Freitag, 03. Mai 2024

Archiv


FDP-Politiker Schulz zweifelt an fairem Prozess für Snowden

Er sei sehr froh darüber, dass Edward Snowden die Ausspähaktionen der USA in Deutschland ans Licht gebracht habe, sagt der FDP-Politiker Jimmy Schulz. Eine Auslieferung an die USA wünsche er dem in Russland festsitzenden Whistleblower nicht, denn dort erwarte ihn vermutlich kein fairer Prozess.

Jimmy Schulz im Gespräch mit Martin Zagatta | 27.07.2013
    Martin Zagatta: In den USA erwartet man jetzt ein richtungsweisendes Urteil. Dem Obergefreiten Bradley Manning, der sich vor einem Militärgericht verantworten muss, droht lebenslange Haft. Er hat gestanden, als Soldat im Irak 2010 Hunderttausende geheime Dokumente aus Armeedatenbanken an die Enthüllungsplattform WikiLeaks weitergereicht zu haben. Er habe das aber getan, um die Öffentlichkeit über den Krieg und Kriegsgräuel zu informieren, und natürlich drängen sich da jetzt Vergleiche auf mit Edward Snowden, der hierzulande ja von so viel Wirbel gesorgt hat, indem er Ausspähungspraktiken des US-Geheimdienstes NSA öffentlich gemacht hat. Inwieweit man solche Vergleiche ziehen kann, das wollen wir jetzt den FDP-Bundestagsabgeordneten Jimmy Schulz fragen, den Obmann seiner Fraktion im Unterausschuss Neue Medien, und er ist auch Mitglied im Innenausschuss. Guten Morgen, Herr Schulz!

    Jimmy Schulz: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Schulz, Manning und Snowden sind ja sogenannte Whistleblower. Lassen sich diese beiden Fälle, von Grundsatz her zumindest, vergleichen?

    Schulz: Ja, ich glaube, da muss man ein bisschen tiefer einsteigen. Prinzipiell ja, beide haben geheime Dokumente an die Öffentlichkeit gebracht. Die Frage ist natürlich, welche Art von Dokumenten waren das. Und da, glaube ich, gibt es schon noch auch deutliche Unterschiede zwischen den beiden Fällen. Und die muss man auch sehr individuell dann betrachten.

    Zagatta: Aber auch Snowden droht ja jetzt lebenslange Haft, wenn die USA seiner habhaft werden. Die Todesstrafe, die wurde gestern ausgeschlossen, heißt es zumindest. Aber lebenslange Haft, ist das für Sie für so ein Vergehen, wenn man es so bezeichnen will, ist das für Sie nachvollziehbar?

    Schulz: Ich finde es auch ein bisschen bezeichnend, wie es überhaupt möglich ist, dass Politik eine bestimmte Strafart ausschließen kann, die im Rechtsstaat möglich wäre für eine solche Straftat. Das lässt ja auch wieder Rückblicke auf den Rechtsstaat ziehen, wenn Politik so viel Einfluss auf ein Recht hat. Denn sie haben ja sogar gestern gesagt, egal welche weiteren Straftaten von Snowden aufgedeckt würden, würden sie die Todesstrafe ausschließen. Ich halte das für fragwürdig, denn solche Möglichkeiten, dass Politik klarstellt, welche Strafen ein unabhängiges Gericht später verhängen darf, sind in einem Rechtsstaat eigentlich gar nicht denkbar.

    Zagatta: Das ist die eine Frage. Aber wenn Snowden jetzt in den USA, sollte er ausgeliefert werden oder sollten sie seiner habhaft werden, dann immer noch lebenslange Haft droht, steht das für Sie in irgendeinem Verhältnis noch zu dem, was er gemacht hat?

    Schulz: Das steht in überhaupt keinem Verhältnis. Also gerade das, was Snowden an die Öffentlichkeit gebracht hat, sind ja Informationen, die uns alle weltweit betreffen und uns alle weltweit schockiert haben. Dass wir in dieser Art und Weise ausspioniert werden und beschnüffelt werden und wenn in Kernbereiche unserer privaten Lebensführung vorgedrungen wird durch Staaten. Sind ein Skandal sondergleichen. Und ich bin sehr froh, dass Edward Snowden dies an die Öffentlichkeit gebracht hat.

    Zagatta: Sind wir ihm da in Deutschland zu Dank verpflichtet?

    Schulz: Na ja, zu Dank verpflichtet … Ja, ich halte ihn für jemanden, der aus ganz offensichtlich uneigennützigen Motiven einen Skandal an die Öffentlichkeit gebracht hat, und ich persönlich danke ihm dafür, ja. Ob wir ihm kollektiv danken, das muss man gemeinschaftlich entscheiden. Aber ich danke ihm sehr dafür, dass er die Öffentlichkeit über diese Skandale informiert hat.

    Zagatta: Wenn Sie ihm danken, sollte Deutschland dann vielleicht auch irgendetwas für Snowden tun, könnte denn die Bundesregierung irgendetwas für ihn tun?

    Schulz: Das ist natürlich jetzt eine besonders schwierige Frage. Denn nichtsdestotrotz hat er nach amerikanischem Recht vermutlich dieses Recht gebrochen und muss – es ist ja der Anklage gestellt worden – vor ein ordentliches Gericht gestellt werden. Er ist ja weiterhin amerikanischer Staatsbürger, auch wenn wohl den Pass jetzt für ungültig erklärt hat. Das heißt, wenn wir ihn – und das wird ja von vielen gefordert – nach Deutschland holen würden, müssten wir ihn sofort nach deutschem Recht mit den Verträgen mit den Amerikanern natürlich ausliefern. Deswegen wäre sozusagen ein Ihn-nach-Deutschland-Holen nicht besonders die beste Idee, wenn man ihn schützen will oder ihm helfen will. In einer anderen Art und Weise können wir das natürlich sehr wohl tun. Ich auch persönlich werde mich sehr dafür einsetzen, dass ihm ein fairer Prozess gemacht wird, falls die Amerikaner seiner habhaft werden sollten. Für ihn persönlich würde ich mir natürlich wünschen, dass das nicht passiert, denn man sieht ja im Fall Manning gerade – und das war ja jetzt so der Auslöser –, dass es hier dann auch nicht ganz einfach ist, einen fairen Prozess zu bekommen. Denn der Vorwurf steht ja im Raum, dass, bevor ihm der Prozess gemacht wurde, Manning, die Haftbedingungen nicht immer einem Rechtsstaat angemessen gewesen sein sollen.

    Zagatta: Herr Schulz, wenn Schulz aus einem Land wie China stammen würde, würden wir ihn dann nicht – und wahrscheinlich auch die USA – geradezu als Dissidenten, als ganz mutigen Helden regelrecht feiern?

    Schulz: Gut, ich glaube, dass er teilweise auch so gefeiert wird. Die Problematik ist nur: Nach China müssten wir ihn nicht ausliefern.

    Zagatta: Aber mit Blick auf die USA, Sie haben da die Rechtstaatlichkeit schon angezweifelt, Dissidenten aus China werden ja dort regelrecht öffentlich empfangen. Wenn Snowden da aus China stammen würde, das wäre doch in den USA wahrscheinlich ein Volksfest?

    Schulz: Das wäre wahrscheinlich so, ja. Aber wie gesagt, für uns sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein Rechtsstaat, ein befreundeter Rechtsstaat. Und deswegen, wenn er Gesetze dort gebrochen haben sollte und er deswegen angeklagt wird, ist das vollkommen klar. Und ich erwarte das auch, dass Snowden, wenn er sich in den USA aufhält, dann auch ein fairer und rechtsstaatlicher Prozess gemacht wird. Daran gibt es in einem Rechtsstaat gar keinen Zweifel. Die Frage ist halt nur, wie rechtsstaatlich können wir davon ausgehen, dass das dann durchgeführt wird. Nehmen wir ruhig mal Guantánamo, das sind ja nun auch Sachen, die, sagen wir mal, außerhalb des Rechtsstaatlichkeitsprinzips trotzdem passieren.

    Zagatta: Deutschland ist ja auch ein Rechtsstaat. Und der UN-Vertrag - und den UN gehören die USA ja genauso an - schützt ja auch das Fernmeldegeheimnis und schützt diplomatische Vertretungen. Und offenbar sieht es ja so aus, dass das dem Geheimdienst NSA relativ egal ist. Wie sollte Berlin da jetzt reagieren?

    Schulz: Ein Rechtsstaat verliert natürlich Vertrauen, wenn er selber Recht bricht. Und jetzt haben wir die Problematik, dass gerade Edward Snowden hier wiederum Sachen aufgedeckt hat, dass die Vereinigten Staaten, jedenfalls die NSA deutsches Recht bricht. Ob sie amerikanisches Recht bricht, das wissen wir ja nicht.

    Zagatta: Nehmen wir das nicht aber auch hin? Also, müsste da Außenminister Westerwelle, Ihr Parteifreund, müsste der nicht ganz andere Töne da anschlagen?

    Schulz: Also, dass ein befreundeter Staat deutsches Recht bricht, also Rechte deutscher Bürgerinnen und Bürger verletzt, ist ein nicht akzeptabler Zustand, ist doch vollkommen klar. Habe ich, glaube ich, auch nie einen Zweifel dran gelassen. Und deswegen müssen wir hier auch sehr klar und deutlich feststellen, dass wir so ein Vorgehen nicht weiter akzeptieren können. Freunde tun so etwas nicht.

    Zagatta: Und wie lässt sich das durchsetzen?

    Schulz: Da gab es ja in den letzten Tagen auch einen Vorschlag vom ehemaligen BND-Präsidenten Geiger, den wir vor einigen Wochen vorgestellt haben, nämlich, dass wir ein internationales Abkommen brauchen, so wie es ja eigentlich schon unter anderem praktiziert wird unter den sogenannten Five Eyes. Nämlich, dass wir USA, Kanada, Großbritannien, Australien, Neuseeland untereinander sich gegenseitig nicht bespitzeln. Ein solches Abkommen, Intelligence Codex, wie es Geiger genannt hat, könnte zum Beispiel so ausgehandelt werden, dass jedenfalls unter befreundeten Staaten innerhalb der Europäischen Union, innerhalb der NATO, ein Abkommen treffen, sich gegenseitig nicht mehr zu bespitzeln. Dass so etwas weltweit denkbar ist, das, glaube ich, ist noch etwas Utopie, aber unter Freunden sollte so etwas doch zumindest machbar sein.

    Zagatta: Sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Jimmy Schulz. Herr Schulz, herzlichen Dank für das Gespräch!

    Schulz: Sehr gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Edward Snowden
    Whistleblower Edward Snowden. (picture alliance / dpa / The Guardian Newspaper / FILE)