgen kann und nur über die Senkung von Steuern. Ich weiß, dass es da viele Widersprüche von anderen gibt, aber wenn eines nach meiner Meinung klar steht, dann kann man immer erkennen, wenn ich den Leuten selber überlasse, was sie mit mehr Netto vom Brutto machen, dass sie dann auch bereit sind, dafür mehr zu tun, mehr zu erreichen, mehr zu produzieren und im Zweifel auch Dinge zu tun, die man normalerweise möglicherweise nicht tun würde. Mit gelenkter Konsumpolitik klappt das nicht, weil da dann doch immer wieder Ausweichmanöver kommen und dann natürlich der deutsche Reflex, zu sparen statt zu investieren, noch stärker betont wird.
Dobovisek: Auf die Steuern möchte ich später im Gespräch noch mal zurückkommen. 1996 nahm Theo Waigel umgerechnet rund 40 Milliarden Euro neue Schulden auf. Könnte dieser Rekord jetzt gebrochen werden?
Fricke: Leider ja. Auch wenn man Oppositionspolitiker ist, muss man hier wirklich ein großes "leider" dahintersetzen. Wir haben einen Neuverschuldungsansatz noch von 18,5 Milliarden, der aber auf dem Kardinalfehler beruht - und das war während der Haushaltsdebatte schon längst klar -, dass man 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum Plus annimmt. Völlig irreal, wenn man das aus der heutigen Sicht sieht, und ziemlich irreal aus der damaligen Sicht.
Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass der Wirtschaftsminister, Herr Glos, Recht hat und wir kommen auf Minus drei, dann fehlen dem Bund alleine weitere 15 Milliarden. Wenn man dann noch die Pendlerpauschalen-Entscheidung nimmt, den Zustand des Gesundheitsfonds, der mehr Geld braucht, europäische Entscheidungen, dann werde ich sehr nahe an diesen Rekord von Theo Waigel kommen, und wenn ich nichts an anderer Stelle gegensteuere, werde ich ihn mit Sicherheit auch brechen beziehungsweise wird die Große Koalition ihn brechen. Ich bin sehr gespannt, wie man da in den nächsten Tagen agieren wird.
Dobovisek: 290 Milliarden Euro soll der Gesamthaushalt 2009 umfassen, 40, 50 Milliarden Euro neue Schulden dafür. Gerät die Neuverschuldung außer Kontrolle?
Fricke: Ich glaube, dass sie außer Kontrolle gerät, wenn wir nicht aufpassen, in die richtige Richtung dabei zu gehen. Wenn wir Ausgaben machen würden für Investitionen, wenn wir die Ausgabenerhöhung dadurch haben, dass wir die Steuern senken, dann komme ich zu einem anderen Ergebnis, als wenn wir nur in vereinfachter Weise primitiv sagen, wir geben einfach weiter mehr Geld aus und vor allen Dingen wir geben es noch genauso aus, wie wir es im Juli geplant haben, denn das findet ja nicht statt. Es findet ja keine Ausgabenkritik statt, sondern es findet nur die Tatsache statt, ja, wo kriegen wir jetzt mehr Geld her. Ich erinnere auch noch daran: Wir haben ja gleichzeitig noch als weiteres Risiko den Bankenrettungsschirm, der ja ebenfalls zu neuer Kreditaufnahme führen wird.
Dobovisek: Was wird unter der höheren Neuverschuldung leiden, die Bildung, die Kultur, der Klimaschutz?
Fricke: Ich glaube, dass es über mehrere Ebenen gehen wird. Wir müssen uns klar darüber werden, womit wir wieder wachsen wollen, womit wir wieder zur Stärke kommen wollen. Ich glaube, dass sicherlich Kultur dabei gefährdet ist, obwohl es der Humus unserer Gesellschaft ist, obwohl es das erzeugt, was man so an typisch Deutschem immer wieder gerne hat. Auch die Präzision und Ähnliches beruht ja ebenso auf kulturellen Errungenschaften. Ich glaube auch, wir werden ganz genau gucken müssen, welche Konsumausgaben wir erhöhen. Wir werden vor der Frage stehen, welche Rentenerhöhung ist richtig, welche Lohnerhöhungen sind richtig, welche Hartz-IV-Erhöhungen sind richtig. Diese Entscheidungen fallen auch noch, kurz vor einer Bundestagswahl zudem. Da muss man dann auch offen rangehen und ich halte es für ganz gefährlich, wenn die Diskussion jetzt nur nach dem Motto geht, wer verspricht Gutes - der hat bei der Wahl Chancen - und wer sagt die Wahrheit - der wird dafür noch bestraft.
Dobovisek: Machen wir es mal ganz deutlich. Was ist verzichtbar?
Fricke: Ich gebe Ihnen ein Beispiel im Bereich des Arbeitsmarktes. Wir haben eine Arbeitsmarktförderung, die leicht von der Großen Koalition jetzt geändert worden ist, die aber immer noch darauf basiert, dass wir die Arbeitslosigkeit weiter abbauen. So sehr wie ich mir das wünschen würde, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, seien wir ehrlich: wir müssen Mittel und Wege finden, wie wir Leute im Beruf halten. Da mag die Kurzarbeitsverlängerung aus Sicht der SPD eine gute Lösung sein. Aber wir müssen doch gucken, wie wir diese mehreren Milliarden an Fördermaßnahmen in eine andere Richtung setzen, oder eben sagen nein, die sind jetzt falsch.
Das gleiche gilt für Subventionen. Ich kann doch nicht in einer Abschwungphase noch Subventionen in Bereiche geben, die mit Garantie den Staat nicht mehr aus dem herausholen, wo er gegenwärtig drinsteckt. Da sind viele Bereiche möglich. Da muss man sich dann rantrauen. Ich bin auch etwas, sage ich ganz ehrlich, frustriert. Am Donnerstag hatten wir noch Meldungen, wo meine Fraktion gesagt hat, es geht über eine bestimmte Höhe von Ausgaben. Da wurde das noch abgetan, das sei lächerlich. Selbst der sehr geschätzte Kollege Kampeter, der haushaltspolitische Sprecher der CDU, sagte, das sei nicht seriös. Und heute kriegen wir Meldungen, die Regierung geht von mindestens 30 aus, sie geht von einem Nachtragshaushalt aus. Man muss hier auch dem Bürger reinen Wein einschenken, damit er weiß, wie er das ganze berechnen kann, was Politik mit ihm macht.
Dobovisek: Sie haben es vorhin angesprochen. Es ist auch das ewige Mantra der FDP, Steuern zu senken. Die Pendlerpauschale wird wieder ab dem ersten Kilometer gewährt. Krankenkassenbeiträge werden steuerlich besser absetzbar sein. Das beschert dem Bund Steuerausfälle von bis zu vier Milliarden Euro, so wird geschätzt. Können wir uns Steuersenkungen überhaupt leisten?
Fricke: Die Frage ist jetzt hier eine des Zeithorizontes und die Frage, wo ich mich befinde. Wenn ich in einer Situation bin, wie ich sie gegenwärtig habe, dass ich merke, dass überall auf der Welt das Wirtschaftswachstum zusammenbricht, dann brauche ich ja jetzt jemanden, der den Motor wieder anwirft. Und das kann ich nicht darüber erreichen, dass der Staat das ist und überall das Geld verteilt, sondern ich muss dafür sorgen, dass die, die das erwirtschaften, erarbeiten, also die, die in Arbeit sind, hier weiter fleißig arbeiten. So komisch es klingt: Vermögen und bessere Situation erreiche ich dadurch, dass ich einerseits arbeite, andererseits investiere. Nur so schaffe ich auf Dauer Vermögen und Vermögen ist dann wieder das, was dazu führt, dass Arbeitsplätze gesichert werden.
Das wird vollkommen verkannt. Das muss man dann nach meiner Meinung auch durch Steuersenkungen machen. Man muss aber dann ganz klar gucken, dass man den Fehler, den die Große Koalition gemacht hat, nämlich in den drei guten Jahren nicht zu sparen und nicht bei enormen Steuermehreinnahmen die Verschuldung auf null zu bringen, in der nächsten Aufschwungphase nicht macht. Jetzt ist es leider zu spät, aber das sind die Warnungen, die leider immer verklingen, wenn es gut läuft, weil jeder sagt, ja jetzt müssen wir mehr ausgeben.
Dobovisek: Dann noch mal die Frage: Woher soll das Geld für die Steuersenkungen kommen?
Fricke: Das Geld für die Steuersenkung wird zum Teil erst einmal auch aus der Neuverschuldung kommen. Das ist unzweifelhaft. Da gibt es auch gar kein Vertun. Das wird so sein. Aber ich kann das ja nicht nur jährlich sehen. Das ist die Gefahr, die man bei Haushaltspolitik immer hat. Man guckt auf das eine Jahr. Ich muss jetzt gucken: Wie will ich denn möglichst schnell hoch kommen, wenn wir geklärt haben, wo liegen die Fehler im System, was ist der eigentliche Grund, mit welchen Methoden kommen wir aus diesem Rezessionstal wieder heraus? Dann muss ich gucken, wie schaffe ich jetzt die Voraussetzungen dafür, und dafür - sage selbst ich als Haushaltsausschussvorsitzender - bin ich bereit, in einem gewissen Maße Neuverschuldung hinzunehmen. Hinzu kommt aber noch: wenn es denn funktioniert mit den Steuersenkungen und die Leute an der Stelle mehr Netto vom Brutto haben, dann muss ich ihnen gleichzeitig aber das Gefühl geben, jetzt muss ich investieren. Und ich kann jedem Bürger nur sagen: wenn du bei schlechter Wirtschaft meinst, das Sparen hilft, dann nützt es dir, wenn es ganz schlecht läuft, überhaupt nichts. Überlege dir lieber jetzt, wie du jetzt in schlechteren Zeiten investierst, um dann in besseren Zeiten, wo alles wieder teuerer ist, auch zu sehen und zu akzeptieren, dass du besser dastehst. Aber das ist sehr schwer, weil es auch gerade gegen unsere deutsche Mentalität ist.
Dobovisek: Otto Fricke, für die FDP im Bundestag. Dort ist er Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Vielen Dank für das Gespräch, das wir vor der Sendung aufgezeichnet haben.
Die traditionelle Munition geht in den USA also aus, sagt deren designierter Präsident Barack Obama. Wir haben es im Bericht aus den USA gehört. Der deutsche Aktienmarkt reagierte kaum auf die Zinssenkung. Der DAX verlor sogar etwas und steht im Augenblick bei Minus 0,8 Prozent. In Deutschland, um im Bild zu bleiben, scheint die Munition im Kampf gegen die Rezession noch nicht ganz verschossen zu sein. 500 Milliarden Euro als Bürgschaften und Hilfen für die Banken, 31 Milliarden als Konjunkturprogramm, das keiner so nennen darf, und jetzt wird in Berlin laut über ein zweites Konjunkturpaket nachgedacht.
Voraussichtlich noch im Januar will das Bundeskabinett über ein zweites Konjunkturpaket entscheiden. - Am Telefon begrüße ich den FDP-Politiker Otto Fricke. Er ist Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Bundestag. Guten Tag, Herr Fricke.
Otto Fricke: Einen schönen guten Tag nach Köln.
Dobovisek: Barack Obama sagt, die traditionelle Munition im Kampf gegen die Rezession sei in den USA verschossen. Welche Munition steht der Bundesregierung noch zur Verfügung?
Fricke: Der Bundesregierung selber steht die Munition, die in den USA die Fed jetzt verschossen hat, natürlich nicht zur Verfügung. Da ist die EZB unabhängiger und hat auch andere Ziele. Das kann die EZB noch machen.
Die Bundesregierung selber hätte immer noch die Munition, mit einem Ruck, mit einer klaren, groß angelegten Entscheidung zu sagen, ich entlaste jetzt diejenigen klar, deutlich, erkennbar, berechenbar, die den Karren wörtlich gesprochen aus dem Dreck wieder rausholen werden, also diejenigen, die arbeiten, die Jobs haben, die auch neue Jobs kreieren können. Das wäre jetzt die Aufgabe.
Dobovisek: Wie soll dieser Ruck genau aussehen?
Fricke: Ich glaube, dass er nur über das Steuersystem erfolgen kann und nur über die Senkung von Steuern. Ich weiß, dass es da viele Widersprüche von anderen gibt, aber wenn eines nach meiner Meinung klar steht, dann kann man immer erkennen, wenn ich den Leuten selber überlasse, was sie mit mehr Netto vom Brutto machen, dass sie dann auch bereit sind, dafür mehr zu tun, mehr zu erreichen, mehr zu produzieren und im Zweifel auch Dinge zu tun, die man normalerweise möglicherweise nicht tun würde. Mit gelenkter Konsumpolitik klappt das nicht, weil da dann doch immer wieder Ausweichmanöver kommen und dann natürlich der deutsche Reflex, zu sparen statt zu investieren, noch stärker betont wird.
Dobovisek: Auf die Steuern möchte ich später im Gespräch noch mal zurückkommen. 1996 nahm Theo Waigel umgerechnet rund 40 Milliarden Euro neue Schulden auf. Könnte dieser Rekord jetzt gebrochen werden?
Fricke: Leider ja. Auch wenn man Oppositionspolitiker ist, muss man hier wirklich ein großes "leider" dahintersetzen. Wir haben einen Neuverschuldungsansatz noch von 18,5 Milliarden, der aber auf dem Kardinalfehler beruht - und das war während der Haushaltsdebatte schon längst klar -, dass man 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum Plus annimmt. Völlig irreal, wenn man das aus der heutigen Sicht sieht, und ziemlich irreal aus der damaligen Sicht.
Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass der Wirtschaftsminister, Herr Glos, Recht hat und wir kommen auf Minus drei, dann fehlen dem Bund alleine weitere 15 Milliarden. Wenn man dann noch die Pendlerpauschalen-Entscheidung nimmt, den Zustand des Gesundheitsfonds, der mehr Geld braucht, europäische Entscheidungen, dann werde ich sehr nahe an diesen Rekord von Theo Waigel kommen, und wenn ich nichts an anderer Stelle gegensteuere, werde ich ihn mit Sicherheit auch brechen beziehungsweise wird die Große Koalition ihn brechen. Ich bin sehr gespannt, wie man da in den nächsten Tagen agieren wird.
Dobovisek: 290 Milliarden Euro soll der Gesamthaushalt 2009 umfassen, 40, 50 Milliarden Euro neue Schulden dafür. Gerät die Neuverschuldung außer Kontrolle?
Fricke: Ich glaube, dass sie außer Kontrolle gerät, wenn wir nicht aufpassen, in die richtige Richtung dabei zu gehen. Wenn wir Ausgaben machen würden für Investitionen, wenn wir die Ausgabenerhöhung dadurch haben, dass wir die Steuern senken, dann komme ich zu einem anderen Ergebnis, als wenn wir nur in vereinfachter Weise primitiv sagen, wir geben einfach weiter mehr Geld aus und vor allen Dingen wir geben es noch genauso aus, wie wir es im Juli geplant haben, denn das findet ja nicht statt. Es findet ja keine Ausgabenkritik statt, sondern es findet nur die Tatsache statt, ja, wo kriegen wir jetzt mehr Geld her. Ich erinnere auch noch daran: Wir haben ja gleichzeitig noch als weiteres Risiko den Bankenrettungsschirm, der ja ebenfalls zu neuer Kreditaufnahme führen wird.
Dobovisek: Was wird unter der höheren Neuverschuldung leiden, die Bildung, die Kultur, der Klimaschutz?
Fricke: Ich glaube, dass es über mehrere Ebenen gehen wird. Wir müssen uns klar darüber werden, womit wir wieder wachsen wollen, womit wir wieder zur Stärke kommen wollen. Ich glaube, dass sicherlich Kultur dabei gefährdet ist, obwohl es der Humus unserer Gesellschaft ist, obwohl es das erzeugt, was man so an typisch Deutschem immer wieder gerne hat. Auch die Präzision und Ähnliches beruht ja ebenso auf kulturellen Errungenschaften. Ich glaube auch, wir werden ganz genau gucken müssen, welche Konsumausgaben wir erhöhen. Wir werden vor der Frage stehen, welche Rentenerhöhung ist richtig, welche Lohnerhöhungen sind richtig, welche Hartz-IV-Erhöhungen sind richtig. Diese Entscheidungen fallen auch noch, kurz vor einer Bundestagswahl zudem. Da muss man dann auch offen rangehen und ich halte es für ganz gefährlich, wenn die Diskussion jetzt nur nach dem Motto geht, wer verspricht Gutes - der hat bei der Wahl Chancen - und wer sagt die Wahrheit - der wird dafür noch bestraft.
Dobovisek: Machen wir es mal ganz deutlich. Was ist verzichtbar?
Fricke: Ich gebe Ihnen ein Beispiel im Bereich des Arbeitsmarktes. Wir haben eine Arbeitsmarktförderung, die leicht von der Großen Koalition jetzt geändert worden ist, die aber immer noch darauf basiert, dass wir die Arbeitslosigkeit weiter abbauen. So sehr wie ich mir das wünschen würde, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, seien wir ehrlich: wir müssen Mittel und Wege finden, wie wir Leute im Beruf halten. Da mag die Kurzarbeitsverlängerung aus Sicht der SPD eine gute Lösung sein. Aber wir müssen doch gucken, wie wir diese mehreren Milliarden an Fördermaßnahmen in eine andere Richtung setzen, oder eben sagen nein, die sind jetzt falsch.
Das gleiche gilt für Subventionen. Ich kann doch nicht in einer Abschwungphase noch Subventionen in Bereiche geben, die mit Garantie den Staat nicht mehr aus dem herausholen, wo er gegenwärtig drinsteckt. Da sind viele Bereiche möglich. Da muss man sich dann rantrauen. Ich bin auch etwas, sage ich ganz ehrlich, frustriert. Am Donnerstag hatten wir noch Meldungen, wo meine Fraktion gesagt hat, es geht über eine bestimmte Höhe von Ausgaben. Da wurde das noch abgetan, das sei lächerlich. Selbst der sehr geschätzte Kollege Kampeter, der haushaltspolitische Sprecher der CDU, sagte, das sei nicht seriös. Und heute kriegen wir Meldungen, die Regierung geht von mindestens 30 aus, sie geht von einem Nachtragshaushalt aus. Man muss hier auch dem Bürger reinen Wein einschenken, damit er weiß, wie er das ganze berechnen kann, was Politik mit ihm macht.
Dobovisek: Sie haben es vorhin angesprochen. Es ist auch das ewige Mantra der FDP, Steuern zu senken. Die Pendlerpauschale wird wieder ab dem ersten Kilometer gewährt. Krankenkassenbeiträge werden steuerlich besser absetzbar sein. Das beschert dem Bund Steuerausfälle von bis zu vier Milliarden Euro, so wird geschätzt. Können wir uns Steuersenkungen überhaupt leisten?
Fricke: Die Frage ist jetzt hier eine des Zeithorizontes und die Frage, wo ich mich befinde. Wenn ich in einer Situation bin, wie ich sie gegenwärtig habe, dass ich merke, dass überall auf der Welt das Wirtschaftswachstum zusammenbricht, dann brauche ich ja jetzt jemanden, der den Motor wieder anwirft. Und das kann ich nicht darüber erreichen, dass der Staat das ist und überall das Geld verteilt, sondern ich muss dafür sorgen, dass die, die das erwirtschaften, erarbeiten, also die, die in Arbeit sind, hier weiter fleißig arbeiten. So komisch es klingt: Vermögen und bessere Situation erreiche ich dadurch, dass ich einerseits arbeite, andererseits investiere. Nur so schaffe ich auf Dauer Vermögen und Vermögen ist dann wieder das, was dazu führt, dass Arbeitsplätze gesichert werden.
Das wird vollkommen verkannt. Das muss man dann nach meiner Meinung auch durch Steuersenkungen machen. Man muss aber dann ganz klar gucken, dass man den Fehler, den die Große Koalition gemacht hat, nämlich in den drei guten Jahren nicht zu sparen und nicht bei enormen Steuermehreinnahmen die Verschuldung auf null zu bringen, in der nächsten Aufschwungphase nicht macht. Jetzt ist es leider zu spät, aber das sind die Warnungen, die leider immer verklingen, wenn es gut läuft, weil jeder sagt, ja jetzt müssen wir mehr ausgeben.
Dobovisek: Dann noch mal die Frage: Woher soll das Geld für die Steuersenkungen kommen?
Fricke: Das Geld für die Steuersenkung wird zum Teil erst einmal auch aus der Neuverschuldung kommen. Das ist unzweifelhaft. Da gibt es auch gar kein Vertun. Das wird so sein. Aber ich kann das ja nicht nur jährlich sehen. Das ist die Gefahr, die man bei Haushaltspolitik immer hat. Man guckt auf das eine Jahr. Ich muss jetzt gucken: Wie will ich denn möglichst schnell hoch kommen, wenn wir geklärt haben, wo liegen die Fehler im System, was ist der eigentliche Grund, mit welchen Methoden kommen wir aus diesem Rezessionstal wieder heraus? Dann muss ich gucken, wie schaffe ich jetzt die Voraussetzungen dafür, und dafür - sage selbst ich als Haushaltsausschussvorsitzender - bin ich bereit, in einem gewissen Maße Neuverschuldung hinzunehmen. Hinzu kommt aber noch: wenn es denn funktioniert mit den Steuersenkungen und die Leute an der Stelle mehr Netto vom Brutto haben, dann muss ich ihnen gleichzeitig aber das Gefühl geben, jetzt muss ich investieren. Und ich kann jedem Bürger nur sagen: wenn du bei schlechter Wirtschaft meinst, das Sparen hilft, dann nützt es dir, wenn es ganz schlecht läuft, überhaupt nichts. Überlege dir lieber jetzt, wie du jetzt in schlechteren Zeiten investierst, um dann in besseren Zeiten, wo alles wieder teuerer ist, auch zu sehen und zu akzeptieren, dass du besser dastehst. Aber das ist sehr schwer, weil es auch gerade gegen unsere deutsche Mentalität ist.
Dobovisek: Otto Fricke, für die FDP im Bundestag. Dort ist er Vorsitzender des Haushaltsausschusses. Vielen Dank für das Gespräch, das wir vor der Sendung aufgezeichnet haben.